Der Horror beim Cornflakes-Essen



Veröffentlicht am 16. März 2015 von

In den 1970iger Jahren hatten sich in den USA sorgeberechtigte Eltern, deren Kinder von einem nicht sorgeberechtigten Elternteil entführt worden waren, zum „missing children´s movement“ zusammengetan. Sie kritisierten in öffentlichen Stellungnahmen das zögerliche Verhalten der Polizei, die das plötzliche Verschwinden von Kindern in diesem Zusammenhang eher als Ausdruck häuslicher Probleme denn als Kidnapping betrachtete und sich daher mit einem Eingreifen schwer tat. Der Begriff des „child snatching“ wurde geboren. Nach Schätzungen verschwanden in diesem Zusammenhang jährlich hunderttausende von Kindern, die in dem riesigen Land nur schwer wiederauffindbar waren, zumal sie von dem entführenden Elternteil oft unter falschem Namen an neuen Schulen angemeldet wurden. Selbsthilfegruppen von frustrierten Eltern begannen eine Kampagne, bei der sie im ganzen Land Fotos von vermissten Kindern in Schulen verteilen ließen, um „ihre Kinder“ wiederzufinden.

Am 25.5.1979 verschwand in Manhattan der 6-jährige Etan Patz auf dem Weg zum Schulbus spurlos. 1981 wurde der ebenfalls 6-jährige Adem Walsh in Florida entführt und später ermordet. Sein Fall diente als Vorbild für den 1983 ausgestrahlten Fernsehfilm „Adem“, den 38 Millionen Zuschauer mit Spannung verfolgten. Am Ende des Films erschienen Fotos vermisster Kinder und eine Not-Telefonnummer. In einer Ausstrahlung aus dem Jahr 1985 ist der damalige Präsident Ronald Reagan zu sehen, der sich mit den Worten  „… maybe your eyes can help bring them home“ an das TV-Publikum wendet. Anlässlich des Falles von Etan Patz hatte Reagan erstmals am 25.5.1983 den National Missing Children’s Day ins Leben gerufen.

Die medienwirksamen Fälle rüttelten die Gesellschaft auf und befeuerten die Bewegung. Engagierte Rechtsanwälte und Elternvertreter verlangten in den frühen 1980iger Jahren, die Kampagne gegen child snatching auch auf andere vermisste Kinder auszudehnen. Die Organisation „Child Find of America“ und das „National Center for Missing Youth“ leitete die Öffentlichkeitsarbeit  und stieß die Milk Carton Compaign an. 1984 fingen einige Molkereien damit an, Suchaufrufe mit Fotos von vermissten Kindern auf ihren Milchkartons abzubilden. Das erste vermisste Kind auf einer solchen Milchpackung war Etan Patz. Von den damals ca. 1800 privaten Molkereien beteiligten sich ca. 700 an den Aktionen. Andere Branchen folgten. Die Suchvermerke und Fotos vermisster Kinder fanden sich bald auch auf Pizzakartons, Einkaufstüten und Werbeträgern. Comichelden/innen, wie z.B. Lois Lane, die Freundin von Superman, verfolgten plötzlich child snatcher und Detektivgeschichten rangten sich um die Entführung von Kindern. Es wurden Notfall-Kits mit den Fingerabdrücken von Kindern mit weiteren Informationen gefertigt, die die Eltern im Vermisstenfall bei der Polizei abgeben konnten.

Ab Ende der 1980iger Jahre verschwanden die Kinderfotos schließlich wieder von den Milchkartons, nachdem namhafte Kinderpsychiater – z.B. Benjamin Spock und  T. Berry Brazelton – vor Hysterie warnten. Die Kinder würden schon beim Frühstücken von Cornflakes am Morgen unnötig verängstigt.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

 

 

 


Kategorie: Historische Prozesse
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