Dominik Brunner – beherztes Eingreifen, zuviel Zivilcourage oder unkontrollierte Aggressionen? Ein Prozess zum Nachdenken



Veröffentlicht am 3. April 2012 von

Anfangs war es ein glasklarer Fall. Die fürchterliche Jugend, die immer noch fürchterlicher wird und das repräsentative Opfer, das aufgrund seines beherzten Einstehens für bedrohte Schüler von zwei Jugendlichen zu Tode getreten worden war. So jedenfalls meldete es die Presse noch am Tattag, den 12. September 2009, und fast genauso schnell, nämlich am 13. September 2009 forderte CSU-Chef Horst Seehofer die Höchststrafe im Jugendstrafrecht auf 15 Jahre anzuheben.

Die Tat:

Am 12. September 2009 befand sich der 50jährige Dominik Brunner, im Vorstand des Dachziegelunternehmens Erlus AG tätig, auf dem Weg zu seiner Freundin, als er auf drei Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren, Markus S. (18), Sebastian L. (17) und Christoph T. (17), aufmerksam wurde, die vier Kinder im Alter von 13 – 15 Jahren bedrohten und erpressten. Der 50jährige Manager soll an diesem Punkt eingegriffen und die Kinder in Schutz genommen haben mit der Konsequenz, dass zwei der Jugendlichen, Christoph T. hatte sich vom Tatgeschehen entfernt, auf ihn eingeschlagen und getreten haben sollen – selbst noch als das Opfer bereits wehrlos am Boden lag. Von 22 Verletzungen und gezielten Tritten an den Kopf war die Rede. Mehr als 15 weitere Passanten sollen um das Tatgeschehen versammelt gewesen sein, ohne Einzugreifen. Auch Seehofer nutzte wiederum die Gunst der Stunde und ließ bereits zum Zeitpunkt der Beerdigung verlauten, dass Dominik Brunner mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet werde.

Drei Tage nach der Tat nimmt das Tatgeschehen langsam andere Konturen an. So spricht eines der beschützten Kinder, die 13jährige Sarah, über das Tatgeschehen und zum ersten Mal ist dann auch von einem vorangehenden Schlag des Getöteten die Rede. Daraufhin sei der “Haupttäter”, der 18jährige Jugendliche, ausgerastet und hätte wie von Sinnen auf Dominik Brunner eingeschlagen. Auch ein Schlüsselbund soll hierbei zum Einsatz gekommen sein. Dominik Brunner soll den Kindern noch zugerufen haben “Haltet Euch raus!”. Doch das schien gar nicht nötig – auf die Hilferufe der Kinder reagierte leider kein Passant. Was die Kinder zum Tatzeitpunkt nicht wussten: Zumindest hatten einige Vorbeigehende über Handy die Polizei verständigt.

Am 3. Oktober 2009 verleiht der damalige Bundespräsident, Horst Köhler, dem Getöteten posthum das Bundesverdienstkreuz. Die 13jährige Sarah hatte in ihrem Interview gesagt: “”Er hat für uns sein Leben gegeben. Ich danke ihm so sehr, dass er uns alle vier beschützt hat. Ich werde ihn immer als Held in Gedanken behalten.”

Mitte Oktober werden dann Einzelheiten des Obduktionsberichtes bekannt. So hat Brunner nicht 22 sondern 44 Verletzungen (hiervon 22 leichte) erlitten, die in ihrer Gesamtheit zum Tode geführt haben sollen.

Am 23. Oktober 2009 wird von einem Telefonmitschnitt berichtet, der bei der Polizei aufgrund des zweiten Notrufs von Brunners Handy erfolgte. Der erste Notruf durch den Getöteten soll bereits aus der S-Bahn erfolgt sein, wo die Erpressung der Kinder offensichtlich ihren Ursprung hatte. In den Medien ist von einem “bestialischen Geschrei” die Rede, welches von der Stimme her dem 18jährigen Markus S. zuzuordnen sei. Dominik Brunner ist zu diesem Zeitpunkt nur noch durch leichtes Gemurmel zu vernehmen.

Im Januar 2010 erfolgt nun die noch präsisere Schilderung des Tatgeschehens. Die drei Jugendlichen sollen die Kinder am Bahnsteig Donnersbergerbrücke bedroht haben und der 17jährige Christoph soll einem der Kinder darüber hinaus eine Ohrfeige versetzt haben – mit der Forderung nach 15,00 €. Die Kinder seien dann schnellstmöglich in eine S-Bahn gestiegen, wohin Sebastian L. und Markus S. ihnen folgten. Christoph, der nicht mit einstieg, soll die beiden Anderen mit Zurufen ermutigt haben, es den Kindern “richtig zu besorgen”. In der Bahn setzten Markus S. und Sebastian L. die Kinder massiv unter Druck bis der ebenfalls anwesende 50jährige Dominik Brunner eingriff und angeblich versuchte, die Jugendlichen zu beschwichtigen. Um 16:05 Uhr setzte er den ersten Notruf an die Polizei ab, in welchem er in ruhigem Ton die Situation schilderte und um Erscheinen am S-Bahnhof Solln bat. Die Polizei ließ später verlauten, dass man aus dem Notruf keinen akuten Handlungsbedarf erschließen konnte, eine Anfahrt mit Blaulicht etc. hielt man nicht für erforderlich.

Auch die Zeugenvernehmungen durch die Polizei finden im Januar ihren Abschluss und es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Aussagen, die Brunner “belasten”. So gibt u.a. der Lokführer, der sich zur Tatzeit aus dem Zug lehnte, an, Brunner hätte seine Tasche abgesetzt und sich mit erhobenen Fäusten in Kampfstellung gebracht. Dies bestätigen Passanten, die bei dem Vorfall zugegen waren. War Brunner zu diesem Zeitpunkt schlichtweg außer sich vor Wut über die Dreistigkeit der Jugendlichen, oder hatte er Angst vor Markus und Sebastian? Folgt man den Ausführungen des Lokführers weiter, wäre die Situation ohne Brunners Angriff nicht eskaliert. Nach seiner Schilderung bewegten sich die beiden Jugendlichen sogar vom Bahnsteig weg in Richtung Ausgang als Brunner sie angriff. Andere Zeugen jedoch bestätigten in ihrer Vernehmung, dass die Jugendlichen drohend auf Brunner zugegangen seien, als dieser Markus S. ins Gesicht boxte. Daraufhin klemmt sich Markus S. einen Schlüsselbund zwischen die Finger und Sebastian L. nimmt ein Feuerzeug in die Hand. Sie schlagen jetzt unkontrolliert auf Dominik Brunner ein, so dass dieser rittlings gegen ein Metallgeländer knallt. Auch als Dominik Brunner am Boden liegt, lassen die beiden nicht von ihrem Opfer ab. Erst bei Erscheinen der Polizei reagieren die Beschuldigten und fliehen in die Büsche. Eine Flucht gelingt ihnen jedoch nicht.

Mit Anklageerhebung wird bekannt, dass beide Täter offensichtlich zum Tatzeitpunkt alkoholisiert gewesen seien. So soll der 18jährige Markus S. eine halbe Flasche Wodka und fünf Flaschen Bier getrunken haben.

Die Täter:
Als erstes berichtete die Bild-Zeitung über die beiden jugendlichen Täter Markus S. (18) und Sebastian L. (17). So sollen sie bereits zahlreiche Male wegen verschiedener Delikte wie Diebstahl, Raub und schwerer Körperverletzung, strafrechtlich in Erscheinung getreten sein. Zuletzt – so die Bild – hätten sie 6 Tage vor der in Rede stehenden Tat einen Rentner angepöbelt und versucht zu erpressen.

Einige Tage nach der Tat wurde dann bekannt, dass gegen den 18jährigen Haupttäter, Markus S., ein Ermittlungsverfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens in der Welt sei. Er soll damit gedroht haben, als Rache für die Verhaftung seines Bruders eine Polizeiwache in die Luft zu sprengen.

Sebastians Vater starb an einer Hirnblutung, seine Mutter ist ein Pflegefall. Mit zwölf beginnt seine Drogenkarriere.

Sowohl Markus S. als auch Sebastian L. leben zur Tatzeit im Easy-Contact-Haus von Condrobs, einer Einrichtung für suchtkranke Jugendliche. Trotz Ausgangssperre gelang es den beiden Jugendlichen das Haus am Tattag zu verlassen.

Das Opfer:

Über das Leben von Dominik Brunner, der schnell zum Helden einer ganzen Nation wird, erfährt man direkt zu Anfang jede Menge Details. Er studierte Jura an der Universität München und trat anschließend in die Fußstapfen seines Vaters, indem er ihm in die Erlus AG, ein Dachziegelhersteller, folgte und dort bis zuletzt als einer von drei Geschäftsführern tätig war. Freunde beschreiben ihn als friedlichen Mann mit einem Gespür für Ungerechtigkeiten. Als Beispiel wird gern sein Wunsch zu seinem 50. Geburtstag zitiert: Er wollte keine Geschenke, sondern sammelte Spenden für ein Krankenhaus.

Brunner reiste gern und trieb Sport. Hierbei war er insbesondere dem Kampfsport zugeneigt und trainierte kurze Zeit sogar in einer Boxschule in Straubing.

Der Prozess: 
Im Februar 2010 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Markus S. und Sebastian L. wegen Mordes aus niederen Beweggründen. Zurecht werden dann mit Prozessauftakt die Stimmen lauter, die behaupten, Dominik Brunner hätte zuerst – und zwar mit der Faust – zugeschlagen. Auch wenn der Schlag von Dominik Brunner moralisch vertretbar erscheint, so würde dies doch die rechtliche Würdigung des Tatgeschehens möglicherweise ändern und damit verbunden die die Jugendlichen zu erwartende Strafe. Eine Verurteilung wegen Mordes bedeutet für den 17jährigen Sebastian L. bis zu 10 Jahre Haft, für den 18jährigen Markus S. schlimmstenfalls lebenslänglich. Der Prozess wird vor der Jugendkammer des Landgerichts München I verhandelt.

Am 13. Juli 2010 wird die Anklage verlesen und der Vorsitzende Richter, Reinhold Baier, der bereits das Urteil gegen den Münchener U-Bahn-Schläger sprach, kann sich einen ersten persönlichen Eindruck von den beiden Angeklagten machen. Markus S. spricht von einem Blackout und beide beharren darauf, dass es nie zu dieser Eskalation gekommen wäre, wenn Brunner sie nicht angegriffen hätte. Für beide wäre die Situation bei Verlassen des Zuges bereits abgehakt gewesen, man wollte aber nicht, “dass es so aussieht, als ziehe man den Schwanz ein”, so Sebastian L. in seiner Einlassung. Dass Dominik Brunner sterben würde, damit hätte man keinesfalls gerechnet und das hätte man auch sicherlich nicht gewollt. Sebastian L. bestätigt aber auch die Zeugenaussagen, dass ihm die Angriffe von Markus S. zuviel wurden und er versucht habe, Markus S. von Dominik Brunner weg zu ziehen.

Am 14. Juli 2010, dem zweiten Verhandlungstag, wird der 15jährige Richard M., eines der bedrohten Kinder, vernommen. Richard bestätigt, dass der erste Schlag von Brunner ausging, führt aber hierzu aus, dass Brunner sich lediglich in Kampfstellung schützend vor die 4 Kinder gestellt habe. Markus S. und Sebastian L. hätten sich dann drohend auf die 4 Kinder und Brunner zubewegt, so dass Brunner – um den Jugendlichen zuvor zu kommen – zugeschlagen hätte. Markus S. und Sebastian L. seien nun nicht mehr zu halten gewesen und hätten sich sogar noch abgesprochen, wie sie gemeinsam am besten vorgehen könnten. Es wurde beraten, dass einer Brunner von der Seite und der andere von Vorne angreifen sollte.

Die am 15. Juli 2010 vernommenen weiteren betroffenen Kinder äußern sich wiederum allesamt widersprüchlich oder können sich zum Teil gar nicht mehr konkret an den Tathergang erinnern. Zur Verdeutlichung hier mal ein Auszug aus einem Spiegelartikel:

Der Zeuge M. gibt hier an, dass Brunner auf die Angeklagten zugegangen sei und zu ihnen sagte: “Ihr wollt’s nicht anders!” Dann soll er Markus S. ins Gesicht geschlagen haben. “Als er zu diesem Schlag ansetzte, merkte man, dass der Mann mal mit Kampfsport zu tun hatte. Das war so eine Boxerstellung. Er hat dann sofort zugeschlagen. Als der eine dann einen Schlüssel aus seiner Tasche nahm, ging Herr Brunner wieder in Kampfstellung.”

“Kam dieser Schlag für Sie überraschend?”, fragt der Vorsitzende.
“Nein”, antwortet der junge Zeuge, “denn Herr Brunner ging ja auf die zu. Und die hatten es verdient.”
“Haben die Angeklagten ihrerseits auch eine solche Haltung eingenommen?”, will der Vorsitzende wissen.
“Nein, die standen einfach da”, antwortet der Schüler. Der Vorsitzende fragt noch einmal nach. “Die standen einfach da?”
“Ja.”
M. bestätigt es noch einmal. “Und Brunner versetzte dem einen der Angeklagten unmittelbar einen Faustschlag? Wohin?”
“Unter das Auge. Es hat geblutet.”
“Sie konnten das alles beobachen.”
“Ja.”

Am 16. Juli 2010 wird der Freund der Angeklagten, Christoph T., vernommen, der am Tattag die Kinder zuerst bedroht und geohrfeigt hatte. Hierfür war er bereits im April zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Christoph T., der Dominik Brunner nie getroffen hatte, nahm die Angeklagten in seiner Aussage in Schutz und ließ verlauten, dass “etwas passiert” sein müsste, sonst wären die beiden Angeklagten nicht so ausgerastet. Das “etwas” konkretisierte er in seiner Aussage als den Schlag von Dominik Brunner. Weiterhin gibt er an, dass sowohl er als auch die beiden Angeklagten angetrunken gewesen seien.

Am gleichen Tag wird ein Detail bekannt, dass die Staatsanwaltschaft bislang verschwiegen hatte: Dominik Brunner starb nicht an den zugefügten Verletzungen, sondern an Herzversagen. Ein Kausalzusammenhang zwischen den Angriffen durch die Angeklagten und dem sich anschließenden Herzversagen des getöteten Brunner dürfte sich allerdings nur unschwer herstellen lassen.

Am nächsten Verhandlungstag, den 20. Juli 2010, wurde der damalige Lokführer vernommen und sorgte für eine erneute Wende im Prozess. So führte er aus, Herr Brunner hätte mit den Schülern einfach weggehen können. Stattdessen sei er ein Stück in seine Richtung und habe ihm noch zugerufen: “Jetzt gibt’s hier Ärger!” Anschließend hätte er seinen Rucksack und seine Jacke abgelegt. Nach Angaben des Lokführers ist Brunner dann auf die Angeklagten zugegangen. Auf Nachfrage des Richters, ob der Ärger sich angebahnt hatte, antwortete der Lokführer: “Nein, aus meiner Sicht nicht. Die Jugendlichen stiegen ganz normal aus. Sie wollten offenbar die Treppe benutzen.” Die beiden Angeklagten seien in Richtung Treppenaufgang gegangen. Als sie in der Nähe Brunners waren, sei dieser auf sie zugegangen und habe kräftig ausgeholt. “Für mich war er der Angreifer”, so der Lokführer weiter.

Auch wird eine ebenfalls am Bahnhof anwesende 16jährige Zeugin vernommen, die angibt, dass der Angeklagte Markus S. auf das Opfer eingeschlagen und getreten habe und ihn hierbei mit den Worten “Ich bring Dich um” angeschrieen habe.

Ebenfalls am 20. Juli 2010 stellt die Verteidigung mit Blick auf die neuen Erkenntnisse zum Herzversagen des Opfers Beweisanträge und fordert hiermit die Einholung zweier Sachverständigengutachten ein.

Für den 26. Juli 2010 war eigentlich die Vernehmung des Vaters des Opfers geplant. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Oskar Brunner den Termin allerdings nicht wahrnehmen. Stattdessen wurde eine frühere Vernehmung von O. Brunner verlesen. Hier beschreibt er seinen Sohn als sozial engagierten, an Kultur und Sport interessierten Menschen, der sich aufopferungsvoll der Pflege seiner Eltern (80 und 82 Jahre alt) widmete.

Weiterhin kommt die Jugendgerichtshilfe zu Wort, deren Mitarbeiterin angibt, dass die beiden Angeklagten die Nachricht vom Tod des Opfers ausgesprochen ruhig aufgenommen hätten. Sie führt dies auf eine Art Schockzustand zurück. Ferner wird bekannt, dass Sebastian L. den älteren Markus S. als Vorbild angesehen hatte. Ein Betreuer gab an, dass Sebastian Markus immer schon “cool” fand.

Beide Angeklagten wurden von Sozialpädagogen und Lehrern als “unauffällig und ruhig” bezeichnet. Markus S. habe sich dann später zum “Schulschwänzer” entwickelt, was letztlich im Schulverweis gipfelte. Sebastian L. lebte in verschiedenen Heimen, nachdem sein Vater gestorben und seine Mutter aufgrund eines Hirnschlages zum Pflegefall geworden war.

Artikel in Bearbeitung.

Brigitte Renner


Kategorie: Stories
Permalink: Dominik Brunner – beherztes Eingreifen, zuviel Zivilcourage oder unkontrollierte Aggressionen? Ein Prozess zum Nachdenken
Schlagworte: ,