Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat ein Urteil des Landgerichts Hamburg aufgehoben, weil ein Vorsitzender Richter an der Entscheidung über einen Befangenheitsantrag mitgewirkt hat, bei der es mittelbar um seine eigenen Äußerungen ging. Die Entscheidung ist im aktuellen Heft des „Strafverteidiger“ abgedruckt (StV 2012, 450). Der Angeklagte und Revisionsführer war wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Im Laufe des Verfahrens hatte seine Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt, weil dieser während einer Vorbesprechung der Sache zwischen Berufsrichtern, Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Verteidigung geäußert hatte, Iranern sitze „das Messer zu locker“. Offensichtlich ist der Angeklagte Iraner, sonst würde derBefangenheitsantrag keinen Sinn gemacht haben.
Der Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden war ohne dessen Mitwirkung von den beisitzenden Richtern und einem hinzugezogenen 3. Richter mit der Begründung abgelehnt worden, es habe sich erkennbar um eine scherzhafte Äußerung des Vorsitzenden in gelockerter Gesprächsatmosphäre gehandelt. Mit einem weiteren Befangenheitsantrag lehnte der Angeklagte daraufhin auch die beisitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil diese die beanstandete Äußerung des Vorsitzenden gebilligt hätten. Die Kammer habe diesen Antrag – so der BGH – wohl als „besonders lästig und aufhältlich“ empfunden, diesen aber zutreffend als zulässig bewertet. Deshalb sei darüber in der Sache unter Ausschluss der abgelehnten beisitzenden Richter, allerdings unter dem Vorsitz des zuvor abgelehnten Schwurgerichtsvorsitzenden, entschieden worden. Dessen Mitwirkung an dem erneut ablehnenden Beschluss sei von der Revision mit Recht als unvertretbar erachtet worden, meint der 5. Strafsenat. Bei richtigem Verständnis des § 27 Abs. 1 StPO hätte der Vorsitzende an der Beschlussfassung über den 2. Antrag ersichtlich nicht mitwirken dürfen, weil im Zentrum der Entscheidungsfindung auch weiterhin die Bewertung seiner eigenen Äußerung in der Vorbesprechung gestanden hätte, die schon Anlass für die 1. Ablehnung war. Im Hinblick auf das Gebot, dass ein „Entscheiden in eigener Sache“ zu vermeiden ist, liege eine Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes vor. Dies begründe in – nicht anders als ein entsprechender Besetzungsmangel im Rahmen unvertretbarer Anwendung des § 26a StPO – die Revison nach § 338 Nr. 3 StPO.
Recht hat der 5. Strafsenat, da kann ich ihm nur beipflichten.
Kategorie: Strafblog
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