Disput im Strafprozess: Die Interpretation von Aussagen ist immer eine Frage der Perspektive



Veröffentlicht am 21. Juni 2012 von

Verbaler Austausch in einem Vergewaltigungsverfahren zwischen Staatsanwältin, Nebenklagevertreterin und Verteidiger. Natürlich ist alles, was Sie jetzt lesen, völlig fiktiv, aber doch irgendwie auch wieder wahr, schließlich habe ich gestern in einem solchen Verfahren gesessen und einige verbale Scharmützel hinter mir. Ich habe allerdings manche Erfahrungen aus anderen Verfahren und mit anderen Beteiligten in den fiktiven Disput hineingeschmuggelt, so dass sich bitte niemand auf die Füße getreten fühlen soll. So ist es heute nicht gewesen:

Nebenklagevertreterin zu einem Zeugen, der aus ihrer Sicht günstig für den Angeklagten ausgesagt hat: „Warum haben Sie denn nicht schon bei der Polizei ausgesagt, dass der Angeklagte und meine Mandantin sich im Auto nach der Vergewaltigung geküsst haben?“

Verteidiger: „Ich rüge den Vorhalt, wir wissen ja gar nicht, ob es eine Vergewaltigung gegeben hat, genau das soll der Prozess ja klären!“

(Anmerkung: Der Vorsitzende Richter nickt unmerklich mit dem Kopf)

Nebenklagevertreterin: „Gut, dann frage ich anders: Sie haben bei der Polizei nicht gesagt, dass die beiden sich geküsst haben. Wieso erinnern Sie sich jetzt?“

Verteidiger: „ Sie wissen doch gar nicht, Frau Rechtsanwältin, was der Zeuge bei der Polizei gesagt hat. Sie waren doch nicht dabei und wir haben den Vernehmungsbeamten bislang nicht gehört“.

Nebenklagevertreterin: „ Aber das steht ja hier im Vernehmungsprotokoll!“

Verteidiger: „ Was noch lange nicht heißt, dass der Zeuge das so gesagt hat. Wir haben doch heute schon mehrfach gehört, wie Polizeizeugen die protokollierten Aussagen relativiert haben und eingeräumt haben, dass sie auch etwas falsch verstanden haben könnten.“

Staatsanwältin: „Herr Verteidiger, das ist doch nicht nötig. Wir sind uns ja darüber einig, dass im Rahmen von Vernehmungen zumeist kein Wortprotokoll geführt wird. Der Vernehmungsbeamte schreibt die Aussage in seinen Worten nieder und hofft, dass das dann so akzeptiert wird. Das ist nicht einfach und ich bin froh, dass ich in der Regel keine Aussagen protokollieren muss.“

Verteidiger: „ Da haben Sie recht, Frau Staatsanwältin, es wäre besser, wenn die Aussagen auf Video mitgeschnitten würden. Das wäre wesentlich authentischer. Wir haben ja eben erst erlebt, wie ich dem vorherigen Zeugen seine von mir in diesem Punkt wörtlich mitgeschriebene Aussage vorgehalten habe und Sie meinten, ich hätte das unzutreffend wiedergegeben.“

Staatsanwältin: „Das hat der Zeuge ja auch nicht so gesagt, wie Sie das vorgehalten haben.“

Verteidiger: „Sehen Sie, so gehen die Wahrnehmungen auseinander, ich bin mir ganz sicher, dass ich richtig mitgeschrieben habe, weil mir gerade dieser Satz besonders wichtig war. Und wer weiß denn, ob das, was der Vernehmungsbeamte in seinen Worten protokolliert hat, überhaupt so gesagt worden ist und ob er nicht Dinge überhört oder als vermeintlich unwesentlich weggelassen hat? Die Nebenklagevertreterin kann dem Zeugen allenfalls vorhalten, was er laut Protokoll gesagt haben soll, aber sie darf nicht suggerieren, dass er das tatsächlich auch so gesagt hat.“

Nebenklagevertreterin: „Aber der hat das ja selbst unterschrieben!“

Zeuge: „Ich war müde und habe das gar nicht mehr richtig gelesen. Ich bin davon ausgegangen, dass meine Aussage richtig protokolliert worden ist.“

Staatsanwältin: „Jetzt kommen Sie mir nicht so. Sie wissen doch, dass man für das, was man unterschreibt, gerade stehen muss!“

Verteidiger: „ Frau Staatsanwältin, wir wissen doch alle, dass Zeugen und Beschuldigte mit polizeilichen Vernehmungen zumeist überfordert sind und sich das Protokoll allzu oft gar nicht mehr richtig durchlesen, bevor sie unterschreiben. Ich höre das mindestens zweimal wöchentlich, wenn ich meine Mandanten mit ihren protokollierten Aussagen konfrontiere.“

Staatsanwältin: „ Das mag an Ihren sehr speziellen Mandanten liegen, Herr Verteidiger.“

Verteidiger: „Aber wir haben doch am letzten Verhandlungstag von dem angeblichen Tatopfer gehört, dass dieses sich die Widersprüche in ihrer Zeugenaussage auch nicht erklären könne. Da müsse die Vernehmungsbeamtin etwas falsch verstanden und deshalb falsch niedergeschreiben haben. Das habe sie bei der Unterschrift unter das Protokoll gar nicht bemerkt. Ist die Zeugin auch eine spezielle Mandantin?“

(Anmerkung: Der Vorsitzende Richter folgt dem Disput schweigend und lächelt ein wenig)

Nebenklagevertreterin: „ Wissen Sie eigentlich, in was für einer Situation meine Mandantin war, als sie vernommen wurde? Es ist schon eine erstaunliche Leistung gewesen, dass sie nach allem, was ihr widerfahren ist, überhaupt in der Lage war, sich vernehmen zu lassen.“

Verteidiger: „ Und deshalb zählt ihre Unterschrift unter der Vernehmung weniger als die anderer Zeugen, oder wie soll ich das verstehen? Wollen Sie damit sagen, dass wir das Protokoll über die polizeiliche Vernehmung der Hauptbelastungszeugin nicht sonderlich ernst nehmen sollen?“

Der Vorsitzende Richter: „Genug diskutiert. Frau Rechtsanwältin, fragen Sie weiter“.

Die Nebenklagevertreterin: „ Also, Herr Zeuge, warum haben Sie das bei Polizei anders dargestellt als in Ihrer heutigen Vernehmung?“

Verteidiger: „ Ich rüge die Frage in dieser Form als unzulässig …“

Staatsanwältin: „Herr Verteidiger, jetzt ist es aber genug. Sie müssen sich hier nicht produzieren.“

Verteidiger: „Haben Sie jetzt die Sitzungsleitung übernommen, Frau Staatsanwältin? Und warum rügen Sie nicht die Nebenklagevertreterin für ihre unsachliche Art der Fragestellung?“

……..  Ach ja, Verhandlungen können sich manchmal ganz schön in die Länge ziehen und nachher weiß keiner, woran es eigentlich gelegen hat. Aber der Strafprozess soll ja der Wahrheitsfindung dienen, da darf nichts unversucht bleiben …


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