Fortbildung der Extraklasse: Wie aus 330 Euro Verspätungsschaden ganz schnell 240.000 Euro werden können



Veröffentlicht am 9. Dezember 2012 von

Jedes Jahr nehme ich mir vor, frühzeitig die Pflichtfortbildung gem. § 15 FAO zum Erhalt des Fachanwaltstitels zu absolvieren, um gegen Jahresende nicht in zeitliche Verdrückung zu geraten, aber wie zumeist ist mir das auch 2012 nicht gelungen. Früher bin ich selbst bisweilen als Dozent aufgetreten, aber das habe ich den letzten Jahren wegen der damit verbundenen Vorbereitungszeit einfach nicht mehr geschafft. Zu viele – zumeist auswärtige – Hauptverhandlungen, zu viele Umfangsverfahren…

Ich hatte mich für dieses Wochenende kurzfristig zu einem Seminar der DAA zum Steuerstrafrecht in Düsseldorf angemeldet und war bei widrigen Witterungsverhältnissen ohne große Erwartungen dorthin gefahren. Aber was die Kollegen Dr. Hilmar Erb und Thomas Wenzler boten, war wirklich praxisorientierte Fortbildung der Extraklasse. Im unterhaltsamen Dialog und anhand von tatsächlichen Fällen wurden Grundlagen und neuere Entwicklungen im Steuerstrafrecht dargeboten, und nach meinem Eindruck waren auch die überwiegend fachkundigen übrigen Seminarteilnehmer, darunter auch etliche Nur-Steuerberater, ziemlich angetan.

Da wurde gleich zu Beginn ein Fall referiert, der es in sich hat. Ein mittelständisches schwäbisches Unternehmen war mit der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung in Verzug geraten, die bereits verlängerte Frist lief am 31. Januar ab. Der Steuerberater hatte am Tage des Fristablaufs mit dem zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt telefoniert und gefragt, ob auf Verspätungszuschläge verzichtet werde, wenn die Steuererklärung ein paar Tage später komme. „Das passt schon..“, habe die Antwort gelautet. Die Umsatzsteuererklärung, die zu einem Nachzahlungsbetrag von 680.000 Euro führte, wurde am 03. Februar beim Finanzamt eingereicht, also 3 Tage verspätet. Aber wie gesagt, „Das passt schon“ hatte der Sachbearbeiter gesagt.

Ein paar Wochen später wurde der Geschäftsführer des Unternehmens, eine GmbH, durch die Finanzbehörde informiert, dass wegen der verspäteten Abgabe der Steuererklärung ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden sei. Man werte die nachgereichte Steuererklärung als Selbstanzeige, aber weil ein Steuerschaden besonders großen Ausmaßes entstanden sei, könne gem. § 398a AO nur von der Verfolgung abgesehen werden, wenn 5 Prozent der hinterzogenen Steuern, das wären knapp 34.000 Euro, zugunsten der Staatskasse gezahlt würden. Eine weitere Fristverlängerung sei nämlich nicht gewährt worden und der Finanzbeamte habe auch keinen entsprechenden Vermerk zur Akte gebracht.

Zur Vermeidung eines Strafverfahrens wurde dem Geschäftsführer geraten, die 34.000 Euro unter Vorbehalt zu zahlen und dann im Wege der Leistungsklage gegen die Finanzbehörde d als Kondiktionsanspruch zurückzufordern. So weit, so gut. Als die Finanzbehörde von der beabsichtigten Klage Kenntnis erhielt, holte die zum Gegenschlag aus. Wegen des umsatzsteuerrechtlichen Kompensationsverbotes hätte bei der Berechnung des Hinterziehungsbetrages nicht nur die nachzuzahlende Umsatzsteuer von rund 680.000 Euro, sondern der gesamte Jahresumsatzsteuerbetrag von rund 4,8 Millionen Euro berücksichtigt werden müssen. Danach berechneten sich auch die 5 Prozent, die zugunsten der Staatskasse bezahlt werden müssten, um von der Strafverfolgung abzusehen. Der Geschäftsführer müsse daher weitere knapp 210.000 Euro zahlen, um einem Strafverfahren zu entgehen.

Seht man einmal von der streitigen Frage ab, ob dem Geschäftsführer wegen der ihm erteilten Auskunft, „es passe schon“, wenn er die Erklärung ein paar Tage später abgebe, überhaupt ein Vorsatz oder eine Fahrlässigkeit angelastet werden kann, dann ist – so das wirtschaftliche Ergebnis – die rechnerische Position des Finanzamtes wohl zutreffend. Das Ergebnis ist grotesk: Der wirtschaftliche Verspätungsschaden für 3 Tage  beläuft sich bei einer Steuerlast von  680.000 Euro und einem Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr  auf etwas mehr als 330 Euro. Die Kompensationzahlung zur Vermeidung des Strafverfahrens soll demgegenüber 240.000 Euro betragen. Man fragt sich sicher nicht zu Unrecht, ob das noch verhältnismäßig sein kann.

Der Geschäftsführer hat im konkreten Fall das Anerbieten der Finanzbehörde abgelehnt. Er wäre zur Zahlung auch wohl gar nicht in der Lage. Jetzt muss im Strafverfahren geklärt werden, wer Recht hat. Was für ein Recht???, könnte man fragen.

Es gab natürlich viele zusätzliche Aspekte, die in dem geschilderten Fall zu beleuchten waren. Es würde den Rahmen eines Blogbeitrages sprengen, diese hier vollständig zu referieren. Immerhin hat das Seminar 10 Zeitstunden gedauert. Es war eine gut investierte Zeit, und das ist nicht immer so bei Fortbildungsveranstaltungen. Deshalb noch einmal: Ein dickes Lob für die Referenten!

 


Kategorie: Strafblog
Permalink: Fortbildung der Extraklasse: Wie aus 330 Euro Verspätungsschaden ganz schnell 240.000 Euro werden können
Schlagworte: