Justizblüten der besonderen Art: Haftfortdauer trotz Bewährung



Veröffentlicht am 22. April 2012 von

Der Kollege Flauaus berichtet in seinem Blog unter dem Titel „Du nix brauche Dolmetscher, du gehe Knast“ über einen Richter, der einen jamaikanischen Angeklagten, der kein Deutsch spricht, ohne Anwesenheit eines Dolmetschers (aber immerhin und schrecklicherweise mit Verteidiger) zu einer Strafe ohne Bewährung verurteilt hat. Kaum zu glauben? Es geht noch doller, das habe ich vor Jahren selbst vor einem hiesigen Gericht erlebt.

Richter Harry Hübsch (Name geändert) war mehr als zwei Jahrzehnte lang Beisitzer in einer Schwurgerichtskammer gewesen, bevor er auf eigenen Wunsch als Einzelrichter ans Amtsgericht versetzt wurde. Dort zeigte er in einer Reihe skurriler Entscheidungen, dass ein Richter, der immer unter der Kuratel eines dominanten Vorsitzenden stand, grundlegende prozessuale Kenntnisse aus den Augen verlieren kann.

Wie auch der Kollege Flauaus betrat ich den Sitzungssaal und nahm auf der Zeugenbank Platz, weil die vorhergehende Verhandlung noch nicht beendet war. So bekam ich mit, wie Richter Hübsch ein Urteil gegen einen anwaltlich nicht vertretenen und offensichtlich kaum sprachkundigen Kosovo-Albaner verkündete. Ein Dolmetscher fehlte auch hier. Ich erinnere mich nicht mehr daran, worum es in dem Fall ging, aber die Strafe lautete auf 10 Monate mit Bewährung. Soweit, so gut (oder auch nicht). Dann folgte der ein wenig erstaunliche Satz: „Die Untersuchungshaft dauert aus den Gründen ihrer Anordnung fort.“ Während ich noch überlegte, ob da möglicherweise in anderer Angelegenheit ein Untersuchungshaftbefehl in der Welt sein könnte, hörte ich Herrn Hübsch sagen, dass trotz der Strafaussetzung zur Bewährung Fluchtgefahr bestehe, weil der arme Mann über keine eigene Wohnung und über keine Arbeit und als Asylbewerber auch über keine hinreichenden sozialen Bindungen im Inland verfüge.

Von der Zeugenbank aus sagte ich halblaut in den Saal: „Haftfortdauer bei Bewährung? Das geht doch gar nicht!“ Richter Hübsch schaute indigniert in meine Richtung. Als er mich erkannte, fragte er verunsichert: „Wieso geht das nicht?“ „Wovor soll der Mann denn weglaufen, wenn er Bewährung bekommt?“ entgegnete ich.

„Ja, hmm,entschuldigen Sie bitte, aber ich war ein paar Tage lang krank und rekonvalesziere noch“, gab der Richter etwas hilflos zurück und fügte hinzu:“Und was machen wir jetzt, Herr Verteidiger?“ Unabhängig davon, dass ich mit dem Verfahren ja eigentlich nichts zu tun hatte, schlug ich vor: „Heben Sie den Haftbefehl doch einfach auf, das geht noch!“

„Na gut, dann machen wir das“, sagte Hübsch ein wenig erleichtert und verkündete einen entsprechenden Beschluss. Dann schaute er in Richtung des Angeklagten und meinte trocken: „Da haben Sie ja nochmal Glück gehabt.“

Ich hatte den Eindruck, dass der Mann von all dem kaum etwas verstanden hat. War vielleicht auch gut so, denke ich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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