Kurze Zusammenfassumg zum Gesetzesentwurf zur Neureglung des Ausbleibens des Angeklagten in der Beru­fungsverhandlung (§ 329 StPO)



Veröffentlicht am 9. Februar 2015 von

Ein Kurzer Beitrag unserer künftigen Junganwältin Kerstin Reiß:

I.

Im deutschen Strafverfahrensrecht gilt traditionell der Grundsatz, dass gegen eine abwesende oder ausgebliebene Person im erstinstanzlichen Verfahren keine Hauptverhandlung stattfinden darf. Dieser Grundsatz ist ausdrücklich in den §§ 230 Abs. 1 und 285 Abs. 1 der Strafprozessordnung normiert. Das vorgenannte Anwesenheitsprinzip basiert maßgeblich auf dem Verfahrensgrundsatz des Gebotes der Gewährung von rechtlichem Gehör, welcher aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes für den Angeklagten abgeleitet wird sowie der in § 244 Abs. 2 der Strafprozessordnung normierten richterlichen Aufklärungspflicht. Die Grundregel der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung berücksichtigt sowohl die Belange des Angeklagten als auch das öffentliche Interesse an der Aufklärung einer Straftat und wird somit rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht.

 

Nach der aktuell im Berufungsverfahren geltenden Gesetzeslage ist gemäß der Rege­lung des § 329 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung eine von dem Angeklagten eingelegte Berufung gegen ein Strafurteil von dem Berufungsgericht unmittelbar zu verwerfen, falls der Angeklagte nicht persönlich zu einem anberaumten Hauptverhandlungstermin in dem Berufungsverfahren erscheint. Eine Vertretung durch einen ordnungsgemäß bevollmächtigten Rechtsanwalt in dem entsprechenden Verhandlungstermin beschränkt die vorgenannte Regelung auf wenige, gesetzlich ausdrücklich zugelassene Ausnahmekonstellationen, wie z. B den Fall, dass für den Angeklagten weder eine Freiheitsstrafe noch eine mehr als nur geringe Strafe (Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen) in Frage kommt oder dass der Angeklagte von dem Erscheinen in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß befreit worden ist. Zudem kann eine Vertretung bei der Berufung gegen ein im Privatklageverfahren ergangenes Urteil erfolgen sowie auch dann, wenn die Berufungsverhandlung nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl stattfindet.

 

II.

Am 08. November 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kontro­vers zu der in Deutschland geltenden Regelung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO und ent­schied, dass die Verwerfung einer Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO im Fall des Er­scheinens eines Verteidigers als Vertreter des Angeklagten eine Verletzung des in
Art. 6 Abs. 3 c) EMRK garantierten Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, darstelle.

 

Zudem wurde bereits Ende Februar 2009 von dem Rat der EU der Rahmenbeschluss zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, verab­schiedet.

 

Die Bundesregierung hat nunmehr auf diese Entwicklung in der europäischen Rechtspre­chung reagiert und am 17.12.2014 einen Gesetzesentwurf zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung eingebracht (BT-Drucksache 18/3562).

 

Nach der geplanten Gesetzesneuerung wird zukünftig auch ohne den Angeklagten in dem Berufungstermin verhandelt werden dürfen, falls nicht besondere Umstände vorliegen, die nach Auffassung des zuständigen Gerichtes die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich machen.

Der vorgelegte Entwurf sieht vor, dass § 329 StPO abgeändert wird. Zukünftig soll eine Verwerfung der Berufung nicht mehr erfolgen dürfen, wenn ein ordnungsgemäß bevoll­mächtigter, vertretungsberechtigter Verteidiger erscheint, um den ausgebliebenen Ange­klagten zu vertreten. Diese Regelung soll auch über die bisher zugelassenen, oben näher erörterten Ausnahmekonstellationen hinaus gelten.

 

Laut Entwurf soll die Neufassung des § 329 StPO jedoch kein Recht auf Abwesenheit begründen. Die Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung bleibt trotz neu geschaffener Vertretungsmöglichkeit im Grundsatz bestehen. Sollte das entscheidende Gericht die Anwesenheit des Angeklagten für geboten erachten, besteht nach dem Entwurf auch weiterhin die Möglichkeit gemäß dem bisherigen § 329 Abs. 4 StPO (neu § 329 Abs. 3 StPO) Zwangsmittel zur Vorführung oder zur Hauptverhandlungshaft anzuwenden.

 

III.

Grundsätzlich ist eine Entlastung der deutschen Justiz durch diese geplante Neuregelung wohl nicht zu erwarten. Für verurteilte Angeklagte könnte diese Entwicklung ggf. sogar einen gesteigerten Anreiz zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens darstellen, so dass die Zahl der Berufungen einen Anstieg verzeichnen könnte.

 

Letztendlich ist aber im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, nach der der Angeklagte generell die Wahl hat, ob er an einer Verhandlung teilnimmt oder sich ordnungsgemäß vertreten lässt, eine Reaktion der Bundesregierung und die Einführung eines Entwurfes zur Neuregelung unerlässlich gewesen. Da sieht man mal, dass der EGMR durchaus (manchmal) dazu beiträgt, die Bürgerrechte zu stärken.

Assessorin Kerstin Reiß


Kategorie: Strafblog
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