Ja, man kann auch in der Strafverteidigung von „Highlights“ sprechen, von herausragenden Verfahren, die sich wegen ihrer besonderen Bedeutung, ihrer tatsächlichen und rechtlichen Eigentümlichkeiten oder wegen ungewöhnlicher Randereignisse abheben von der Vielzahl anderer Verfahren, mit denen man als Verteidiger betraut ist. Das Jahr 2012 ist fast vorüber, meine letzte Hauptverhandlung in diesem Jahr habe ich hinter mich gebracht, und so kann ich, nachdem die Welt trotz anderer Vorhersagungen doch nicht untergegangen ist, jetzt schon ein persönliches Resümee ziehen bezüglich der rund 120 Verfahren mit fast 180 Hauptverhandlungstagen, die mich über die letzten 12 Monate hinweg beschäftigt haben.
Da ist zunächst das Beltracchi-Verfahren zu nennen, Deutschlands vielleicht spektakulärster Kunstfälscherprozess der Nachkriegszeit, das im Frühjahr vor dem Kölner Landgericht stattgefunden hat. Nach nur 9 Verhandlungstagen endete das Verfahren mit moderaten Freiheitsstrafen zwischen 4 und 6 Jahren für die drei Hauptangeklagten, denen in der Anklage bandenmäßiger Betrug in 14 Fällen mit einem Schaden von mehr als 30 Millionen Euro zur Last gelegt worden war. Insgesamt hatte das Berliner Landeskriminalamt mit seiner auf Kunstfälschungen spezialisierten Abteilung bis dahin 56 Falsifikate ermittelt, die in vielen bedeutenden Musseen und Kunstsammlungen über die ganze Welt verstreut ausgestellt worden waren, der tatsächliche Schaden könnte sich im dreistelligen Millionenbereich bewegen. Das Urteil war im Rahmen einer Verfahrensabsprache unter Beteiligung aller Verteidiger „ausgedealt“ worden. Die Staatsanwaltschaft hatte zugesagt, alle weiteren Ermittlungsverfahren wegen der verbleibenden 42 Kunstfälschungen einzustellen. Darüber hinaus war abgesprochen worden, dass alle Angeklagten mit der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen werden, so dass die Möglichkeit des offenen Strafvollzugs bestand. Das Medieninteresse war gewaltig und nicht nur die zahlreich anwesenden Journalisten haben es bedauert, dass keiner der beteiligten Auktionatoren, Galeristen und Kunstsachverständigen als Zeuge vernommen wurde. Ob da bei dem Einen oder Anderen nicht die Gier eine Rolle gespielt hat, als es darum ging, ein Kunstwerk als echt zu klassifizieren und dann zu verkaufen? Auch ich wäre durchaus neugierig gewesen zu sehen, wie sich die Zeugen da vor Gericht präsentiert hätten. Aber natürlich ging das Ergebnis für den Mandanten vor, und der kann sicher zufrieden sein.
Dann war da das Hamburger Piratenverfahren, das im Oktober nach 23 Monaten Verhandlungsdauer und immerhin 105 Verhandlungstagen zu Ende gegangen ist. Mein persönlicher Höhepunkt war die Haftentlassung meines jugendlichen Mandanten im April, für die ich mehr als ein Jahr lang gekämpft hatte. Die Freude Abdiwalis, erstmals in Freiheit durch Hamburg flanieren zu können, werde ich sicher nie vergessen. Ich habe im strafblog darüber berichtet. Abdiwali wurde letztlich zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt, die durch die Untersuchungshaft voll verbüßt sind. Ein Urteil, das sich durchaus sehen lassen kann, auch wenn ich der Ansicht bin, dass überhaupt keine Jugendstrafe hätte verhängt werden dürfen, weil die Schwere der Schuld nach den Gesamtumständen zweifelhaft ist und die Verhängung einer Freiheitsstrafe erzieherisch nicht geboten war. Damit wird sich der Bundesgerichtshof wohl noch befassen müssen.
Ein anderes Großverfahren, nämlich der Prozess gegen zuletzt noch vier zur Religionsgemeinschaft der Sikhs gehörende indische Staatsangehörige, ist erst vor einer Woche nach 55 Verhandlungstagen vor dem Staatsschutzsenat des Frankfurter OLG zu Ende gegangen. In dem Verfahren, in dem es unter anderem um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und um Verabredung zum Mord ging, waren zahlreiche Zeugen von Verfassungschutz, Bundes- und Landeskriminalämtern, Bundesnachrichtendienst und anderen Behörden gehört worden. Unverständlich, dass die Öffentlichkeit von diesem ungewöhnlichen Verfahren so gut wie keine Notiz genommen hat. Ein Jahr und 9 Monate mit Bewährung lautete der Urteilsspruch gegen meinen wirklich sympathischen Mandanten, bei dem das Gericht nur einen Teil der Tatvorwürfe als nachgewiesen angesehen hat. Gegenüber den Freiheitsstrafen von 4 Jahren und 3 Monaten bzw. 4 Jahren, die das Gericht gegen zwei Mitangeklagte verhängt hat, ist die Strafe moderat ausgefallen, aber wir werden das Urteil trotzdem beim BGH zur Überprüfung stellen.
Eine ganz besondere Freude war für mich die Verhängung einer zweijährigen Bewährungsstrafe für einen Mandanten, die erst im dritten Anlauf und nach erfolgreicher Revision vor dem BGH erreicht werden konnte. Zuvor war der Mann in einem rechtsstaatlich bedenklichen Verfahren im zweiten Anlauf zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden, nachdem der Prozess nach 22 Verhandlungstagen wegen des Todes eines Schöffen neu begonnen werden musste. Der glückliche Mandant hatte sich mit einem wunderbaren Dankesschreiben an uns gewandt, das ich mit seiner Zustimmung unter dem Titel „Ich wasche keine Elefanten“ im strafblog veröffentlicht habe.
Sie sehen, dass nicht nur Freisprüche und Verfahrenseinstellungen, von denen es im Laufe des Jahres auch eine beachtliche Menge gegeben hat, zu Highlights werden können, sondern gerade auch solche Verfahren, in denen um einen moderaten Ausgang gekämpft werden muss. Erfolg bedeutet für mich als Strafverteidiger, im Rahmen realistischer Zielsetzungen möglichst oft nahe an den „best case“ heranzukommen und den „worst case“ klar zu vermeiden. So gesehen war 2012 ein richtig erfolgreiches Jahr.
Ich wünsche allen strafblog-Lesern ein frohes Weihnachtsfest!
Kategorie: Strafblog
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