Obszöne Worte aus Richtermund: Pornovorlesung im Sitzungssaal



Veröffentlicht am 21. November 2012 von

La_grande_Epidemie_de_PORNOGRAPHIE.gif: 19th century French engraver, reprinted in Karikatur Album II, page 332; by C. E. Jensen; København MDCCCCXII

Wenn ein unbeteiligter Zuschauer am vergangenen Donnerstagnachmittag unvorbereitet den Saal 100 des Mönchengladbacher Landgerichts betreten hätte, wäre er sicher verwundert gewesen. Vielleicht hätte er auch geglaubt, dass er die Lokalität verwechselt hat.  Abwechselnd verlasen nämlich der Vorsitzende Richter und seine jugendlich wirkende Beisitzerin mehr als eine Stunde lang höchst pornografische Texte im krassen Schmuddeljargon. Die Texte hatten sich auf der Festplatte eines sichergestellten Computers befunden, den Polizeibeamte in einem Missbrauchsverfahren im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten gefunden und sichergestellt hatten.

Als Verteidiger hatte ich einer Verlesung der Texte in der Hauptverhandlung widersprochen, weil diese für das Verfahren gegen meinen Mandanten, für den ich eine vollumfängliche geständige Einlassung in Aussicht gestellt hatte, keine Bedeutung habe. Die Kammer hatte beraten und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verlesung dazu beitragen könnte, mehr über die Persönlichkeit des Angeklagten zu erfahren. Ob dies im Falle einer Revision einer rechtlichen Überprüfung standhalten würde, sei an dieser Stelle dahingestellt. Immerhin könnte man die Texte als tagebuchähnliche höchst persönliche Aufzeichnungen verstehen, die – wenn sie dem Angeklagten zuzuordnen sind – allenfalls sehr eingeschränkt einer Beweisaufnahme zugänglich sind und nur im Rahmen einer Güterabwägung in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen, wenn andernfalls ein Tatnachweis nicht möglich wäre.

Auf meinen Antrag hin hatte die Kammer wenigstens die Öffentlichkeit gem. § 171b GVG für die Dauer der Verlesung von der Hauptverhandlung ausgeschlossen, so dass die Gefahr eines plötzlichen Hereinplatzens Unbeteiligter in die Verhandlung gebannt war. So waren nur die umittelbar Verfahrensbeteiligten nebst der Saalwachtmeister anwesend, als der  skurril anmutende Vortrag der überwiegend aus der Ich-Perspektive einer Frau geschriebenen sexuellen Details begann. Diese hier inhaltlich wiederzugeben, verbietet sich aus der Natur der Sache heraus, aber ich glaube nicht unbedingt , dass eine derart derbe Ausdrucksweise schon oft den Weg über die Lippen der richterlichen Vorleser gefunden hat, die alle möglichen Arten der Genitalakrobatik und anderer Sexpraktiken sozusagen mit der Lupe und in Großaufnahme einschließlich der zugehörigen Geräuschkulisse beschrieb. Beide Richter bemühten sich, unspektakulär, aber hinreichend deutlich vorzutragen und die textlich langgezogenen Lustlaute wie „Aaaaahhh!!!“ und „Ooooohhhh!“ durch eine entsprechende Betonung zumindest anzudeuten. Es war eine gewisse Erleichterung im Saal spürbar, als die Vorlesung schließlich bewältigt war. Auch die Schöffen und die Staatsanwältin und der Nebenklageverteter schienen wieder zu wissen, wo sie hingucken konnten, nachdem die verbale Kanonade mit vulgären Unworten und schlüpfrigen Detailbeschreibungen geendet hatte.

Ich habe so meine Zweifel, ob die Vorlesestunde dazu beitragen wird, der Wahrheitsfindung auf die Sprünge zu helfen, denn niemand geht davon aus, dass die verlesenen Geschichten ein tatsächliches Geschehen wiedergeben. Und der verwendete Pornojargon ist so einschlägig, dass ihm aus meiner Sicht nur wenig Originaliät zukommt, welche wirkliche Einblicke in das Innenleben des Angeklagten zulässt. Bis auf die Tatsache vielleicht, dass ausschließlich einvernehmliche, gewaltfreie Sexpraktiken geschildert werden. Aber Gewaltanwendung oder anderer Zwang wird dem Mann in der Anklage auch nicht zur Last gelegt.

Demnächst geht es weiter in diesem Verfahren, dann wird es wohl zur Einlassung zur Sache kommen. Wir wollen dem Tatopfer den Auftritt vor Gericht ersparen, das haben wir schon angekündigt, um eine (Sekundär-)Traumatisierung nach Möglichkeit zu vermeiden. Das ist das Wenigste, was der Angeklagte jetzt noch für die Zeugin tun kann.

 


Kategorie: Strafblog
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