Tod eines Motorradfahrers bei 160 km/h innerorts – Mitverschulden des Linksabbiegers?



Veröffentlicht am 13. Dezember 2012 von

Reichlich emotional verlief eine Hauptverhandlung wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Bergisch-Gladbach, in der ich am Dienstag einen promovierten Akademiker verteidigt habe. Der sehr straßenverkehrserfahrene Mandant war mit seinem Pkw sonntags zum Bäcker gefahren, um dort Kuchen zu kaufen. Da der Parkplatz vor der Bäckerei besetzt war, fuhr der Mann noch ein paar Meter weiter geradeaus, um dann nach links in eine Einfahrt abzubiegen und dort zu wenden. Vor dem Abbiegevorgang hatte er sich vergewissert, dass kein Gegenverkehr kam. Die Straße war völlig frei. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihm, dass etwa 100 bis 120 Meter hinter ihm eine Gruppe von 4 Motorradfahrern folgte, die sich  mit normaler innerstädtischer Geschwindigkeit näherte. Nach eigenen Angaben hat er auch noch ein zweites Mal im Innen- und Außenspiegel zurückgeschaut, bevor er den Abbiegevorgang einleitete. Den linken Fahrtrichtungsanzeiger hatte er wohl gesetzt, nach Zeugenaussagen und den Feststellungen des Unfallsachverständingen soll er sich allerdings nicht zur Straßenmitte hin eingeordnet haben, sondern eher vom rechten Fahrbahnrand aus nach links ausgeschert sein. Als sich sein Fahrzeug quer zur vorherigen Fahrtrichtung auf der Gegenfahrbahn befand, prallte eines der nachfolgenden Motorräder mit hoher Geschwindigkeit in die C-Säule seines Pkws. Der Kradfahrer wurde etliche Meter durch die Luft geschleudert und schlug auf den Boden auf. Der junge Mann starb kurz darauf im Krankenhaus. Mein Mandant wurde durch Glassplitter nur leicht verletzt.

Ein tragisches Unfallgeschehen mit schrecklichen Konsequenzen, kein Zweifel. Der Motorradfahrer hinterließ eine junge Verlobte und ein Kleinkind. Die müssen jetzt ohne den Partner und ohne Vater weiterleben. Und sie trifft an dem Unfallgeschehen gewiss keine Schuld.

Ein Unfallsachverständiger hatte festgestellt, dass die Aufprallgeschwindigkeit des Motorrads bei ca. 130 km/h gelegen hat. Zuvor war noch eine Vollbremsung erfolgt, die Geschwindigkeit vor der Bremsung kann bei 160 km/h gelegen haben. Es wurden Weg-/Zeitdiagramme erörtert. Etwa 2,7 Sekunden vor der Kollision hatte der Pkw-Fahrer danach den Abbiegevorgang eingeleitet. Der Kradfahrer dürfte – wenn man die Zeugenaussagen der anderen Motorradfahrer einbezieht – etwa 3 Sekunden vor der Kollision auf die Gegenfahrbahn ausgeschert sein. Dann hätte der Pkw-Fahrer ihn bei der Rückschau sehen können. Wäre der Motorradfahrer mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 kam/h gefahren, hätte er das Krad bequem vor der Kollisionsstelle zum Stehen bringen können. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn der Pkw hätte in diesem Fall bereits die Einfahrt auf der gegenüberliegenden Straßenseite erreicht gehabt und das Motorrad hätte einfach passieren können. Auch bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h wäre der Unfall vermieden worden.

Wäre der Pkw nicht nach links abgebogen, wäre der Unfall natürlich auch vermieden worden. Fragt sich, ob der Pkw-Fahrer die überhaus hohe Beschleunigung des Motorrades erkennen konnte. Musste er mit einer derart überhöhten Geschwindigkeit rechnen? Hatte er vielleicht doch das Gebot des § 9 Abs. 1 StVO zur doppelten Rückschau verletzt? Oder musste er vielleicht gar keine zweites Mal Rückschau halten, weil die Verkehrslage hierzu keinerlei Anlass gab? Nach Satz 4, 2. Halbsatz der genannten Vorschrift ist die zweite Rückschau beim Linksabbiegen ausnahmweise entbehrlich, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Ich habe Rechtssprechung zitiert, wonach der Abbiegende nicht mit einem derart extremen Verkehrsverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers rechnen müsse, wenn es hierzu keinen besonderen Anlass gegeben habe.  Der Nebenklagevertreter vertrat den Standpunkt, es habe gar kein Abbiegevorgang vorgelegen, sondern ein Wendemanöver, das noch höhere Sorgfaltsplichten begründe.

Immerhin bestand Einigkeit darüber, dass den ums Leben gekommenen Motorradfahrer das ganz überwiegende Verschulden an dem Unfall traf. 160 km/h innerorts, niemand weiß, warum der Mann plötzlich so aufgedreht hat. Der Haftpflichtversicherer des beteiligten Pkws hatte aufgrund des Sachverständigengutachtens eine auch nur teilweise Regulierung des gegnerischen Unfallschadens außergerichtlich abgelehnt. Die junge Verlobte der Unfallopfers, eine Studentin, hatte das sehr beklagt. Ihr Anwalt ließ erkennen, dass insoweit aus seiner Sicht das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Die Verlobte hatte auch beklagt, dass mein Mandant sich nach dem Unfall nicht mit ihr in Verbindung gesetzt habe. Darüber sei sie menschlich sehr enttäuscht gewesen. Wir haben darauf hingewiesen, dass mein Mandant zunächst nichts von der Existenz einer Verlobten und eines Kindes gewusst habe. Hiervon habe er erst durch die Zustellung der Nebenklage erfahren. Wegen der Nebenklage sei ihm von einer Kontaktaufnahme abgeraten worden.

Die sehr sorgfältige und besonnene Richterin hat vorgeschlagen, das Verfahren gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages von 2.000 Euro an das hinterbliebene Kind des Unfallgegners einzustellen. Sie hat erkennen lassen, dass sie bei streitiger Verhandlung wohl freisprechen werde. Aber so werde vielleicht auf angemessene Weise Rechtsfrieden hergestellt und dem Kind komme das zugute. Dem nicht unvermögenden Angeklagten tue das finanziell nicht sonderlich weh, aber es sei eine Geste. Der Staatsanwalt hat signalisiert, dass er zustimmen werde.

Ich habe die Sitzung unterbrechen lassen und die Sach- und Rechtslage mit dem Mandaten erörtert. Wir haben besprochen, dass die Nebenklage bei Freispruch sicher ins Rechtsmittel gehen werde. Dann werde die den Mandanten belastende Angelegenheit sich noch weiter hinziehen. Nach einer Berufung komme auch noch eine Revision in Betracht. Außerdem wisse man nie, ob ein Berufungsgericht nicht vielleicht doch ein gewisses Mitverschulden annehmen und doch zu einer Verurteilung kommen  werde. Vor Gericht und auf hoher See …

Gegen eine Einstellung steht der Nebenklage jedenfalls kein Rechtsmittel zu.

Wir haben auch zivilrechtliche Aspekte erörtert. Ob dem Mandanten bzw. der Haftpflichtversicherung zumindest unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr eine Mithaftungsquote anzulasten sei, werde die Gegenseite sicher gerichtlich klären lassen. Für diese Frage wäre eine Verfahrenseinstellung oder auch ein Freispruch aber  nicht wirklich präjudiziell.

Mein Mandant hat sich dazu entschieden, den Vorschlag der Richterin zu akzeptieren, auch wenn ein Freispruch wahrscheinlich war. Wegen des Rechtsfriedens und auch als menschliche Geste. Ich habe dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, dass dies von unserer Seite nicht mit einem Schuldeingeständnis verbunden sei. Ich habe in diesem Zusammenhang auch von „menschlicher Größe“ gesprochen.

Der im Sitzungssaal anwesende Vater des Unfallopfers empörte sich hierüber. Was sind schon 2.000 Euro für den Tod eines Menschen? Der Mann war sehr emotional, ich denke, er hat die Situation nicht besonders sachgerecht wahrnehmen können. Nach der Sitzung kam er  auf dem Gerichtsflur noch auf uns zu. Ob ich Kinder habe, wollte er wissen. Wenn er wirklich menschliche Größe zeigen wolle, meinte er zu meinem Mandanten, dann solle der ein Konto zugunsten des Kindes einrichten und monatliche Zahlungen darauf leisten. Das kam sehr fordernd.

Einer der anderen Motorradfahrer, die gemeinsam mit dem Unfallopfer unterwegs gewesen waren, sprach uns ebenfalls an. Der junge Mann war sehr freundlich und zurückhaltend. Er wolle meinem Mandanten nur anbieten, sich einmal zu treffen und über das Geschehene zu reden. Er verstehe, dass das Unfallereignis sicher auch für diesen sehr belastend sei. Es gehe ihm nicht um eine Schuldverteilung. Was passiert sei, sei passiert. Aber er würde ihm gerne einmal erzählen, was für ein Mensch der Verstorbene gewesen sei. Derselbe Mann hatte sich am Unfallort nach dem Befinden meines Mandanten erkundigt und diesem sein Handy zur Verfügung gestellt, damit er seine Frau anrufen konnte.

Es war gut, danach wieder an die frische Luft zu kommen. Wir haben vor dem Gericht noch ein paar Minuten miteinander geredet. Ich denke, es ist schlimm, an einem tödlichen Unfall beteiligt zu sein, auch wenn man die Schuld nicht bei sich sieht. Man wälzt ja trotzdem immer wieder in seinem Kopf herum, ob man das Geschehen nicht doch hätte vermeiden können. Da sind Bilder, die wird man so leicht nicht los. Auch ohne Schuld.

 

 

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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