Herr Vorsitzender, Sie sind der Erste, der mir das verweigert! Zur Zulässigkeit eines „Opening Statements“ durch die Verteidigung



Veröffentlicht am 9. Dezember 2012 von

Seit Jahren eröffne ich in geeigneten Fällen unmittelbar nach Verlesung der Anklage meine Verteidigung mit  einer Gegenerklärung, die man auch als „Opening Statement“ bezeichnet.

Der Begriff stammt aus dem amerikanischen Parteiprozess. Eine solche Gegenerklärung der Verteidigung ist in der StPO nicht geregelt, wird aber allgemein für zulässig, ja sogar für geboten erachtet.[1]

Mit der Verlesung des Anklagesatzes werden nämlich die Verfahrensbeteiligten über den Prozessstoff und die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten i.S. einer Verdachtshypothese (§ 203 StPO) informiert, wobei der Sachverhalt als angeblich schon gesicherte Feststellung beschrieben wird.[2]

Mit einem „Opening Statement“ setzt die Verteidigung der Anklage ein Gegengewicht entgegen, um insbesondere die Schöffen darauf hinzuweisen, dass soeben eine Hypothese der Staatsanwaltschaft verlesen wurde und erst die gerade beginnende Hauptverhandlung dazu da ist, diese Hypothese zu überprüfen, zu verifizieren oder zu verwerfen, die Anklage also möglicherweise angreifbar ist und sich durch die Beweisaufnahme – wenn auch vielleicht nur in einigen Punkten – nicht bewahrheiten wird.[3]

Neulich aber ist es mir zum ersten Mal passiert, dass ein von mir ansonsten sehr geschätzter, vernünftiger  Richter, mein beabsichtigtes „Opening Statement“  in einem Mordverfahren rundweg als unzulässig zurückwies.

Er mag sich dabei auf den Kommentator Schneider im Karlsruher Kommentar bezogen haben. Der schreibt nämlich:

„Nur ausnahmsweise – z.B. im Zusammenhang mit Verständigungen – wird Veranlassung bestehen, dem Verteidiger Gelegenheit zur Gegenerklärung auf die Anklage bzw. zu einem „Eingangs-Statement“ zu geben. Ein Erklärungsrecht hat der Verteidiger nicht. Der Vorsitzende entscheidet im Rahmen seiner Verhandlungsleitung, ob er dem Verteidiger das Wort erteilt.“[4]

Meyer-Goßner legt die Entscheidung über die Zulassung einer „Eingangserklärung“ der Verteidigung in das Ermessen des Vorsitzenden, ohne das Problem kritisch zu hinterfragen. Bei ihm klingt die Kommentierung, als ob es sich bei der Zulassung der Gegenerklärung allenfalls um eine „schrullige“ Großzügigkeit des Vorsitzenden Richters handeln würde. [5]

Hier schreibt mal wieder einer vom anderen ab, ohne dass man es für geboten hält, seine Meinung auch nur im Ansatz zu begründen. So entstehen faktische und – leider – (vermeintlich) „herrschende Meinungen“.

Was aber könnte tatsächlich und grundsätzlich gegen ein „Opening Statement“ sprechen?

Sicherlich nicht, dass eine solche Gegenerklärung in der StPO nicht ausdrücklich verankert ist. Wir erinnern uns, dass auch Verständigungen im Strafprozess jahrzehntelang üblich waren und erst vor kurzem einer gesetzlichen Regelung zugeführt wurden. Als Argument käme noch die Angst in Frage, eine Gegenerklärung könnte von der Verteidigung zur Vorwegnahme des Plädoyers missbraucht werden.

Ich räume ein, es gibt Kollegen, die die „andere Seite“, also das Gericht und die Staatsanwaltschaft, ihren Mandanten als Feindbild verkaufen und – ständig mit der selbstgerechten Fahne der Konfliktverteidigung in der Hand – die strafprozessuale Kultur des fairen, konstruktiven Dialogs, der zuweilen durchaus auch mit strafprozessual zulässigen Mitteln  kontrovers zu führen ist, mit Füßen treten. Das sind die Strafverteidiger, die unentwegt und als erstes den Begriff des „fair trial“ inflationär im Munde führen, ihn aber immer nur auf „die Anderen“ gemünzt sehen wollen. Ihnen wäre aus Marketing-Gründen mit Blick auf den kurzsichtigen Mandanten der Missbrauch des „opening-statements“ durchaus zuzutrauen.

Dabei wollen wir nicht vergessen, dass so verstandene (strafprozessuale) Antikultur nicht von (einigen)  Strafverteidigern alleine gepachtet ist. Ich erinnere mich an den einen oder anderen Staatsanwalt, der aus behördeninternen Marketinggründen § 160 aus seiner Strafprozessordnung gestrichen hat und mit umgekehrtem Vorzeichen ganz ähnlich wie die gescholtenen „Prinzip-Konfliktverteidiger“ im Verfahren agierte.

Damit stellt sich konkret die Frage, ob die mit der grundsätzlichen Verweigerung einer Gegenerklärung ausgedrückte Skepsis  gegenüber der Verteidigung zielführend ist, und als Vorfrage dazu: Was ist das Ziel?

Ich will das Motto der Fußball-EM 2012 dazu aufgreifen: „Respect Diversity!“ Und ergänzend dazu – „Kultur, strafprozessuale Kultur!“. Wollen wir Verfahrensbeteiligte im alltäglichen Kampf um´s (relative) Recht uns von Extremisten der einen oder anderen Seite,unsere Dialogbereitschaft, unseren Umgang miteinander diktieren lassen, oder halten wir unsererseits die Fahne des fairen Dialogs standhaft hoch?

Eine Gegenerklärung erläutert das Ziel der Verteidigung, macht frühzeitig auf zu thematisierende Probleme aufmerksam, erklärt ein mögliches Schweigen des Angeklagten zum jetzigen Zeitpunkt und informiert das Gericht über etwaige Schritte der Verteidigung im weiteren Prozessverlauf.  Es dient damit dem konsensualen Dialog und der Prozessökonomie und nicht zuletzt der Umgangskultur zwischen den Beteiligten. Einem Missbrauch kann der Vorsitzende im Rahmen der Verhandlungsführung  unschwer durch Entzug des Wortes begegnen. Das durch die Nichtzulassung der Gegenerklärung ungute und– hoffentlich nicht auf Misstrauen gegründete – Gefühl würde vermieden. Das Gericht würde sich mit  der Zulassung der Opening Statements  vielleicht diverse 257iger-Erklärungen und Beweisanträge, mit denen der Inhalt der untersagten Gegenerklärung doch wieder eingeführt werden kann, ersparen! Auch das diente der Prozessökonomie.

Fazit: Opening Statements sollten als grundsätzlich zugelassen angesehen werden und nur bei Missbrauch unterbunden werden können.


[1] Vgl. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens, Rn. 901 ff.; Salditt StV 1993, 442; Hammerstein, FS für Salger, S. 299; FS Hanack, S.67

[2] Vgl. Widmaier, Anwaltshandbuch, 1. Auflage 2006, Rn. 108

[3] Vgl. Widmaier, Anwaltshandbuch, 1. Auflage 2006, Rn. 109

[4] KK- Schneider, § 243 StPO, Rn. 32, 6. Auflage 2008

[5] Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 55. Aufl. 2012,  § 238, Rn 5

 

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

 

 


Kategorie: Stories
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