Nach der Vernehmung von 5 Zeugen in einer fiesen Mordsache beschloss der Vorsitzende eine 20 minütige Pause. „Das trifft sich gut“, sagte ich zu meiner Referendarin Claudia. „Im Nachgang zu unserem Antrag auf Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen, sollten wir den Sachverständigen spätestens jetzt wegen Befangenheit ablehnen. Was meinst du?“ Auf dem kurzen Weg ins Büro begannen wir leidenschaftlich über die Begründung des Antrages zu diskutieren, als mich die Schwester des Angeklagten auf meinem Handy anrief. Sie sei ja für nach der Pause als Zeugin geladen und müsse unbedingt vor ihrer Aussage noch einmal kurz mit mir reden. Ich sagte ihr, wir hätten gerade alle Hände voll zu tun und wenig Zeit, aber wenn es gar nicht anders ginge, solle sie kurz ins Büro nachkommen.
Wir hatten Glück, denn in der Küche war zur Abwechslung frisch aufgebrühter Kaffee, den ich ausnahmsweise mal nicht gemacht hatte. In meinem Büro rissen wir zur Vermeidung eines Anschisses von Bettina * die Fenster sperrangelweit auf und räumten zur Herstellung von Sichtkontakt einige Stapel Akten von meinem Schreibtisch. Immer noch diskutierend setzten wir uns und zündeten uns gemütlich und beinahe ohne schlechtes Gewissen eine Zigarette an.
„Also, der Sachverständige ist der Klopper!“, meinte Claudia. „Wenn´s nicht um so viel ginge, müsste man lachen. Für heute hatte er sich doch am 1. Verhandlungstag entschuldigt und sein überraschende Erscheinen heute mit der Begründung erklärt, es läge eine Verwechslung vor, er habe sich doch für den ersten Verhandlungstag entschuldigen wollen, weil er da berufsbedingt nicht gekonnt habe. Ist der senil? Der erste Verhandlungstag ist gerade mal fünf Tage her und da war er eindeutig anwesend.“
„Ja, aber das Härteste war doch seine Frage, ob er denn heute unbedingt dabei sein müsse, wo man doch nicht mit ihm gerechnet habe. Er habe viel zu tun und der Verzicht auf seine Anwesenheit käme ihm gut zu pass.“
„Und das, obwohl heute die wichtigsten Zeugen für das Vor- und Nachtatverhalten geladen sind. Wirklich unglaublich! Ich verstehe aber auch das Gericht nicht. Wieso entscheiden die nicht über unseren ersten Antrag, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen? Wir haben das Gutachten doch methodenkritisch so zerpflückt und an die Erde gerissen. Damit ist doch kein Blumentopf mehr zu gewinnen.“
„Die fahren ein ganz schönes Risiko oder rechnen die im Ernst nicht mit einem Befangenheitsantrag? Also, lass uns mal zusammenfassen und ein Argumentationsgerüst bauen. Was haben wir …?“
In diesem produktiven Moment klopfte es an der Türe und die Schwester des Angeklagten trat zusammen mit ihrer besten Freundin ein. Schnell wurde klar, dass nicht die Schwester mit mir reden wollte, sondern die Freundin, die aufmerksam die bisherige Beweisaufnahme vom Zuschauerraum aus beobachtet hatte und nun ohne Punkt und Komma in die ultimative Beweiswürdigung eintrat. Die Sache sei doch glasklar. Sie habe alles genau beobachtet. Der Angeklagte sei trotz seines polizeilichen Geständnisses unschuldig. Als seine Lebensgefährtin vernommen worden sei, habe er nach unten geguckt und als dann diese … Drogenschlampe, bei der er nach dem Mord genächtigt hat, aussagte, da habe er dem Flittchen direkt in die Augen geschaut. Ob ich das nicht bemerkt hätte. Der Angeklagte habe eindeutig ein Liebesverhältnis zu dieser „Dame“ und wolle sie decken. So sei der Angeklagte nun mal. Er nähme immer alles auf sich, selbst wenn er dafür lebenslang eingesperrt würde. Bestimmt stecke der Bruder der „Dame“ auch damit drin, das sei auch so ein Junkie. Ausgeraubt und ermordet hätten sie die arme alte Dame, um sich Drogen zu kaufen, und jetzt solle der Angeklagte dafür hinhalten.
Als meine Argumente gegen ihre Verschwörungstheorie an ihrer eifrigen Betonmaske ungehört zerschellten und im Strudel ihres Redeschwalls jämmerlich ertranken, riss mir schließlich der Geduldsfaden. Vielleicht etwas zu barsch, wies ich darauf hin, dass die Gerichtspause in ein paar Minuten ende und ich zu arbeiten hätte. Sie solle mit der Schwester des Angeklagten schon mal vor zum Gerichtssaal gehen. Wir kämen gleich nach. Mit verblüffter Miene wandte sich die Dame noch im Luftholen mit offenem Mund – wie ein an Land geworfender Fisch – abrupt zum Gehen. An der Türe drehte sie sich noch einmal zu mir um und sagte beleidigt: „Irgendwann werden Sie sehen, wie Recht ich hatte, und dann wird es Ihnen leid tun!“ Die Schwester meines Mandanten zuckte entschuldigend die Achseln, folgte verschämt ihrer Freundin und schloss behutsam hinter sich die Türe.
Ich schaute Claudia resigniert an. „Prüf doch bei Gelegenheit mal, welche Chancen ein Befangenheitsantrag gegen Prozessklugscheißer aus den hinteren Zuschauerrängen hat.“
Lächelnd erwiderte Claudia: „Oh Mann, so etwas in einer kostbaren Verhandlungspause braucht kein Mensch!“
* Bettina = militante Exraucherin und (nur diesbezüglich – leider) die Sekretärin von Gerd Meister, der – seiner Sekretärin und Gesundheit zu Liebe – sicherlich bald aufhören wird zu rauchen.
Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach
Kategorie: Stories
Permalink: Was man in einer kurzen Verhandlungspause so gar nicht braucht!
Schlagworte: Befangenheitsantrag, Gerd Meister, Mönchengladbach, psychiatrischer Sachverständiger, Rechtsanwalt, Referendarin, Verhandlungspause
vor: Herr Vorsitzender, ich will keinen Krieg, aber …
zurück: Herr Vorsitzender, Sie sind der Erste, der mir das verweigert! Zur...