Die Schatten der Vergangenheit können verdammt lang sein, wie ein heute 63 Jahre alter Musikpädagoge, der an einer Grundschule im Hamburger Stadtteil Volksdorf unterrichtete, in diesen Tagen schmerzlich feststellen muss. Nach einem Bericht bei spiegel-online soll der Mann in den Jahren 1990 und 1991 bei drei Gelegenheiten zwei damals sechs bzw. sieben Jahre alte Schülerinnen zu einem Zungenkuss gezwungen haben.
Eine der betroffenen Schülerinnen, die wohl ziemlich traumatisiert gewesen sein muss, hatte die Vorfälle im Jahr 2010, also fast 20 Jahre später, zur Anzeige gebracht. Das brachte dem Lehrer eine Anklage ein, über welche demnächst vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Außerdem wurde der Mann vom Dienst suspensiert.
Der strafrechtliche Laie fragt sich vielleicht, wieso solch ein im Vergleich zu anderen Missbrauchsfällen relativ banaler Fall nach so langer Zeit noch verfolgt werden kann. Hierzu ein paar Erklärungen:
Nach § 174 StGB wird der sexuelle Missbrauchs eines Kindes mit Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 10 Jahren bestraft. Zu klären ist zunächst, ob ein Zungenkuss überhaupt eine unter Strafe gestellte sexuelle Handlung darstellt. Nach § 184f StGB sind sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Für den Fall eines erzwungenen Zungenkusses hat das Oberlandesgericht Köln dies in einer nicht unbestritten gebliebenen Entscheidung bejaht. Offensichtlich hat sich die Hamburger Justiz jetzt dieser Einschätzung angeschlossen.
Nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB verjähren Straftaten, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe zwischen 5 und 10 Jahren bedroht sind, nach 10 Jahren. Danach wären die vorliegenden Taten, wenn man sie als tatbestandsmäßig ansieht, eigentlich spätestens 2001 verjährt gewesen. Allerdings bestimmt § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, dass die Verjährung bei Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres ruht. Für den aktuellen Fall bedeutet dies, dass die Verjährungsfrist erst 2002 zu laufen begonnen hat. Dann nämlich müssten die Tatopfer 18 Jahre alt gewesen sein, wenn ich richtig gerechnet habe. Die im Jahr 2010 erfolgte Strafanzeige war also rechtzeitig, um mit der Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die Verjährung zu unterbrechen. Da die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 StGB erst mit Ablauf der doppelten gesetzlichen Verjährungsfrist, vorliegend also nach 20 Jahren, eintritt und die Zeit der Hemmung der Verjährung in diese Frist nicht eingerechnet wird, können die Zungenküsse also noch eine ganze Zeit lang verfolgt werden.
Falls das Hamburger Gericht an der Qualifizierung der Zungenküsse als sexuelle Handlungen festhält, droht dem Pädagogen auch nach so langer Zeit noch eine Freiheitsstrafe, die aber wohl zur Bewährung ausgesetzt werden dürfte.
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Permalink: 20 Jahre alte Zungenküsse bringen Pädagogen vor Gericht
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