Die Augsburger Justiz hat nach meinen Erfahrungen so ihre Besonderheiten, darüber habe ich im strafblog schon verschiedentlich berichtet. Das habe ich gestern mal wieder erleben dürfen. Da ging´s es um eine Haftprüfung in einem Verfahren wegen eines europaweit agierenden Umsatzsteuerkarussells. Mehr als 100 Millionen Euro soll der Steuerschaden betragen. Mein Mandant war inhaftiert worden, weil er für eine Firma, die in das Umsatzsteuerkarussell eingebunden war, zwei Geschäftsführer angeworben hatte. Die sitzen ebenfalls in Untersuchungshaft.
Ich habe vorgetragen und mein Mandant hat sich auch dahingehend eingelassen, dass er von dem Umsteuerkarussel nicht die geringste Ahnung gehabt habe. Er sei von einem Bekannten gefragt worden, ob er bereit sei, für eine Firma, die sich mit dem Im-und Export von Metallwaren beschäftigt, die Geschäftsführung zu übernehmen. Das habe er im Hinblick auf bestehende Schufa-Einträge abgelehnt. Er habe sich aber bereit erklärt, im Bekannten- und Verwandtenkreis einen Geschäftsführer zu suchen. Ihm sei gesagt worden, es sollten Geschäftsräume und Lagerhallen angemietet und richtige Geschäfte mit Warenumsatz getätigt werden. Tatsächlich seien dann aber nach erfolgter Verlegung des Firmensitzes und Eintragung des neuen Geschäftsführers die zugesagten Geldmittel nie zur Verfügung gestellt worden. Die Firma habe in der Zeit, als er damit zu tun hatte, keinerlei Geschäftstätigkeit entwickelt. Man habe weder ein Konto noch Briefpapier oder andere Sachmittel zur Verfügung gehabt. Es sei auch mit seiner Kenntnis nie irgendeine Rechnung geschrieben worden. Man habe sich schließlich „verarscht gefühlt“.Deshalb seien die beiden Geschäftsführer auch zurückgetreten bzw. abgelöst worden. Mehr wisse er von der ganzen Sache nicht.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es nach meiner bisherigen Kenntnis keinerlei Hinweise darauf gebe, dass mein Mandant auf höherer Ebene in das Umsatzsteuerkarussell eingebunden ist. Vielmehr funktionierten solche Kartelle oft so, dass völlig unwissende Personen für eine Geschäftsführung geködert würden mit dem Hinweis darauf, dass sie sich um nichts kümmern müssten. Sie würden dann hingehalten, im Hintergrund liefen Geschäfte ab, von denen sie nichts wissen und auf die sie folglich nicht reagieren könnten. Und was grenzüberschreitend in anderen Firmen passiere, von deren Existenz die Betroffenen nicht einmal wüssten, sei denen doch ganz gewiss nicht anzulasten.
Ich habe den Staatsanwalt gefragt, ob er irgendwelche Erkenntnisse darüber habe, dass mein Mandant irgendetwas gewusst habe. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung lasse sich ja vielleicht nicht aufrecht erhalten, erwiderte der Staatsanwalt sinngemäß, aber eine Steuerhinterziehung von mehreren Millionen Euro, die den Verantwortlichen der betreffenden Firma zur Last gelegt werde, könne schlechterdings nicht an ihm vorbeigegangen sein. „Wieso nicht?“ , fragte ich zurück, „Wenn mein Mandant von keinerlei Rechnungsstellung gewusst hat, kann er doch auch nichts von irgendwelchen Steuerpflichten gewusst haben.“ Das könne ihm niemand erzählen, meinte der Staatsanwalt. Welche Beweise er denn habe, fragte ich erneut. Dazu könne weiter nichts sagen, meinte der Staatsanwalt. Der Haftrichter intervenierte mit der Bemerkung, er wolle die Debatte jetzt beenden. Ich habe geantwortet, dass die Debatte doch dem Zweck diene, festzustellen, ob dringender Tatverdacht bestehe. Auch sähe ich keinen Haftgrund, da mein Mandant einen festen Wohnsitz und eine Familie mit 4 Kindern habe, von denen 2 zur Schule und 2 in den Kindergarten gingen. Außerdem habe er sich doch in Kenntnis der Tatsache, dass die beiden von ihm vermittelten Geschäftsführer in Haft seien, dem Verfahren gestellt und schon vor Wochen über mich Akteneinsicht beantragt, weil er von seiner Beschuldigtenstellung wusste. Es gebe keinerlei Anknüpfungstatsachen für Fluchtgefahr.
Da sei ja auch noch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, meinte der Staatsanwalt, immerhin habe der Beschuldigte ja bislang noch nicht die anderen in die Sache involvierten Personen benannt. Als ich darauf hinwies, dass dies doch wohl kaum eine Anknüpfungstatsache für Fluchtgefahr sei, meinte der Haftrichter leicht entnervt, dass es jetzt gut sei. Er werde jetzt nicht entscheiden, sondern die gesetzliche Frist von einer Woche ausschöpfen. Falls ich noch ergänzend schriftlich vortragen wolle, könne ich das ja tun.
Ich werde von dieser Möglichkeit sicher Gebrauch machen. Ob´s was nützt, wird sich zeigen.Vielleicht wird ja doch mal jemand einen Blick in die StPO werfen und sich zu der Erkenntnis durchringen, dass dringender Tatverdacht und Haftgründe auf Tatsachen und nicht auf Vermutungen, bloße Verdächtigungen und Spekulationen gestützt werden dürfen. Oder sollte ich da zu optimistisch sein?
Ich werde demnächst weiter berichten.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Augsburg spezial: Dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr verstehen sich von selbst, was interessiert die StPO?
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