Das war mal ein staatsanwaltliches Plädoyer, das mich wirklich beeindruckt hat. In einem Verfahren wegen einer sehr hässlichen gefährlichen Körperverletzung, das ursprünglich mal unter dem Stichwort „Versuchter Totschlag“ eingeleitet worden war, dann aber (nur) vor dem Schöffengericht gelandet ist, hat der Mönchengladbacher Staatsanwalt Lingens gestern einen vorbildlichen Schlussvortrag gehalten, der – was nicht unbedingt gehäuft vorkommt – wirklich umfassend auch alle zu Gunsten der beiden Angeklagten anzubringenden Argumente enthielt. Das betraf sowohl die Beweiswürdigung als auch die rechtliche Würdigung und die Strafzumessungsgesichtspunkte, so dass für mich wirklich keine nennenswerten zusätzlichen Argumente mehr übrig blieben. Das kommt recht selten vor und hebt sich wohltuend ab von etlichen anderen Erfahrungen, die ich in jüngster Vergangenheit mit anderen Staatsanwälten gemacht habe. Das für meinen Mandanten beantragte Strafmaß von dreieinhalb Jahren war in Anbetracht der Gesamtumstände auch nicht wirklich zu beanstanden. Das Gericht hat sich den Ausführungen insgesamt angeschlossen und auch so geurteilt.
Nach den Urteilsfeststellungen hat der im wesentlichen geständige Hauptangeklagte das Tatopfer, seinen Wohnungsgeber, aus nicht nachvollziehbaren Gründen mit zahlreichen Schlägen gegen Kopf und Körper traktiert, wobei eine leere PET-Flasche, eine Bratpfanne und ein Holzscheit zum Einsatz kam. Der Mann erlitt multiple Frakturen im Gesichtsbereich und weitere erhebliche Verletzungen, die nach den ärztlichen Feststellungen anfangs lebensgefährlich waren, jetzt aber überwiegend ausgeheilt sind. Der Mitangeklagte hat die Auseinandersetzung zwischen den beiden anderen Beteiligten dazu genutzt, dem Wohnungsinhaber einen Fernseher zu klauen, was auch nicht die besonders feine Art ist. Dafür ist er zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Alkohol spielte bei allen Dreien eine nicht unerhebliche Rolle, womöglich hat ein unschöner Wortwechsel zu der schlimmen Eskalation geführt.
Mustergültig hat der Staatsanwalt in seinem Schlusswort die Beweislage analysiert, einige schulderschwerende Gesichtpunkte mit zutreffender, für einen Strafverfolger aber nicht selbstverständlicher Argumentation beiseite gewischt und in Abweichung von dem sehr klaren Statement eines durchaus renommierten Sachverständigen die Voraussetzung verminderter Schuldfähigkeit bei beiden Angeklagten angenommen. Für ihn sei es nicht nachvollziehbar, so der Staatsanwalt, wie man in Anbetracht der festgestellten Alkoholisierung und anderer tatkonstellativer Faktoren die Voraussetzungen des § 21 StGB verneinen könne, nur weil – so aber der Sachverständige – bei der mehrere Stunden nach der Tat erfolgten Blutabnahme von dem Arzt keine nennenswerten Ausfallerscheinungen mehr festgestellt wurden. Das war Wasser auf meine Mühlen und hat, nachdem ich mich den Ausführungen angeschlossen hatte, auch das Gericht überzeugt. Bekanntlich kommt es nicht allzu häufig vor, dass Gerichte von Sachverständigengutachten aufgrund eigener Wertung abweichen, selbst wenn ein Gutachten wie im vorliegenden Fall deutliche Schwächen aufweist. Wenn aber Staatsanwaltschaft und Verteidigung einmal in ein Horn stoßen, dann steigen die Chancen beträchtlich. Was nicht heißen soll, dass Gerichte nicht auch mal gegen das Votum der StA von einem Gutachten abweichen. Aber das ist halt selten.
Der Staatsanwalt hatte schon mit der Anklageerhebung zum Schöffengericht Augenmaß bewiesen, indem er zutreffend davon ausgegangen war, dass zwar ein (bedingter) Tötungsvorsatz vorgelegen haben könnte, aber dann jedenfalls ein Rücktritt vom Versuch naheliege, weil der Angeklagte von seinem Opfer abgelassen hat, als dieses sich noch bewegte und ansprechbar war. Das Ausmaß der Verletzungen und die Gefahr eines Todeseintritts habe der Angeklagte aufgrund seiner Alkoholisierung womöglich nicht erkennen können.
Wegen der Schwere der Verletzungen und der nicht unbeträchtlichen Vorstrafenlage wäre gleichwohl auch eine Anklage zum Landgericht in Betracht gekommen, insoweit hat der Angeklagte sicher auch Glück gehabt.
Ungewöhnlich in diesem Verfahren war auch die Reaktion des Tatopfers. Der Mittfünfziger gab als Zeuge an, er verspüre keinen Hass auf die nur knapp halb so alten Täter, er sei nur menschlich enttäuscht. Er wolle auch kein Schmerzensgeld von seinem Peiniger, der Junge solle ja noch eine Zukunft haben. Er hoffe für ihn, dass die Strafe nicht allzu hoch ausfalle, aber gerecht solle sie sein. Sprach´s und verließ grüßend den Saal. Den Urteilsspruch hat der Mann sich nicht mehr angehört.
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Permalink: Chapeau, Herr Staatsanwalt: Ein mustergültiges Plädoyer, ein ungewöhnliches Tatopfer und eine durchaus moderate Strafe
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