Wer lügt am besten? Tag 26 im Stalking-Prozess um eine Kriminalhauptkommissarin



Veröffentlicht am 31. Januar 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Das war gestern wieder ein bemerkenswerter Verhandlungstag im nicht enden wollenden Stalking-Verfahren um eine Kriminalhauptkommissarin vor einer Berufungskammer des Mönchengladbacher Landgerichts. 8 Jahre lang war die Frau mit dem Angeklagten liiert und hatte – wie es scheint – ganz gut mit und von ihm gelebt und sich ihr teures Reithobby leisten können. Dann kam es zu Problemen, wie das in Beziehungen bisweilen so ist. Die Frau trennte sich für ein paar Monate von ihm, dann lebte man wieder ein Jahr lang zusammen, bevor es dann im Sommer 2008 erneut zur Trennung kam. Sie fühlte sich von ihm verfolgt und bestalked, sagt sie, traf sich aber dennoch wiederholt mit ihm und fand es wohl auch gut, dass er ihr zu Weihnachten ein neues Pferd schenken wollte. Das sagt jedenfalls der Angeklagte, der sich zum Beleg auf dem Gericht vorgelegte sms bezieht, und Zeugenaussagen deuten auch in diese Richtung.

Anfang 2009 kam es dann aber zum endgültigen Bruch, über die Gründe wird derzeit gestritten. Es folgten zahlreiche Strafanzeigen der Kripofrau gegen ihren Ex. Stalking, Nötigung im Straßenverkehr, Diebstahl von persönlichem Eigentum und anderes wurde aktenkundig gemacht, mit überdurchschnittlich großem Engagement ermittelte die Polizei gegen den Mann. Einstweilige Verfügungen, gerichtliche Näherungsverbote, diverse Anklagen, vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ….. eine ganze Palette von stalkingtypischen Folgeerscheinungen sind zu berichten.

Während eines laufenden Strafverfahrens wurde dann Anfang 2011 durch den Anwalt der Kommissarin eine weitere Strafanzeige mit neuen Tatsachenbehauptungen nachgeschoben. Erstmals wurde jetzt auch der Vorwurf der sexuellen Nötigung erhoben. Zwei Jahre liege die böse Tat zurück, wurde vorgetragen, Zeugen gebe es nicht, auch nicht vom Hörensagen, aber eine Art Tagebuch habe die Beamtin damals geführt, das als Beweismittel vorgelegt werden könne. Das reichte dem erstinstanzlichen Gericht, der Angeklagte wurde in Untersuchungshaft genommen. Nahziel erreicht, könnte man sagen.

Zahlreiche Zeugen wurden in erster Instanz vernommen, darunter eine reichliche Zahl von Polizeibeamten, die sich nicht alle grün untereinander waren und durchaus unterschiedliche Angaben machten. Aber das Gericht war – wie mir die beiden erstinstanzlich tätigen Verteidiger berichteten – offensichtlich wild entschlossen, der Kommissarin auf Teufel komm raus zu glauben, die Kollegen bissen sich an dem Gericht die Zähne aus. Versuche, das Tagebuch (von der Kommissarin „Ablaufkalender“ getauft) als Fälschung zu entlarven, scheiterten nach den Schilderungen der Kollegen an der einseitigen Entschlossenheit der Richterin, die sich auch durch zahlreiche Befangenheitsanträge nicht irritieren ließ.

Dabei gab es gute Gründe, die Aussagen der Kommissarin und vor allem die Authentizität des Tagebuchs in Zweifel zu ziehen. Nur für sich selbst habe sie dieses seinerzeit geschrieben, hatte die Frau als Zeugin bekundet, sie habe damit das schlimme Geschehen für sich verarbeiten wollen und nie vorgehabt, dieses gegen den Angeklagten zu verwenden. Dieser Gedanke sei erst viel später im Dialog mit ihrem Anwalt entstanden. Kann man das glauben? Inhaltliche Passagen sprechen schon auf den ersten Blick dagegen. Da wird im Tagebuch die Schwester erwähnt und mit vollständiger ladungsfähiger Anschrift einschließlich der Postleitzahl angegeben, eine nicht gerade tagebuchtypische Eintragung. „Unterlagen können nachgereicht werden“, heißt es an anderer Stelle. An wen denn bitte, wenn das Tagebuch nur für sich selbst geschrieben wurde? Und warum in aller Welt muss der Familienname einer Bekannten laut Tagebucheintrag „noch ermittelt“ werden, wenn dieses nur zur internen Verarbeitung traumatischer Ereignisse geschrieben wurde? Die Zeugin konnte in erster Instanz nicht einmal sicher sagen, auf welchem Rechner sie das Tagebuch geschrieben hatte, sie „meine“ aber, das sei ihr Dienstrechner gewesen. Nachschauen könne sie leider nicht mehr, die Datei habe sie schon damals gelöscht.

Diversen Abweichungen der Tagebucheintragungen vom Dienstplan der Kommissarin hat das Gericht keine Bedeutung beigemessen, dafür könne es Erklärungen geben. Letztlich wurde der Angeklagte erstinstanzlich zu 3 Jahren und 5 Monaten Haft verurteilt, wesentlich gestützt auf die glaubhaften Bekundungen seiner früheren Lebensgefährtin, die durch den tagebuchartigen Ablaufkalender bestätigt würden. Haftfortdauer wurde angeordnet.

Seit Juni 2013 läuft jetzt schon das Berufungsverfahren, in dem ich mitverteidige, und irgendwie hat es sich zu einer ziemlichen Groteske entwickelt. Während der Vernehmung der Hauptbelastungszeugin wurde der Angeklagte von der Verhandlung ausgeschlossen, weil die Kripofrau Angst vor ihm habe und ansonsten nicht aussagen könne. Das hat ihre Psychotherapeutin bestätigt. Die hat allerdings auch gesagt, sie würde an ihrem Verstand zweifeln, wenn sie erfahren würde, dass ihre Patientin sich in das Wohnumfeld des Angeklagten begeben und dort Erkundigungen nach ihm einholen würde, und genau das hat die Frau – so wie ich ihre eigenen Angaben verstehe – getan.

Da gibt es einen inzwischen pensionierten ehemaligen Kollegen der Kommissarin, der etliche belastende Aussagen als Zeuge bestätigt hat und danach tagelang als Zuschauer im Gerichtssaal saß. Auf Nachfragen räumte er ein, mehrfach mit der Kollegin in Urlaub gefahren zu sein, rein freundschaftlich natürlich, ein Verhältnis habe es nicht gegeben, auch wenn der „Flurfunk“ auf der Dienststelle etwas anderes besage. Das seien unbegründete Gerüchte, auch wenn eine Polizeizeugin bekundete, er sei dem Vernehmen nach mit der Kommissarin in der Sattelkammer beim Austausch von Zärtlichkeiten von einer Auszubildenden beobachtet worden. Ein anderer Polizeibeamter, ebenfalls Belastungszeuge, zierte sich reichlich, meine Frage nach der Berufstätigkeit seiner Ehefrau zu beantworten, bevor er dann schließlich einräumte, dass diese bis vor kurzem 2 Jahrzehnte lang in der Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet habe, in der auch der Nebenklagevertreter sein Brot verdient.

Ach ja, der Ablaufkalender mit handschriftlichen Nachträgen der Kommissarin ist in der Kanzlei des Nebenklagevertreters verschwunden und kann nicht mehr im Original vorgelegt und auf Fälschungsmerkmale hin untersucht werden. Welch ein Pech aber auch. Das hat sich herausgestellt, als ich in der Berufungverhandlung die Vorlage des Originals verlangt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte sich bis dahin – nicht gerade lege artis – mit den vorgelegten Kopien zufrieden gegeben und nie die Übergabe des originären Beweismittels verlangt.

Reichlich merkwürdig ist auch Folgendes: Der Ablaufkalender ist erstmals in einer Hauptverhandlung am 07.01.2011 vor dem Amtsgericht Grevenbroich aufgetaucht. Da hatte ihn die Kommissarin „zufällig“ in ihrer Handtasche. Das ist aktenkundig. Irgendwann hat die Kommissarin den Kalender ihrem Anwalt zukommen lassen, der ihn dann für die Strafanzeige verwendete. Nach ihren eigenen – vom ihrem Anwalt bestätigten – Angaben hat sie den Kalender danach nicht zurückerhalten und auch nie eine Kopie oder einen Zweitausdruck erstellt. In der Gerichtsakte befindet sich ein Anschreiben der Kommissarin vom 27.12.2010 an  ihren Anwalt, mit dem sie den Ablaufkalender überreicht. Das Schreiben trägt einen Eingangsstempel des Anwalts vom 28.12.2010. Wie kann man – so habe ich die Kommissarin gefragt – ein Schriftstück, das man am 27.12. dem Anwalt übergeben und nie zurückerhalten hat, 11 Tage später in der Handtasche mit sich führen? Dafür habe sie auch keine plaubsible Erklärung, meinte die Frau.

Wir haben umfangreichen Beweis erhoben und zahlreiche Zeugen zu der Frage gehört, ob die Kriminalbeamtin an einem bestimmten Tag im Jahr 2008, an dem sie laut Tagebuch dienstfrei gehabt haben will, an der mehrstündigen Einweisung in einen neuen Waffenschrank teilgenommen hat. Laut Dienstplan war das nämlich der Fall. Zwar konnte (oder wollte?) sich keiner der als Zeugen gehörten Kollegen konkret daran erinnern, was nach so langer Zeit ja auch nicht unbedingt verwundern muss. Es wurde aber überdeutlich dargestellt, dass die Eintragung im Dienstplan und auch die danach erfolgte Übernahme der Dienstzeiten in die EDV keinen Zweifel zulassen. Die handschriftliche Eintragung des Dienstendes in den Dienstplan werde nämlich nur dann vorgenommen, wenn ein Beamter auch tatsächlich an dem Dienst teilgenommen hat. Außerdem würde, wenn ein Beamter oder eine Beamtin kurzfristig ausfalle, deren Name ausgestrichen und der Grund für die Nichtteilnahme vermerkt. Das sei vorliegend nicht der Fall. Für die Verteidigung ist das ein weiterer klarer Beweis dafür, dass der  Ablaufkalender nicht authentisch sein kann, sondern zum Zwecke der Beweismanipulation nachträglich erstellt wurde.

Ich könnte noch Vieles dazu vortragen, in 26 Verhandlungstagen sammelt sich da so Einiges an.

Gestern hat ein weiterer Polizeizeuge auf Antrag der Verteidigung ausgesagt. Der Mann sollte überprüfen, ob sich auf dem zentralen Server der Polizei Dateien oder Spuren des Ablaufkalenders befinden und wann diese angelegt worden sind. Das war nicht der Fall. Dafür hat der Mann aber einen Vermerk präsentiert, den die Zeugin am 21.1.2019 angelegt hat und in dem sie einen angeblichen Vorfall vom 13.1.2009 niedergelegt hat. Dieser Vorfall findet sich im wesentlichen wortgleich auch im Ablaufkalender, allerdings mit einem früheren Datum. Der Ablaufkalender endet nämlich am 9.1.2009 mit einem handschriftlichen Zusatz vom Tag danach. Wie kann, so habe ich gestern im Rahmen einer Erklärung gem. § 257 StPO gefragt, in einem angeblich zeitnah gefertigten Tagebuch ein Ereignis beschrieben werden, das laut einem Vermerk der Verfasserin erst einige Zeit später stattgefunden hat? Er räume ein, da bestehe Aufklärungsbedarf, meinte der Nebenklagevertreter, aber er habe da schon eine Idee. Da bin ich jetzt aber mal gespannt.

Am Nachmittag hatte die Nebenklage dann aber doch noch einen Erfolg. Da sagte eine frühere Freundin der Kripobeamtin aus und haute diese so ziemlich in die Pfanne. Verlogen sei die Frau, meinte die Zeugin sinngemäß, manipulativ und weinerlich, wenn man ihr auf die Schliche komme. Dafür brachte sie zahlreiche Beispiele, was nach meinem Eindruck zwar sehr salopp, aber durchaus authentisch wirkte. Dann hielt ihr der Nebenklagevertreter eine Strafanzeige wegen falscher eidlicher Aussage vor, welche die Zeugin schon vor geraumer Zeit gegen die Kipobeamtin erstattet hatte. Wer die Anzeige denn formuliert hätte, wollte der Nebenklagevertreter wissen. Sie selbst, meinte die Zeugin, und zwar mit Hilfe eines Freundes, dessen Namen sie dann etwas gequält nannte. Jedem im Saal war klar, dass das nicht stimmen konnte, dazu war die Strafanzeige zu juristisch formuliert und enthielt Details über das Verfahren, welche weder die Zeugin noch ein Außenstehender wissen konnte. Nach einer kurzen Unterbrechung hat mein Mitverteidiger, der schon erstinstanzlich in der Sache tätig war, klargestellt und der Zeugin vorgehalten, dass er selbst an der Erstellung der Anzeige mitgewirkt habe, was diese dann kleinlaut bestätigte. Diese Intervention war erforderlich, um die Zeugin nicht in eine Falschaussage hineinlaufen zu lassen. Da hat man als Anwalt eine Verantwortung, auch wenn hierdurch der Wert einer entlastenden Aussage deutlich relativiert wird. Er sei entsetzt über die Lüge, meinte der Nebenklagevertreter, aber die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Nächste Woche geht´s weiter in dem Verfahren. Ich gehe davon aus, das mein inzwischen aus der Haft entlassener Mandant sich dann immer noch auf freiem Fuß befinden wird, obwohl die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls eingelegt hat. 20 Monate Untersuchungshaft reichen ihr trotz der offensichtlichen Unwahrheiten der Hauptbelastungszeugin anscheinend nicht aus. Dabei hätte der Sitzungsstaatsanwalt nach meiner Auffassung längst den Griffel zücken müssen, um gegen die Kommissarin von Amts wegen ein Falschaussageverfahren einzuleiten. Aber vielleicht kommt das ja noch…

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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