Dass wir als Verteidiger immer wieder mal in ungewöhnliche Situationen geraten, die flexible Reaktionen erfordern, ist eine Binsenweisheit. Auch nach bald 30 Jahren Strafverteidigung lernt man noch hinzu, ist ja auch gut so. Und manchmal wundert man sich.
Ende der vorletzten Woche kontaktierte mich die Ehefrau eines Mannes, dem schon seit etlichen Monaten vor dem Landgericht Aachen der Prozess gemacht wird. Es geht um eine opulente Strafsache mit zahlreichen Anklagepunkten, die Beweisaufnahme war nach mehr als 20 Verhandlungstagen so gut wie abgeschlossen, am nächsten Verhandlungstag – am Montag dieser Woche – sollte die Staatsanwaltschaft plädieren. Sie habe ein ganz schlechtes Gefühl, meinte die Frau, es stehe eine zweistellige Strafe im Raum, bislang habe ihr Mann sich nicht zur Sache eingelassen, obwohl er die Taten nicht begangen habe. Es gebe auch etliche Zeugen, die Teile der Anklage widerlegen könnten, aber entsprechende Beweisanträge seien bislang nicht gestellt worden. Sie habe Angst um ihren Mann und um den Bestand der Familie und wolle nach Möglichkeit eine weitere Meinung einholen. Ihr Mann habe sie ausdrücklich beauftragt, mich zu kontaktieren. Auch der habe ein schlechtes Gefühl.
Bis dato wurde der Mann von einem sehr erfahrenen Verteidigerkollegen und einer Pflichtverteidigerin vertreten. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Kollege doch eigentlich wisse, was Sache ist, und dass ich nicht an dem schon lange währenden Verfahren teilgenommen hätte, dass ich keine einzige Aussage der fast 80 vernommenen Zeugen gehört hätte, dass es im Landgerichtsprozess nicht einmal ein Inhaltsprotokoll der Aussagen gebe, usw. Insoweit sei es fraglich, ob ich zu diesem späten Zeitpunkt überhaupt noch irgendetwas erreichen könnte. Ihr Mann wolle auf jeden Fall noch eine weitere Meinung einholen, meinte die Frau, auch zur Frage, ob bestimmte Beweisanträge gestellt werden sollten und ob die Schweigeverteidigung aufrecht erhalten werden soll. Es gehe doch um Alles, da müsse man nach jedem Strohhalm greifen.
Ich habe den Mann daraufhin in der JVA aufgesucht und die Situation mit ihm beredet. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht für sinnvoll halte, den bisherigen Wahlverteidiger so kurz vor Verfahrensende auszutauschen. Wenn überhaupt, dann wolle ich mit ihm zusammenarbeiten, vorausgesetzt, der Kollege sei dazu bereit. Ich habe auch Kostenfragen mit dem potenziellen Mandanten besprochen, natürlich sei es kein Pappenstiel, sich in ganz kurzer Zeit in ein Umfangsverfahren einzuarbeiten. Er solle sich das über´s Wochenende überlegen und mich dann unterrichten.
Am Montag wurde mir mitgeteilt, dass ich das Mandant übernehmen solle. Ich habe mich – wie sich das gehört – sofort telefonisch mit dem bisherigen Wahlverteidiger, den ich seit Jahren kenne, in Verbindung gesetzt und diesem die Situation mitgeteilt. Warum er nicht vorab von der Mandantschaft informiert worden sei, dass diese einen weiteren Anwalt kontaktieren wollen, fragte der sichtlich erbost. „Vielleicht, weil die Leute Not haben und sich erst einmal selbst eine Meinung bilden wollten“, gab ich zu bedenken. Außerdem solle er ja nicht aus dem Verfahren herausgedrängt werden, das sei auch nicht mein Dinge, fügte ich hinzu. Im Gegenteil. Er wisse nicht, ob er das Mandat unter diesen Voraussetzungen noch weiterführen werde, meinte der Kollege. Und dann hat er das Mandat niedergelegt. Unmittelbar vor den Plädoyers, und obwohl er – soweit ich weiß – bislang das vereinbarte Honorar erhalten hat. Von Vertrauensbruch hat er gegenüber der Ehefrau des Mandanten gesprochen, und er lasse sich keinen Aufpasser vor die Nase setzen, soll er gesagt haben.
Ich habe am vergangenen Montag an der Hauptverhandlung teilgenommen. Auf einen Aussetzungsantrag habe ich verzichtet, weil mir der über die neue Situation durchaus irritierte Vorsitzende zugesagt hatte, dass die Verteidigung an diesem Tag nicht plädieren müsse und weil der nächste Verhandlungstag erst in 4 Wochen stattfindet. Die Pflichtverteidigerin, der eine gewisse Nähe zum Wahlverteidiger nachgesagt wird, war distanziert. Das fand auch darin seinen Ausdruck, dass sie nicht unmittelbar neben dem Mandanten Platz nahm, sondern eine leeren Stuhl dazwischen ließ.
Der Staatsanwalt hat rund dreieinhalb Stunden plädiert und 13 Jahre Freiheitsstrafe für beide Angeklagten beantragt. Fast schon buchhalterisch hat er alle 14 Anklagepunkte abgearbeitet, hat akribisch dargelegt, warum er von der Täterschaft der beiden Angeklagten überzeugt sei. Es geht um Überfälle auf Supermärkte und ein Privathaus, böse Taten mit mehreren Verletzten. Es ist ein Indizienprozess, das Gros der Taten soll aufgrund der räumlich-zeitlichen Zusammenhänge, der gleichartigen Begehungsweisen und individueller Verhaltensweisen der – bei den Taten maskierten – Täter nachgewiesen werden. Mein Mandant bestreitet jegliche Tatbeteiligung. Ich habe Ansatzpunkte für eine Verteidigung gefunden, muss jetzt aber erst einmal so tief wie möglich in das Verfahren einsteigen. Und ich muss sehen, ob es Sinn macht, mit neuen Anträgen noch einmal in die Beweisaufnahme einzutreten. Dazu bleiben noch knapp vier Wochen. Ob ich auf Unterstützung durch die Pflichtverteidigerin rechnen kann, ist noch offen. Bislang hat sie mir zugesagte Informationen trotz erneuter Bitte nicht zukommen lassen.
Der Mandant ist über die Mandatsniederlegung durch den Kollegen nicht erfreut. Er fühlt sich nicht wenig verraten. Jezt setzt er alle seine Hoffnungen auf mich, obwohl ich mich kaum kennt und ich nicht an der Beweisaufnahme teilgenommen habe. Und obwohl ich nicht unbedingt auf Hilfe der bisherigen Verteidigung zählen kann. Eine schwierige, unerfreuliche Situation, die auch standesrechtliche Fragen in sich birgt ….
Kategorie: Strafblog
Permalink: … dann lege ich das Mandat nieder. Ist die Hinzuziehung eines weiteren Verteidigers ein Vertrauensbruch, der die Kündigung des Mandats rechtfertigt?
Schlagworte:
vor: Rüder Galopp auf der Zielgeraden im Piratenprozess
zurück: Strafblog Nachrichten – 05.09.2012