Es war zwar (noch) kein Sieg auf der ganzen Linie, aber doch ein ziemlich guter Erfolg. Und die Revision gibt Möglichkeiten, die Verurteilung wegen der einen Tat, welche die Kammer gestern als nachgewiesen angesehen hat, auch noch aufgehoben zu bekommen, denn die mündliche Urteilsbegründung war nach meiner Auffassung reichlich dünn.
Die Ausgangslage in dem vor dem Landgericht Aachen anhängigen Verfahren war für mich alles andere als einfach. Ich war mandatiert worden, nachdem die Beweisaufnahme weitestgehend abgeschlossen war. An 22 oder 23 Verhandlungstagen waren mehr als 70 Zeugen gehört worden, ich hatte nichts davon mitbekommen. Der bisherige Wahlverteidiger hatte beleidigt das Mandat niedergelegt und die mit ihm verbandelte Pflichtverteidigerin hatte mir keine Informationen zukommen lassen. Das anwaltliche Standesrecht lässt grüßen!
Ein fast vierstündiges Plädoyer der Staatsanwaltschaft war der erste nennenswerte Verfahrensakt, den ich mitbekommen hatte, und das endete mit einem Strafantrag von 13 Jahren unter Einbeziehung einer bereits rechtskräftigen fünfjährigen Freiheitsstrafe. Den beiden Angeklagten waren in der Anklage 14 Raubüberfälle zur Last gelegt worden. 13 Mal sollen sie immer nach demselben Strickmuster Supermärkte überfallen haben, in einem Fall sollen sie in ein Haus eingedrungen sein und dort ein älteres Ehepaar gezwungen haben, den Safe zu öffnen, aus dem dann Schmuck, wertvolle Uhren und Bargeld entwendet wurde.
Jeweils zwei Täter, ein ziemlich kleiner und ein großer, hatten die Taten begangen, sie waren in allen Fällen dunkel gekleidet, maskiert und behandschuht und trugen mindestens eine Waffe mit sich. Die Überfälle auf die Supermärkte erfolgten alle in der dunklen Jahreszeit nach Ladenschluss. In allen Fällen hatten die Täter das Personal beim Verlassen der Ladenlokale abgefangen und ins Geschäft zurückgedrängt. Die Angestellten wurden sodann gezwungen, den Safe zu öffnen. Mit einem am Stiel gekürzten Vorschlaghammer zertrümmerte der kleinere der Täter dann jeweils den Innensafe, aus dem Geldbags mit regelmäßig mehreren tausend Euro entwendet wurden. In einem Fall wurde ein männliches Tatopfer zu Boden gestoßen und erlitt einen komplizierten Hüftbruch. Danach soll er trotz der Verletzung noch grob durch das Lokal gezogen und zum Öffnen des Safes gezwungen worden sein.
Mein die Taten bestreitender Mandant war in keinem Fall als Täter von einem Zeugen identifiziert worden. Es gab weder Fingerabdrücke noch DNA von ihm an einem der Tatorte. In zwei Fällen war sein Pkw in Tatortnähe gesehen worden und die eine Tat, für die er gemeinsam mit dem Mitangeklagten bereits rechtskräftig verurteilt worden war, war einschlägig. Von dem Mitangeklagten war in einem Fall an Täterkleidung und einem Vorschlaghammer, die in der Nähe des Tatortes gefunden worden waren, DNA festgestellt worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Indizienprozess insbesondere geltend gemacht, es habe in ganz Deutschland weder vor noch nach der Inhaftierung der Angeklagten gleichgelagerte Taten mit anderer personeller Beteiligung gegeben, die Tatserie sei vielmehr nach deren Festnahme abgerissen. Diese von mehreren Polizeizeugen bestätigte Annahme war schlichtweg falsch. Der Verteidigung ist es nach meinem Einstieg in das Verfahren gelungen nachzuweisen, dass es noch eine ganze Reihe von einschlägigen Taten gab, an denen in einem Fall nachweislich und in anderen Fällen mutmaßlich Brüder des Mitangeklagten beteiligt waren und für die mein Mandant als Täter nicht in Betracht kommt.
Klare Kiste, dass die Polizeizeugen die Unwahrheit gesagt haben. Das ist schlimm und müsste, wenn an sie dieselben Maßstäbe wie an andere Zeugen gelegt werden, strafrechtliche Konsequenzen haben. Aber das ist ein anderes Thema.
Die prozessuale Situation war gestern ausgesprochen schwierig. Die Verteidigung des Mitangeklagten hatte vor einigen Tagen angekündigt, dass dieser ein Teilgeständnis ablegen würde. Dafür war ihm von Gericht und Staatsanwaltschaft eine Höchststrafenvereinbarung im Rahmen einer Verständigung gem. § 257c StGB in Aussicht gestellt worden. 9 Jahre statt der zuvor beantragten 13 Jahre, dazu Abschiebung nach Teilverbüßung in der Mitte zwischen Halbstrafe und zwei Drittel. Das Gericht hatte angefragt, ob mein Mandant sich nicht anschließen wolle. Der Staatsanwalt hatte erkennen lassen, dass er ansonsten erneut 13 Jahre beantragen werde. Mein Einwand gegenüber dem Gericht, dass mein Mandant die Taten bestreite und ein Tatnachweis doch wohl kaum geführt sei, war von dem Vorsitzenden mit hoch gezogenen Augenbrauen und ein paar Anmerkungen versehen worden, die nicht unbedingt optimistisch stimmen mussten.
Gestern sah es zunächst so aus, als würde der Mitangeklagte wieder von seinem Geständnis abrücken wollen. Das hatte eine seiner Verteidigerinnen, die wie ich sehr spät in das Verfahren eingestiegen war und die den „Deal“ eingefädelt hatte, wohl so erbost, dass sie einige Stunden vorher das Mandat niedergelegt hatte. Die verbliebene Verteidigerin hatte daraufhin erklärt, dass sie jedenfalls an diesem Tag nicht plädieren könne. Sie müsse jetzt erst einmal die Situation sondieren.
Nach 2 Stunden Sondierung und Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung hieß es dann plötzlich, es werde doch noch ein Teilgeständnis kommen. Die Staatsanwaltschaft hatte noch einmal ein halbes Jahr nachgelassen, im Hinblick auf eine eigentlich auch noch gesamtstrafenfähige Vorverurteilung von 9 Monaten, die aber als Jugendstrafe verhängt worden war und deshalb doch nicht einbezogen werden konnte.
Meinem Mandanten wurde dieselbe Strafe in Aussicht gestellt, natürlich auch nur für den Fall eines Geständnisses. Eine vertrackte Situation. Nicht zuletzt aufgrund meiner Bemühungen waren wir wieder in die Beweisaufnahme eingestiegen und hatten mit Beweisanträgen und anderen prozessualen Maßnahmen überhaupt die Voraussetzung dafür geschaffen, dass noch einmal neu diskutiert werden konnte. 8 Jahre und sechs Monate an Stelle von möglicherweise 13 Jahren, das ist schon ein Unterschied. Zumal ja 5 Jahre rechtskräftiger Strafe einbezogen werden sollte. Mit anderen Worten: Bei Zustimmung zum „Deal“ würden dreieinhalb Jahre draufgesattelt, bei Ablehnung und ungünstigem Verfahrensausgang eventuell 8 Jahre. Aus meiner Sicht war eher eine Freispruchlage gegeben, aber das Gericht hatte deutliche Skepsis erkennen lassen. Wie entscheidet man sich in einer solchen Situation?
Ich habe das Alles mit meinem Mandanten erörtert. Wir sind ins Risiko gegangen und haben keinen Deal gemacht. Er wolle nichts zugegeben, was er nicht getan habe, meinte mein Mandant, und da konnte ich ihm nicht widersprechen. Zumal er am besten weiß, was er getan hat und was nicht.
Der Staatsanwalt hat für den Mitangeklagten 8 Jahre und 6 Monate und für meinen Mandanten 13 Jahre gefordert. Ich habe in meinem Plädoyer gekämpft und darzulegen versucht, dass die Indizienlage nicht zu einer Verurteilung ausreicht. Deshalb habe ich insgesamt Freispruch beantragt.
Das Gericht hat die angekündigte Beratungszeit um 20 Minuten überzogen. Wenn du Pech hast, dann hast du die A…karte gezogen, dachte ich. Und stehst nach außen als der Verteidiger dar, der nur Geld gekostet und nichts gebracht hat. Jedenfalls nicht für den eigenen Mandanten.
Ich hasse solche Situationen. Da wird einem Justitias Unkalkulierbarkeit so richtig bewusst.
Die Kammer hat meinen Mandanten wegen einer Tat unter Einbeziehung der rechtskräftigen fünf Jahre zu 8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das ist immerhin ein halbes Jahr weniger, als der Deal eingebracht hätte. Wegen der 13 weiteren angeklagten Taten wurde mein Mandant freigesprochen. Das Gericht ist der Argumentation der Staatsanwaltschaft bezüglich der Serientaten also nicht gefolgt. Und zwar völlig zu Recht, wie ich finde.
Ich war erst einmal erleichtert, auch wenn mein Mandant nicht wirklich glücklich dreinschaute. Drei Jahre zusätzliche Strafe sind kein Pappenstiel.
Erst nach 20 Minuten der mündlichen Urteilsbegründung wurde mir klar, für welche Tat mein Mandant verurteilt worden ist. Es war nicht die, die ich am ehesten für möglich gehalten hatte. Sondern für den Überfall auf einen Supermarkt, bei dem ein Angestellter ziemlich schwer verletzt worden war. Mein Mandant war nicht erkannt worden, er hatte auch keine Spuren irgendwelcher Art hinterlassen, es war halt nur eine Tat nach dem bekannten Strickmuster. Ein großer, ein kleiner Täter, Schusswaffen oder Softairpistolen, ein Vorschlaghammer. Aber das Fahrzeug meines Mandanten hatte in der Nähe des Tatortes gestanden. Das war allerdings auch Alles. Niemand hat behauptet, er habe die Täter dort einsteigen sehen. Und erst recht nicht, dass mein Mandant vor Ort gewesen sei. Autos können ja auch verliehen werden. Oder einfach so irgendwo parken, ohne dass das im Zusammenhang mit Straftaten stehen muss. Das Auto sei der Tropfen gewesen, der bei der Beweisführung das Fass zum Überlaufen gebracht habe, meinte der Richter. Mich hat das wenig überzeugt. Und mein Mandant schwört, dass er an der Tat nicht beteiligt war. Wir werden sehen, was der BGH dazu sagen wird. Und natürlich auch zu einer etwaigen Revision der Staatsanwaltschaft. Deren Sitzungsvertreter sah nicht glücklich aus, als das Urteil verkündet wurde.
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Deal“ abgelehnt: Erleichterung nach Freispruch in 13 von 14 Fällen
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