Die hohe Kunst des Weglassens: 37-Minuten-Plädoyer der Staatsanwaltschaft nach 21 Monaten Piratenprozess gegen 10 Angeklagte



Veröffentlicht am 6. September 2012 von

Unverhofft kommt bekanntlich oft und naturgemäß dann, wenn man nicht unbedingt damit rechnet. Sonst wär´s ja nicht unverhofft.  Heute Morgen hatte ich ganz früh einen Beitrag zum gestrigen Verhandlungstag im Piratenprozess geschrieben, der aber erst am Mittag ins Netz gestellt wurde. Da war die Staatsanwaltschaft schon beim Plädoyer, nachdem die Kammer zuvor noch einige Anträge von Verteidigerkollegen auf Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte. Rechtsanwältin Heinecke hatte ihren Antrag darauf gestützt, dass zunächst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts zur Frage, ob die Staatsanwaltschaft Akten vorlegen müsse, abgewartet werden solle. Das sah das Gericht anders.

„Wenn keine Anträge mehr gestellt werden, schließe ich Beweisaufnahme“, sagte Dr. Steinmetz fast genau um  12 Uhr unmittelbar nach Verlesung der letzten antragsablehnenden Entscheidung, um die Frage anzuschließen, ob die Staatsanwaltschaft noch vor der Mittagpause plädieren könne. Er könne, meinte Oberstaatsanwalt Giesch-Ralf, er brauche nur 20 Minuten. Reichlich verwunderlich nach 21 Monaten Verhandlungsdauer und immerhin 8 Monate nach dem ersten Plädoyer, könnte man meinen, aber den Vorsitzenden schien´s nicht zu erstaunen.

Der Oberstaatsanwalt hielt Wort, annähernd jedenfalls, das muss man ihm lassen. 37 Minuten benötigte er für seine Ausführungen. Ein paar kurze Sätze zu vermeidbaren Verzögerungen des Verfahrens durch unnötige Anträge der Verteidigung, ein paar Bemerkungen zu einer offensichtlichen Beweislage, die eigentlich schon vor eineinhalb  Jahren ein Urteil ermöglich hätte (klang da Kritik am Gericht durch?), dann Ausführungen zur veränderten Sachlage seit dem ersten Plädoyer. Da sei der Angeklagte Khalief D., der im März ein umfassendes, aus seiner Sicht glaubwürdiges Geständnis abgelegt und die Rolle der einzelnen Angeklagten bei der Kaperung zutreffend geschildert habe. Das müsse sich strafmildernd auswirken. 6 Jahre statt seinerzeit 8 Jahre Freiheitsstrafe beantragte er deshalb für Khalief D., und die zwei ersparten Jahre schob er rüber auf den Strafantrag gegen den Angeklagten Achmed M. , der von D. als Anführer bezeichnet worden war. Der soll jetzt 12 statt 10 Jahre Freiheitsstrafe erhalten. Ansonsten beschränkte sich Giesch-Ralf darauf, auf das Plädoyer seiner Kollegin Dr. Dopke vom Januar 2012 Bezug zu nehmen und die dortigen Anträge zu wiederholen. Nach schlappen 8 Monaten weiterer Verfahrensdauer  hat das doch noch jeder im Kopf, lautet wohl die dahinter stehende Erwägung. Vielleicht kommt es darauf ja auch gar nicht an, was soll man das Gericht oder die von dem langen Verfahren vielleicht eh überforderten Schöffen oder die Öffentlichkeit mit Wiederholungen langweilen. Hauptsache, die Strafe stimmt!!! Hat ja eh alles viel zu lange gedauert.

Dass im Jugendstrafverfahren verhandelt wurde, konnte man dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft nicht entnehmen. Die bloße Bezugnahme auf das Januar-Plädoyer ließ außer Acht, dass sich inzwischen Vieles verändert hat, gerade für die jungen Angeklagten. Die sind nämlich im April aus der Haft entlassen worden, gehen zur Schule und bewähren sich in der Freiheit. Es hat nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft gerichtliche Beschlüsse gegeben, die gerade auch meinem Mandanten eine außerordentlich positive Prognose bescheinigen, nein, Straftaten seien von ihm zukünftig nicht zu erwarten. Kein Wort hierzu von der Staatsanwaltschaft. 4 Jahre Jugendstrafe  für Abdiwali, 5 Jahre und 6 Monate für die beiden anderen unter das Jugendrecht fallenden Angeklagten wurden beantragt. Die Frage, ob das erzieherisch jemals geboten war oder heute noch geboten ist, blieb ungestellt und wurde mittelbar nur durch den Strafantrag beantwortet. Kein Wort zu den sozialen Bedingungen in Somalia, einige wenige – ablehnende – Bemerkungen zu den Einlassungen einiger Angeklagter, die behauptet hatten, zur Teilnahme an dem Piraterieakt gezwungen worden seien, kein Wort dazu, dass der ganze Piraterieakt nach 4 Stunden beendet war und nur ein begrenzter Schaden entstanden ist.

In der Kürze liegt die Würze, lautet die Botschaft, die dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft zu entnehmen ist, was soll ein langes Verfahren, in dem die Angeklagten ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen versuchen?

Ich mache Schluss, weil sich die Mittagspause dem Ende zuneigt und um 14 Uhr die Plädoyers der Verteidigung beginnen sollen. Vielleicht ist dann auch mehr Öffentlichkeit als zuvor anwesend. Die Medien sind von dem plötzlichen Schluss der Beweisaufnahme anscheinend genauso überrascht worden wie ich, sonst wären sie sicher zahlreicher zugegen gewesen. Ich hatte frühestens morgens damit gerechnet, aber so ist das eben. Unverhofft kommt oft …

Ich werde noch die Gelegenheit wahrnehmen, zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich zu berichten.

 

 

Es war schon

 

 


Kategorie: Strafblog
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