Ende gut, fast alles gut: Bewährungsstrafe im 3. Anlauf



Veröffentlicht am 27. Februar 2012 von

Briefmarke 50 Jahre Bundesgerichtshof

Es gibt Strafverfahren, da steckt von Anfang an irgendwie der Wurm drin und die ziehen sich dann auch noch fast endlos in die Länge. Heute hat ein solches Verfahren vor dem Bochumer Landgericht einen halbwegs versöhnlichen Abschluss gefunden. Im Rahmen eines großangelegten Verfahrens wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, banden- und gewerbsmäßigen Betruges in ziemlich vielen Fällen, Erpressung, Nötigung und anderer Delikte waren 2005/2006 mehr als 25 Personen in Untersuchungshaft gekommen. Das Verfahren wurde auch deshalb mit besonderer Aufmerksamkeit geführt, weil im Rahmen der Ermittlungen ein Staatsanwalt mit dem Tode bedroht worden sein soll. Eine 30-köpfige Sonderkommission der Polizei hatte rund 3 Jahre lang ermittelt und mehr als 30.000 Seiten Akten zusammengetragen.

Mein Mandant wurde fast ein Jahr nach den ersten Festnahmen in Haft genommen. Das Gericht nahm Fluchtgefahr an, obwohl der damals 42-jährige Familienvater in Brot und Arbeit stand und in Kenntnis der bereits erfolgten Inhaftierungen keinerlei  Fluchtanstalten getroffen hatte. Ganze sechs Monate hat es gedauert, bis ich eine Haftverschonung erreichen konnte.

Als die Hauptverhandlung gegen meinen Mandanten und zwei Mitangeklagte – darunter ein Rechtsanwalt –  begann, hatte die zuständige Kammer des Landgerichts im selben Tatkomplex schon rund 100 Verhandlungstage absolviert und gegen  knapp 20 Beschuldigte mehr als 80 Jahre Freiheitsstrafe verhängt. Bei einer solchen Sachlage fällt es schwer, an die Unvoreingenommenheit des Gerichts zu glauben.

Für den Fall eines frühzeitigen und umfassenden Geständnisses stellte das Gericht meinem Mandanten, dem neben der Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung 23facher banden- und gewerbsmäßiger Betrug mit einem Schaden von rund 1,5 Millionen Euro zur Last gelegt wurde, „eine 3 vor dem Komma“ , also eine Freiheitsstrafe zwischen 3 und 4 Jahren, in Aussicht. Ich habe darauf hingewiesen, dass Ziel der Verteidigung ein Freispruch sei. Wenn überhaupt, könne man allenfalls von einer untergeordneten Tatbeteiligung mit geringer krimineller Energie ausgehen, was selbst im Falle eines Schuldspruchs nur zu einer Bewährungsstrafe führen könne. Dieser Betrachtungsweise wollte das Gericht nicht näher treten. Also wurde streitig verhandelt.

Nach 15 Verhandlungstagen hatte die Kammer 8 oder 9 Anklagepunkte, darunter auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung,  eingestellt. Der Schaden war aus Sicht des Gerichts auf „nur“ noch ca. 560.000 Euro geschrumpft. Der persönliche Vorteil, den mein Mandant aus den Taten gezogen haben soll, wurde jetzt statt mit ursprünglich rund 70.000 Euro nur noch mit rund 10.000 Euro angenommen. Ich habe angeregt, erneut über eine verfahrensverkürzende Verständigung zu sprechen. Staatsanwaltschaft und Gericht waren sich schnell darüber einig, dass nach wie vor nur eine Strafe von mindestens 3 Jahren in Betracht komme. Meine Frage, wie das bei der deutlich gesunkenen Zahl von Taten und bei einer auf ein Drittel reduzierten Schadenhöhe sein könne, beantwortete der Vorsitzende Richter sinngemäß damit, dass ja kein „frühzeitiges und umfassendes  Geständnis“ erfolgt sei. Vielleicht verstehen Sie, dass ich über diese Argumentation einigermaßen erstaunt war.

Also wurde weiterverhandelt. Nach 22 Verhandlungstagen geschah etwas Dramatisches. Ein älterer Schöffe, der an den letzten Tagen  schon einen sehr angeschlagenen Eindruck gemacht hatte, starb unerwartet. Da keine Ergänzungsschöffen zur Verhandlung hinzugezogen worden waren, war das Gericht jetzt nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt. Folge: Wir mussten mit der gesamten Verhandlung in anderer Gerichtsbesetzung noch einmal von vorne beginnen.

Die neue Verhandlung begann nach einer Pause von 2 Monaten. Das Verfahren gegen den Rechtsanwalt war schon vor dem Tod des Schöffen abgetrennt worden. Also waren jetzt noch 2 Angeklagte übrig. Das war dem Gericht wohl zu wenig, deshalb wurden Verfahren gegen 3 weitere Angeklagte aus demselben Tatkomplex hinzuverbunden. Gleich zu Beginn der Verhandlung schlug ich erneut eine verfahrensverkürzende Absprache vor. In unermesslicher Großzügigkeit offerierte der Vorsitzende jetzt für den Fall eines umfassenden Geständnisses eine Strafe von 2 Jahren und 10 Monaten, das war immer noch keine bewährungsfähige Strafe. Also wurde streitig weiterverhandelt. Bald waren die 4 anderen Angeklagten, denen nur relativ geringfügige Vorwürfe gemacht worden waren, abgetrennt und zu Bewährungsstrafen verurteilt. Gegen meinen Mandanten wurde weiterverhandelt, insgesamt noch einmal  17 Tage lang. Ich stellte zahlreiche Beweis- und Verfahrensanträge, um Munition für die Revision zu sammeln. Längst war mir klar, dass das Gericht den Mann  auf Teufel komm raus zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Strafe verurteilen würde. Das schien zu einer Prinzipienangelegenheit geworden zu sein.

Nach 17 Tagen wurde plädiert. Das Urteil fiel mit 3 Jahren Freiheitsstrafe noch relativ moderat aus. Ich hatte befürchtet, dass die Kammer wegen der Verweigerung eines umfassenden Geständnisses eine deutlich höhere Strafe verhängen würde.

Der Bundesgerichtshof  (BGH) hatte bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche Revisionen gegen die vorangegangen Urteile der Kammer gegen andere Tatbeteiligte verworfen. Ich hatte meinem Mandanten gesagt, dass er nicht damit rechnen dürfe, mit der Revision durchzudringen. Ohnehin sind statistisch gesehen nur 3 Prozent aller Revisionen zum BGH im Endergebnis erfolgreich. Hier kam noch erschwerend hinzu , dass der BGH alle anderen Urteile der Kammer abgenickt hatte. Warum sollte er jetzt anders entscheiden?

Dann kam die Überraschung: Nach etlichen Monaten des Wartens hob der BGH auf die von mir umfangreich begründete Revision hin das Urteil des Landgerichts Bochum im Strafmaß auf.  Die Kammer hätte nicht hinreichend nachvollziehbar begründet, wie sich der festgestellte Schaden im Einzelnen berechnet und inwieweit sich der Vorsatz meines Mandanten auf die Schadenhöhe bezogen hätte.

Das war mehr als nur ein Hoffnungsschimmer. Nach weiteren eineinhalb Jahren des Wartens wurde heute vor einer anderen Strafkammer des Bochumer Landgerichts erneut zur Sache verhandelt. Schon im Vorfeld war eine Verfahrensabsprache vorbesprochen worden, mit der sich jetzt auch die Staatsanwaltschaft einverstanden erklärte. Nach lediglich 4 Stunden Verhandlung wurde mein Mandant zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Damit war ein Ergebnis erreicht, das wir schon am ersten Verhandlungstag akzeptiert hätten. So hat´s halt 40 Verhandlungstage mehr und fast 4 Jahre länger gedauert, um zum Ziel zu kommen. Und teuer ist die Sache  geworden.

Mich freut es für den Mandanten, der ein feiner Kerl ist, und für seine junge Familie.


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