Es gibt Mandanten, von denen nicht ganz wenige einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – bisweilen mit Migrationshintergrund – zuzurechnen sind, die sprechen und verstehen die deutsche Sprache ganz gut, haben es sich aber aus alter Familientradition heraus zur Gewohnheit gemacht, jeden zu duzen, von dem sie etwas wollen. Dazu gehören zum Beispiel Kunden, denen sie etwas verkaufen wollen, oder auch Anwälte, die benötigt werden, wenn die Kunden später an den Umständen des Kaufs oder an der Qualität des Kaufgegenstandes etwas zu mäkeln haben. Oder wenn ihnen anlässlich des Kaufs Sachen von bedeutendem Wert abhanden gekommen sind.
So ein „Du“ schafft Vertrauen, denken diese Mandanten vielleicht, und bleiben auch dann dabei, wenn sie konsequent zurückgesiezt werden oder wenn man ihnen klar zu machen versucht, dass man doch nicht – wie wir hier am Niederrhein bisweilen sagen – schon vor Jahrzehnten „gemeinsam in ein Küllken gepinkelt“ hat.
„Du musst entschuldigen, Herr Anwalt, aber ich bin das „Du“ so gewohnt! Ich kann gar nicht anders“, wird dann feixend gesagt. Vor Gericht stellt sich später bisweilen heraus, dass zumindest der Herr Richter oder die Frau Richterin gesiezt werden können. So eine Prozessatmosphäre legt möglicherweise bestimmte Synapsen im Gehirn um und fördert bis dahin ungeahnte Fähigkeiten zu Tage.
Ich bin seit jeher ein Mensch, der sich recht schnell mit anderen duzt, habe also grundsätzlich kein Problem damit. Allerdings weiß ich auch, dass es in meinem Beruf angesagt sein kann, eine gesunde Distanz zu den Mandanten zu halten; allzu vertraulich soll es bei allem Engagement nicht unbedingt werden. Und außerdem schafft so ein „Sie“ bisweilen auch den Respekt, der notwendig ist, um sich sachlich mit dem Mandanten auseinandersetzen zu können. („Du Arschloch!“ ist leichter dahergesagt als „Sie Arschloch!“, das lehrt das Leben.) Mit einem gewissen förmlichen Abstand ist es auch leichter, gewisse Regeln aufzustellen, wie zum Beispiel die, dass zu Mandatsbesprechungen nicht gleich der gesamte Familienclan mitgebracht werden soll, und dass die oft zahlreichen Kinder und Enkel zuhause besser aufgehoben sind als im Wartezimmer, das ja auch für andere Kundschaft benötigt wird. Ganz abgesehen davon, dass es auch wichtig ist, in so einer Anwaltskanzlei den Lärmpegel auf einem erträglichen Niveau zu halten.
Ojeeh, mir schwant schon, dass ich mich mit diesem Beitrag leicht dem Vorwurf aussetzen kann, ich bediene Vorurteile gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe und zeichne billige Klischees. Deshalb stelle ich hiermit entschieden klar, dass ich natürlich auch ganz andere Erfahrungen mit Mitgliedern derselben Bevölkerungsgruppe gemacht habe. Das sind kultivierte, weniger laute Menschen, die ganz natürlich einen respektvollen Umgang pflegen. Wo Weizen ist, da ist auch Spreu, oder umgekehrt, Sie wissen schon. Ich weiß allerdings auch, dass meine oben geschilderten Erfahrungen kein Einzelfall sind, sondern von den meisten überwiegend forensisch tätigen Strafverteidigerkollegen durchaus nachvollzogen werden können.
„Geld spielt keine Rolle, Herr Anwalt“, sagte vor zwei Wochen ein potenzieller Mandant zu mir, den ich auf Vermittlung eines anderen Mandanten in der Justizvollzugsanstalt aufgesucht habe. „Hauptsache, du holst mich hier raus!“ Dabei legte er mir eine Anklageschrift vor, aus der sich mehr als ein halbes Dutzend Verbrechensvorwürfe von jeweils erheblichem Gewicht ergaben. „Weißt du, Herr Anwalt, ich habe ja schon einen Verteidiger, aber dem vertraue ich nicht. Der hat mir schon vor Monaten versprochen, dass er mich rausholt, aber ich sitze immer noch hier. Von dir habe ich gehört, du bist der Beste!“
Da freut man sich doch, wenn man so etwas hört, oder? Man könnte natürlich auch auf die Idee kommen, dass das zur Masche gehört, um vorzubereiten, was danach kommt:
„Ich habe mir gedacht, Herr Anwalt, du holst erst Mal die Akte und sagst mir dann, ob du mich hier rausholen kannst. Dann ist Geld wirklich kein Problem!“
„Werter Herr Karamasov“, habe ich geantwortet, „das sind nicht die Regeln, nach denen ich arbeite. Sie können mich mit ihrer Verteidigung beauftragen, eine Vollmacht und eine Honorarvereinbarung unterzeichnen, und sobald der vereinbarte Honorarvorschuss gezahlt ist, setze ich mich in Bewegung.“ Ich habe dem Mann auch meine Honorarvorstellungen unterbreitet.
„So eine Akteneinsicht kann doch nicht mehr als hundert Euro kosten“, meinte Karamasov ungerührt, „die kriegst du, sobald du die Akte hast.“
„Sie missverstehen mich, Herr Karamasov, ich übernehme kein Mandant ausschließlich zum Zwecke der Akteneinsicht, und außerdem dürfte Ihr jetziger Verteidiger die Akte schon lange eingesehen haben. Sie können mir einen Verteidigungsauftrag erteilen, und der hat in Anbetracht der erheblichen Vorwürfe, die Ihnen gemacht werden, und wegen der Tatsache Ihrer Inhaftierung seinen Preis. In Anbetracht der Anklage und der dort vorgetragenen Beweismittel erscheint es prima facie auch nicht unbedingt naheliegend, dass ich Sie hier in absehbarer Zeit rausholen kann, aber Näheres dazu kann ich erst beurteilen, nachdem ich die Akte durchgearbeitet und mit Ihnen besprochen habe. Das kostet schon so Einiges, und die Höhe des Honorars bestimmen nicht Sie. Ich habe Ihnen dazu etwas gesagt, sie können zustimmen oder auch nicht.“
Herr Karamasov verdrehte die Augen, so als stünde er kurz vor einer Ohnmacht. Ich begann, mir ernsthafte Sorgen zu machen.
„Das kann nicht sein, Herr Anwalt“, stieß er schließlich hervor, „ich will ja nur, dass du in die Akte guckst und mir sagst, ob du mich hier rausholen kannst. Verstehst du?! Warum soll ich mir einen zweiten Anwalt nehmen, wenn du mir gar nicht helfen kannst?“
„Sie müssen sich ja keinen zweiten Anwalt nehmen, Herr Karamasov, ich zwinge Sie ganz bestimmt nicht dazu“, antwortete ich, wobei ich mich aufbrechend von meinem Stuhl erhob.
„Bleib sitzen, Herr Anwalt!“, bettelte Karamasov,“ich habe ja genug Geld, ich will aber auf Nummer sicher gehen.“
„Diese Sicherheit, Herr Karamasov, kann Ihnen niemand geben. Die Anklage deutet eher auf eine Straferwartung jenseits der fünf Jahre hin. Als Beweismittel werden diverse Zeugen, Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung, Observationsberichte und anderes mehr angegeben. Der Strafrahmen für jede angeklagte Tat liegt zwischen einem und 15 Jahren. Das klingt erst einmal nicht besonders erfolgversprechend. Auf welcher Grundlage sollte Ihnen irgendjemand die Garantie geben können, Sie hier rauszuholen? Und das auch noch ohne Aktenkenntnis?“
„Dann kann ich ja gleich bei meinem Anwalt bleiben, wenn Sie (!) so wenig Selbstvertrauen haben! Der hat ja sowieso Haftprüfung beantragt. Der Termin ist nächste Woche. Wissen Sie was, wir machen das so: Wenn ich im Haftprüfungstermin nicht rauskommen sollte, obwohl der mir das versprochen hat, dann lasse ich Sie nochmal kommen!“
„Mich lässt niemand kommen, Herr Karamasov, man bittet mich allenfalls darum. Und was wollen Sie mit einem Verteidiger ohne Selbstvertrauen? Ich denke, die Haftprüfung können Sie sich sparen. Aber ich wünsche Ihnen trotzdem viel Glück!“
Gestern habe ich Herrn Karamasov zufällig anlässlich eines JVA-Besuchs bei einem anderen Mandanten auf dem Flur angetroffen. Die Haftprüfung ist – wen wundert´s? – erfolglos verlaufen. „Ich nehme mir jetzt einen anderen Anwalt aus Köln“, meinte er überlegen lächelnd zu mir. „Du bist mir zu teuer! Oder machst du es auch für die Hälfte, das würde ich bezahlen.“
„Machen Sie´s gut, Herr Karamasov!“ habe ich ihm zugerufen und bin zu meinem Mandanten in den Sprechraum gegangen, um mit diesem seine Akte zu besprechen. Die hatte ich mir nach dem Eingang des vereinbarten Honorarvorschusses kommen lassen.
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Geld spielt keine Rolle, Herr Anwalt. Hauptsache, du holst mich hier raus!“
Schlagworte:
vor: Terroralarm: Wie der „Islamische Staat“ es fertigbrachte,...
zurück: Mord oder Selbstmord? Der vorhergesehene Tod eines regierungskritischen...