Verflixt und zugenäht. Als wenn all die auf prozessuale Vorgänge zurückzuführenden Verfahrensverzögerungen noch nicht genug wären: Heute sollte es weitergehen im Hamburger Piratenprozess, aber gegen 17 Uhr erreichte uns gestern ein Anruf des Gerichts, dass der Verhandlungstermin ausfällt, weil einer der angeklagten Piraten erkrankt und nicht verhandlungsfähig sei. Ob am kommenden Montag verhandelt werden kann, ist noch nicht klar, das kommt auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Mannes an. Ein kurzfristiges Ende des Verfahrens rückt damit in noch weitere Ferne, falls nicht erneut abgetrennt wird.
Die meisten Angeklagten haben die Nase voll. Ich habe „meinen Piraten“ am vergangenen Samstag in der JVA Hahnöfersand aufgesucht, da war er völlig neben der Rolle. Die andauernde Ungewissheit zerrt an seinen Nerven. Dreimal war die Beweisaufnahme schon beendet, dreimal ging es danach weiter mit Beweisanträgen, Beschlüssen, Gegenvorstellungen, Beschlüssen, Befangenheitsanträgen und weiteren Beschlüssen. Mein Mandant hatte mit all dem weitestgehend nichts zu tun, er war – wie die meisten anderen Piraten – Zaungast der prozessualen Verrenkungen eines Mitangeklagten. Als die Beweisaufnahme vor etwa 4 Wochen erneut geschlossen werden sollte, kam die Überraschung: Interpol Neu Dheli teilte mit, dass der Aufenthalt von zwei indischen Zeugen, die von der Verteidigung des Mitangeklagten benannt worden waren und die vom Gericht bis dahin als unerreichbar angesehen wurden, ermittelt worden sei. Weil diese Zeugen für meinen Mandanten und 4 andere Mitangeklagte nach Auffassung des Gerichts ohne Belang sind und das Hanseatische Oberlandesgericht für die jungen Angeklagten in einem von mir erwirkten Beschluss ein Prozessende oder eine Haftentlassung bis spätestens Ende März angemahnt hatte, trennte das Gericht das Verfahren gegen diese 5 Angeklagten zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung ab. Damit schien ein Ende greifbar nah. Aber weil unverhofft manchmal oft kommt, kam es zu einer weiteren Verzögerung, die einer der anderen Angeklagten dazu nutzte, dem Gericht mitzuteilen, dass er nun auspacken wolle. Er werde erzählen, wie alles wirklich war und sich auch zur Rolle der einzelnen Mitangeklagten äußern. Das war ein Paukenschlag, weil bislang alle Angeklagten sich nur zu ihrer eigenen Rolle bei dem Überfall auf die MS Taipan geäußert hatten, ohne die anderen zu belasten.
In Anbetracht der eingetretenen neuen Situation hat die Strafkammer die soeben getrennten Verfahren wieder verbunden und seitdem wird wieder gemeinsam verhandelt. 3 Verhandlungstage lang wurde Khalief D. nun schon vernommen, heute sollte es weitergehen. Und nun das.
Wo war ich: Ach ja, Abdiwali hat die Nase voll. In ein paar Tagen jährt sich der Überfall auf die MS Taipan zum zweiten Mal, seit 2 Jahren ist Abdiwali dann in Haft. 16 Monate dauert der erste Piratenprozess auf deutschem Boden seit 400 Jahren nun schon, Ende offen. Eine ungewöhnlich lange Haftzeit für einen Jugendlichen, dem Gutachter und Gericht eine in jeder Beziehung positive Entwicklung und eine günstige Kriminalprognose bescheinigt haben. Und der nach meiner Auffassung schon lange aus der U-Haft hätte entlassen werden müssen. Jugendstrafrecht ist Erziehungsstrafrecht, die Strafe soll nach Möglichkeit auf dem Fuße folgen und Untersuchungshaft ist bei Jugendlichen Ultima Ratio. Aber die Stadt Hamburg stellt für Jugendliche wie die hier angeklagten junge Somalier entgegen den gesetzlichen Vorgaben keine geeigneten Jugendhilfeeinrichtungen als Alternative zur Untersuchungshaft zur Verfügung und das Gericht bricht nach meiner Auffassung das Recht, indem es Abdiwali weiterhin festhält. Die Kammer sieht das natürlich anders, wie in ihren diversen Haftbeschlüssen zum Ausdruck kommt. Derzeit wird mal wieder dikutiert, ob nicht eine erneute Abtrennung und baldige Entscheidung erfolgen kann oder unter welchen Voraussetzungen eine Haftentlassung möglich ist. Und wie zwingend die Vorgabe des OLG ist, wonach eine Klärung bis Ende März erfolgt sein muss.
Ich richte mich darauf ein, dass die Haftfrage im Wege einer erneuten Haftbeschwerde und – falls diese negativ beschieden werden sollte – durch einen Antrag auf einstweilige Anordung durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden muss. Es liegt in der Hand der Kammer, dies zu vermeiden und meinen Mandanten aus der Haft zu entlassen. Der hat mir zuletzt mal wieder gesagt, dass er am liebsten tot wäre, weil er die Ungewissheit nicht mehr ertragen kann. Er wolle doch nicht weglaufen, wohin denn auch. Und er wolle zur Schule gehen und etwas für´s Leben lernen. So soll es auch sein, mein Junge. Halte durch!
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