Hardcore-Chat mit Zwölfjähriger: Verfahren gegen 17-Jährigen gegen 200 Euro Geldauflage eingestellt



Veröffentlicht am 28. August 2014 von

rp_Foto-4-300x270.jpgDie Anklage hatte es durchaus in sich: Dem zur Tatzeit 17-jährigen jungen Mann – nennen wir ihn Georg –  wurde vorgeworfen, durch zwei selbstständige Handlungen ein Kind dazu bestimmt zu haben, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen (§ 176 Abs. 4 Ziff. 2 StGB) und durch Vorzeigen pornografischer Abbildungen oder Darstellungen auf das Kind eingewirkt zu haben (§ 174 Abs. 4 Ziff. 4 StGB). Soweit noch der Besitz kinderpornografischer Schriften nach § 184  StGB in Betracht kam, war das Verfahren schon gemäß § 154 StPO beschränkt worden. Am Dienstag dieser Woche hat eine Jugendrichterin an einem niederrheinisches Amtsgericht das Verfahren auf meine Anregung hin mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gem. §§ 45, 47 JGG in der Hauptverhandlung eingestellt. Dem jungen Mann wurde zur Auflage gemacht, 200 Euro an eine Kinderschutzorganisation zu zahlen.

Der Fall ist reichlich anders als andere Fälle aus diesem Deliktsbereich und gibt Anlass, darüber nachzudenken, ob das Sexualstrafrecht bei sexuellen Geschehnissen zwischen ziemlich jungen Leuten nicht dringend reformbedürftig ist.

Was war geschehen? Georg hatte-  so seine Einlassung – von einem Kumpel eine Telefonnummer bekommen. Da melde sich eine „scharfe Braut“, mit der man im Chat alles Mögliche anstellen könne, hatte der Kumpel ihm gesagt. Also habe er die „Braut“ via whatsapp angechattet. Tatsache ist, dass sich daraufhin ein Mädchen – nennen wir es Jenny – meldete und fragte, wer da mit ihm in Kontakt treten wolle. Er habe aus Langeweile auf Geratewohl einfach eine Nummer angechattet, behauptete Georg, aber er sei natürlich neugierig, mit wem chatte. Und dann legte Georg los. Er sei 18 Jahre alt, erfolgreicher Jungunternehmer, habe drei Firmen und ein Autohaus und eine tolle Villa. Zum Beleg schickte er auch gleich in Foto von einer Villa aus der Nachbarschaft rüber, und ein Foto von sich selbst.

Sie sei erst 12, antwortete Jenny, und lebe in einer weit entfernten Stadt, sie hoffe, das mache ihm nichts aus. Jenny schickte auch ein Foto von sich, ein hübsches Mädel, langhaarig und langbeinig, geschminkt und gut proportioniert, darauf sah sie eher wie 16 oder 17 aus, aber gewiss nicht wie 12. Schade, dass sie so jung sei, antwortete Georg, normalerweise tausche er sich mit Mädels nämlich ganz anders aus, als das mit einer Zwölfjährigen möglich sei. Dann solle er sich halt  vorstellen, sie sei schon 16, meinte Jenny, und außerdem habe sie schon genügend sexuelle Erfahrungen und keine Tabus. Ihre Lieblingsstellung sei „69“, ließ sie ihn wissen, und sein Foto mache sie richtig „horny“. „Sexy“ sehe er aus, meinte sie, nannte ihn „Baby“ und „Schatz“, und er gab ähnliches zurück.

Nie und nimmer ist die erst 12, dachte Georg, so wie ich ja auch weder 18 noch Jungunternehmer bin, sondern bloß ein kleiner Azubi. Die spielt die Lolita- Nummer mit mir. Das Mädchen gefiel ihm, schon am ersten Abend gingen fast 200 whatsapp-Nachrichten hin und her. An den nächsten Tagen steigerte sich das, Jenny schickte ihm Dessous-Fotos mit wenig kindlicher Oberweite  von sich, und dann, als er meinte, sie solle doch mal zeigen, was sie darunter trage, auch Bilder ohne Kleidung. Er schickte ihr „selfies“ von sich unter der Dusche und ganz nackt, sie sendete ähnliches von sich zurück, und dann wurden die Fotos und Videos immer drastischer. Er masturbierte vor der Kamera, sie führte sich alle möglichen Gegenstände in diverse Körperöffnungen ein, Getränkedosen und Haarbürsten, so dass er sie warnte, das sei doch nicht unbedingt gesund  und sie solle so was lieber lassen, sonst verletze sie sich noch. Es ist schon erstaunlich, wie tabulos das alles abging, und dazwischen gab es begeisterte Liebesbekundungen en masse, so als sei man schon länger miteinander liiert und fliege aufeinander.

Wechselseitige Anweisungen, wer was wie filmen und fotografieren und dem anderen rüberschicken sollte, wurden ausgetauscht, so ziemlich ohne Limit. Knapp tausend Dateien wurden binnen 4 Tagen via Handy ausgetauscht, dazu noch ein ausführlicher Facebook-Chat, da kam allerhand zusammen.

Die Sache flog auf, weil Jenny nicht nur mit Georg, sondern auch mit anderen Jungs ziemlich sexualisierte Kontakte hatte. Ein paar von denen, die sie aus der Schule kannte, hatte sie in Abwesenheit ihrer alleinerziehenden Mutter mit zu sich nachhause genommen, und als die Mutter zurückkam, fand sie eine partymäßig vermüllte Wohnung mit halbleeren und leeren Alkoholgetränkeflaschen, Marihuanareste  und offene Präservativpackungen vor. Auf dem Handy ihrer Tochter entdeckte die offensichtlich in der Erziehung überforderte Frau die Chats und Bilddateien, die Jenny mit Georg getauscht hatte, und das Alles veranlasste sie, die Polizei anzurufen.

Jenny habe, so heißt es in einem Polizeivermerk, auf das Erscheinen der Beamten „sehr zickig“ reagiert. Sie sei mit einem sehr kurzen, knapp über dem Gesäß endenden und tief dekolletierten Minikleid erschienen, einer hautfarbenen Perlonstrumpfhose in schwarzen Stiefeln mit hohem Absatz und einer kurzen schwarzen Kunstlederjacke, die sie offen trug. Ihre Augen seien mit Lidstrich und Wimperntusche geschminkt gewesen, optisch habe sie das Bild einer 15- bis 16-Jährigen vermittelt. Im Rahmen der Befragung habe sie eingeräumt, mit einem der Partyjungs Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, aber mit Kondom. Gegen den ist daraufhin ein Verfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs eingeleitet worden, weil er zur Tatzeit schon über 14 Jahre alt war und Jenny ja erst 12.

Georg war nicht wenig erstaunt, als die Polizei an der Wohnanschrift seines Vaters, wo er selbst ein Zimmer hatte, mit einem Durchsuchungsbeschluss erschien und den von ihm genutzten Laptop seines Vaters und sein Handy sicherstellte. Und er war – so sagte er mir – verwundert darüber, dass Jenny tatsächlich erst 12 Jahre alt sein sollte. Damit hätte er  „im Traum nicht gerechnet“, so, wie die aussehe, über welche Erfahrungen sie verfüge und was sie inhaltlich so von sich gebe. „In dem Alter habe ich noch mit Spielzeugautos gespielt, aber nicht an Sex gedacht oder jedenfalls nicht mit Mädchen darüber geredet“, hat er mir zu verstehen gegeben, und das konnte ich – wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke – durchaus nachvollziehen. Aber die Zeiten haben sich geändert, wie der Fall zeigt.

Die Polizei hatte Georg kurz nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung aus präventiv-polizeilichen Gründen vorgeladen und zugleich für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung ein Zwangsgeld, ersatzweise Haft,  angedroht.  Für sie war Georg jetzt ein hochverdächtiger Sexualstraftäter, der in entsprechende Karteien aufzunehmen sei. Wir haben, nachdem zunächst keine außergerichtliche  Rücknahme der Maßnahme zu erreichen war, dagegen vor dem Verwaltungsgericht geklagt und vorgetragen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass es sich bei dem bis dato strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Jugendlichen um einen Menschen mit einem sexuellen Faible für Kinder oder andere strafrechtlich bedeutsame Devianzen handele. Das hat das Verwaltungsgericht auch so gesehen und die Behörde dazu veranlasst, auf die Maßnahme zu verzichten. Die Kosten des Verfahrens musste die Staatskasse tragen.

Im Hauptverhandlungstermin ist das  „Tatopfer“, also Jenny, trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Georg hat noch einmal betont, dass er es nie und nimmer für möglich gehalten hätte, dass das Mädchen tatsächlich erst 12 Jahre alt sei. Die junge Richterin meinte, insoweit könne aber jedenfalls ein Eventualvorsatz nicht ausgeschlossen werden, weil ja über das Alter tatsächlich mehrfach kommuniziert worden sei. Jedenfalls hätte Georg nicht sicher sein können, dass es sich bei der Altersangabe um einen Fake gehandelt habe. Ich habe darauf hingewiesen, dass selbst die Polizei das Erscheinungsbild einer 15- bis 16-Jährigen beschrieben habe und das Jugendliche heutzutage gerne Legenden aufbauen und das auch voneinander wissen. Georg habe die Altersangabe schlichtweg nicht ernst genommen.

Die Richterin zog die Augenbrauen hoch. Ich habe schließlich vorgeschlagen, das Verfahren gemäß den §§ 45, 47 JGG einzustellen. Eine besondere Strafwürdigkeit sei in Anbetracht der Gesamtumstände wohl nicht gegeben, selbst wenn man annehmen wollte, Georg habe das noch kindliche Alter des Mädchens nicht für völlig unmöglich gehalten. Ich habe in diesem Zusammenhang angemerkt, dass man darüber nachdenken müsse, ob es richtig sein könne, dass sich  ein 14-Jähriger, der auf sexuelle Avancen einer körperlich weit entwickelten 13-Jährigen eingeht, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern strafbar macht, während ein sehr erwachsener Mensch, der Sex mit einer 14-Jährigen hat, straffrei bleibt, wenn kein Erziehungs- oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis besteht und das Mädchen zur sexuellen Selbstbestimmung in der Lage ist.

Im Ergebnis waren sich alle Prozessbeteiligten darüber einig, dass Georg, der inzwischen eine gleichaltrige Freundin hat, von der er sich den Ausweis hat zeigen lassen, bevor er sich mit ihr einließ, nicht unbedingt bestraft werden müsse. So wurde das Verfahren schließlich einvernehmlich eingestellt. Auch die Jugendgerichtshilfe hat dem nicht widersprochen.

P.S.: Jenny hat zwischenzeitlich versucht, noch einmal Kontakt mit Georg aufzunehmen. Ende des Jahres werde sie 14, hat sie ihm mitgeteilt, und dann sei doch Alles erlaubt. Georg hat hierauf nicht mehr geantwortet.


Kategorie: Strafblog
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