Harry wird den Richter schon totquatschen, wenn keine Einstellung erfolgt …



Veröffentlicht am 8. Oktober 2012 von

Da ich noch bis morgen auf Mallorca bin, muss mich der Kollege Menke heute in einem delikaten Verfahren vor einem niederrheinischen Amtsgericht vertreten. Delikat deshalb, weil es sich um einen sehr speziellen Mandanten handelt. Es geht um eine Widerstandsleistung gegen Vollstreckungsbeamte der besonderen Art, Details kann ich aus Gründen des Mandatsgeheimnisses nicht verraten. Harry S. (Name natürlich geändert)  war leicht ungehalten, dass ich nicht persönlich zur Verhandlung komme, obwohl er weder zahlungskräftig ist noch auf mich hört. Ich vertrete ihn schon seit Jahren und bislang hat er sich erfolgreich jedem anwaltlichen Rat widersetzt, was mehrfach zu vermeidbaren ungünstigen Prozessergebnissen geführt hat. Ich habe darüber vor einiger Zeit mal unter dem Titel „Ich schätze Ihre Kompetenz, Herr Anwalt …..  aber ich höre auch diesmal nicht auf Sie!“ einen viel gelesenen Blogbeitrag geschrieben. Warum der Mann immer noch zu mir kommt, weiß ich nicht, es ist wohl eine rational nicht zu erklärende Art von Anhänglichkeit. Nicht weniger rational ist allerdings, dass ich mich immer noch breitschlagen lasse, ihn zu vertreten, obwohl ich doch weiß, was da auf mich zukommt.

Harry hat mir vor ein paar Tagen eine achtseitige Stellungnahme zur Anklage zukommen lassen. Er werde sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen und noch zahlreiche Zeugen laden lassen, kündigte er an. In seiner Stellungnahme hat Harry ein paar Dutzend tatsächlicher und vermeintlicher Widersprüche in der Akte und in der Anklageschrift ausgearbeitet, da wurde auf jedes Detail geachtet.  Selbst Rechtschreibefehler und unvollständige Sätze, die aber durchaus noch ihren Sinngehalt erkennen lassen, wurden moniert. Er sei mit seiner Ausarbeitung noch nicht ganz fertig, da kämen noch ein paar Seiten hinzu, meinte Harry noch, und das kann man durchaus als Drohung ansehen.

Ich weiß nicht, was die Staatsanwaltschaft dazu getrieben hat, den schon mehr als 2 Jahre zurückliegenden Vorfall noch anzuklagen. Harry hat zwischenzeitlich eine gesamtstrafenfähige Freiheitsstrafe von einem Jahr endverbüßt und steht wegen einer anderen Verurteilung unter Führungsaufsicht. Da schreit eigentlich alles nach einer Verfahrenseinstellung gem. § 154 StPO, zumal seit seiner Haftentlassung nichts mehr passiert ist und der Mann mit dem Leben so einigermaßen klar kommt.

Der Amtsrichter hat bei 4 geladenen Zeugen eine Verhandlungsdauer von eineinhalb Stunden anberaumt. Da kennt er aber den Harry nicht. „Ich brauche doch für meine Einlassung schon länger“, hat Harry mir angekündigt, und er wird sich da auch nicht bremsen lassen, wie ich aus alter Erfahrung weiß. Eine Schweigeverteidigung kommt nicht in Betracht, da ist Harry einfach beratungsresistent, und außerdem soll man sich als Verteidiger bei einem unbedingt redewilligen Mandanten auch nicht dem späteren Vorwurf aussetzen, die Verurteilung sei ja nur erfolgt, weil der gute Mann nicht reden durfte.

Ich habe dem Kollegen Menke geraten, mit Gericht und Staatsanwaltschaft noch einmal die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung zu diskutieren. Ansonsten müsste neben anderen Beweisanträgen auch noch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit ins Auge gefasst werden. Der Mann hat sich ja – falls der Anklagevorwurf zutreffen sollte – nur deshalb zur Wehr gesetzt, weil er der tiefen inneren Überzeugung war, durch die Vollstreckungsbeamten ungerecht behandelt zu werden. Da konnte er gar nicht anders ….

Und außerdem lügen die Beamten, das hat mir der Mandant hoch und heilig versichert.

Jetzt bin ich gespannt, was mir der Kollege nach der Sitzung berichten wird. Ich werde es die strafblog-Leser wissen lassen.

 

 

 


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