Hat der Rechtsstaat funktioniert? Eine Nachbetrachtung zum Hoeneß-Verfahren



Veröffentlicht am 16. März 2014 von

Rainer Pohlen, Foto: Stefan Völker

Rainer Pohlen, Foto: Stefan Völker

Eines will ich vorab gestehen: Als alter Mönchengladbacher habe ich so meine Probleme mit dem FC Bayern. In den siebziger Jahren, da konnte unsere Borussia ja noch mit den Münchener Fußballgrößen mithalten, aber dann haben die angefangen, unsere besten Spieler wegzukaufen, selbst wenn die dann wie weiland Kalle del Haye auf der Ersatzbank schmoren mussten. Aber uns haben sie gefehlt. Ohne unsere Mönchengladbacher Jungs wären die Bayern doch nicht die, die sie heute sind, selbst für das Triple brauchten sie als Trainer unseren Jupp. Aber jetzt, wo der Uli Hoeneß nicht mehr Boss der Bayern ist, da berichte ich über seinen Fall ganz objektiv. Na ja, ich versuche es jedenfalls. Wobei ich einräume, an dem Gerichtsverfahren gegen ihn nicht persönlich teilgenommen zu haben und meine Kenntnisse nur aus allgemein zugänglichen Quellen zu beziehen. Da muss also nicht immer alles bis auf´s i-Tüpfelchen stimmen, was ich hier wiedergebe. Aber die grobe Richtung passt.

Ich bin kein glühender Anhänger von Verschwörungstheorien, aber je länger ich über den soeben zu Ende gegangenen Prozess gegen den Ex-Bayern-Präsidenten nachdenke, umso mehr werde ich den Verdacht nicht los, dass wir von den Verfahrensbeteiligten an der Nase herumgeführt worden sind.  Zu Vieles ist einfach  sonderbar gelaufen und weicht in geradezu abstrusem Ausmaß von den normalen Prozessverläufen in solch einer gewichtigen Causa ab.

Da ist zunächst einmal die große Eile zu nennen, mit der das Verfahren trotz mancher angeblich so überraschender und vor allem gravierender neuer Erkenntnisse abgewickelt worden ist. Es war schon ungewöhnlich, dass der spektakuläre Prozess von vornherein auf nur vier Verhandlungstage terminiert worden ist, die dann auch noch unmittelbar hintereinander innerhalb einer Woche absolviert werden sollten. Bei einer solchen Planung bleibt kaum Zeit, auf im Normalfall durchaus zu erwartende überraschende Einlassungen, Anträge oder  Zeugenaussagen mit etwas Überlegungsfrist zu reagieren.

Die Tatsache, dass Hoeneß und seine Verteidigung gleich am ersten Verhandlungstag mit einem zwar knappen, aber inhaltlich geradezu ausufernden Geständnis aufwarteten und die Höhe der hinterzogenen Steuern in Abweichung von der Anklage mal eben mehr als verfünffachten, schien die Kammer nicht sonderlich zu verwundern.  Sie veranlasste sie jedenfalls nicht dazu, die ihr bis dahin nicht bekannten mehrere zehntausend Seiten umfassenden Unterlagen, die der Steuerfahndung erst wenige Tage zuvor in mehreren Teillieferungen via USB-Stick übermittelt worden waren, erst einmal sorgfältig zu prüfen  und das Verfahren zu diesem Zweck auszusetzen oder zumindest zu unterbrechen. Auch nachdem eine als Zeugin gehörte Steuerfahnderin am zweiten Verhandlungstag erklärt hatte, sie hätte noch mindestens weitere knapp 9 Millionen ermittelt, genügten dem Gericht einige wenige Rückfragen und die lapidare Bekundung der Verteidigung, dass die Zahlen als realistisch angesehen würden. Immerhin, am dritten Verhandlungstag soll der als „harter Hund“ geltende  Vorsitzende Richter Heindl erklärt haben, dass das Gericht am Vorabend darauf verzichtet hätte, das Champions-League-Spiel der Bayern gegen Arsenal anzusehen, und stattdessen die Plausibilität der von der Steuerfahnderin ermittelten Zahlen überprüft hätte. Diese könnten so von der Kammer übernommen werden. Eine reichlich flotte Erkenntnis, von der nicht so richtig nachvollzogen werden kann, wie sie denn den ebenfalls zur Urteilsfindung berufenen Schöffen übermittelt worden ist. Die haben jedenfalls – wenn meine Informationen stimmen – weder in der Verhandlung die betreffenden Unterlagen in Augenschein nehmen können noch wurde insoweit das Selbstleseverfahren angeordnet, welches ja in Anbetracht des Aktenumfangs Tage oder Wochen in Anspruch genommen hätte. Nach etwas mehr als einer Stunde war der dritte Verhandlungstag beendet. Keine bedeutsamen Fragen von irgendeiner Seite, keine Anträge, keine großartigen Statements innerhalb der Hauptverhandlung. Die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Netto hat sie an drei Verhandlungstagen insgesamt vielleicht sechs bis acht Stunden gedauert, wenn überhaupt.

Niemand hat, so scheint es,  ernsthaft wissen oder gar überprüfen wollen,  ob die von der Steuerfahnderin im Schnelldurchgang ermittelten Zahlen, die nach deren Aussagen zugunsten von Hoeneß zurückhaltend geschätzt worden waren, bei genauer Betrachtung nicht noch deutlich höher ausgefallen wären. Hat jemand kontrolliert,  ob die Unterlagen überhaupt vollständig waren? Keine Fragen wurden dem Vernehmen nach dazu gestellt, wie Hoeneß an die gewaltigen Geldmittel gekommen ist, mit denen er spekuliert hat. Kein Interesse bestand offensichtlich daran zu erfahren, ob Hoeneß´ privatwirtschaftliche Aktivitäten in irgendeiner Weise mit denen seines Fußballclubs vermengt worden sein könnten oder ob etwa im Aufsichtsrat vertretene Unternehmen oder deren Repräsentanten bei den riesigen Spekulationsgeschäften mitgemischt haben könnten. Man hat sich halt auf das Wesentliche beschränkt, und das ganz konsequent. Auf jeden Versuch, die in die Zockerei involvierten Schweizer Banker zu vernehmen, haben Gericht und Strafverfolger verzichtet. Keine Anfrage, ob die bei der Erstellung der fehlgeschlagenen Selbstanzeige involvierten Steuerberater und Rechtsanwälte von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Die staatsanwaltliche und gerichtliche Amtsaufklärungspflicht, die grundsätzlich auch bei geständigen Einlassungen gilt, ist – das kann man festhalten – nicht sonderlich intensiv wahrgenommen worden. Die Eile hat das nicht zugelassen.

Die hochkarätig besetzte Verteidigerriege des Bayernbosses ist während der gesamten Verhandlung bemerkenswert zurückhaltend geblieben. Man konnte kaum den Eindruck gewinnen, dass für den Fall des Falles Revisionsgründe gesammelt werden sollten, was normalerweise doch bei ungewissem Verfahrensausgang das Gebot der Stunde gewesen wäre. Kein einziger Beweisantrag wurde gestellt, die um 9 Millionen über die eigene Berechnung hinausgehende Zahlenermittlung der Steuerfahnderin wurde ohne großes Federlesen unstreitig gestellt und überhaupt wurde jeder Konflikt mit der Kammer oder der Staatsanwaltschaft tunlichst vermieden. Bislang habe er keine Verteidigung gesehen, wurde Franz Beckenbauer am dritten Hauptverhandlungstag in der Presse zitiert, aber die Angreifer hätten ihr Pulver bereits verschossen. Jetzt liege es an der Verteidigung, diese Punkte (welche meinte er eigentlich?) zu klären.

Die Verteidigung hat gar nichts geklärt. Weder im Gerichtssaal noch in irgendwelchen Statements gegenüber den Medien wurde eine Verteidigungslinie erkennbar. Selbst im Plädoyer hat sie – so wird berichtet – reichlich zurückhaltend agiert und ihren offenkundig aussichtslosen Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen angeblicher Vollständigkeit der Selbstanzeige gleich wieder konterkariert, indem vorgetragen wurde, diese sei letztlich nur knapp gescheitert. Knapp vorbei ist auch daneben, könnte man meinen, aber bei im Verhältnis zur Anklage letztlich sogar achtfach höheren Hinterziehungsbeträgen muss wohl eher von einem Schuss in die Wolken als von einem knappen Verpassen des Tores gesprochen werden.

Die Staatsanwaltschaft hat besonders schwere Steuerhinterziehung in sieben Fällen angenommen und unter Anführung diverser Strafmilderungsgründe, über die sich trefflich streiten lässt, für bayerische Verhältnisse reichlich moderate fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Die Verteidigung hat – bei insgesamt 28,5 Millionen Euro Hinterziehungsbetrag abwegig genug – einen Strafantrag im bewährungsfähigen Bereich entgegengestellt, falls es nicht zu einer Verfahrenseinstellung kommen sollte.

Die Kammer hat nach Beratung eine vollstreckbare Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Sie ist damit – was in Bayern keine Selbstverständlichkeit ist – in der Mitte zwischen den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung geblieben. Wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen wurden Einzelstrafen zwischen sechs Monaten und zweieinhalb Jahren ausgeworfen,  kein besonders schwerer Fall war dabei. Kein besonders schwerer Fall??? Der beginnt normalerweise bei 100.000 Euro, das ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spätestens seit der bahnbrechenden Entscheidung des 1. Strafsenats vom 2.12.2008 (BGH 1 StR 416/08). Bis Ende 2007 musste als subjektives Merkmal noch der „grobe Eigennutz“ hinzutreten, aber wer will das bei maßloser Zockerei mit Multimillionenbeträgen ernsthaft bestreiten? Hoeneß hat im Durchschnitt der zur Verurteilung gelangten 7 Fälle mehr als 4 Millionen Euro hinterzogen, das ist das Vierzigfache des genannten Wertes. In einigen Fällen ist es deutlich mehr gewesen. Trotzdem, kein besonders schwerer Fall! Wegen der vielen Strafmilderungsgründe, die die Kammer gefunden hat: Die fehlgeschlagene Selbstanzeige, das – wenn auch späte – Geständnis über weitere 15 Millionen, das karitative Engagement und die Lebensleistung des Uli H. und die zumindest teilweise Schadenwiedergutmachung.

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2012 ein Urteil des Landgerichts Augsburg, durch welches ein Geschäftsmann  wegen Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu einer Bewährungsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden war, wegen unvertretbarer Milde aufgehoben. Gewiss, damals war durch Umdeklarieren von Einkünften zur Schenkung aktiv getäuscht worden, aber der auf zwei Fälle verteilte Steuerschaden war ungleich geringer als bei Hoeneß. Für den hat das Gericht andere Maßstäbe gefunden. Das ist wirklich ein harter Hund, der Richter Heindl, das wissen wir jetzt.

Selbstverständlich werde man gegen das Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einlegen, hat der Verteidiger Feigen unmittelbar nach der Urteilsverkündung in die Mikrofone gesprochen. Musste er auch, schließlich hatte er ja primär die Einstellung des Verfahrens gefordert. Da ist die Einlegung eines Rechtsmittels nur konsequent. Zumindest muss man erst mal so tun, als ob.

Die Staatsanwaltschaft hat sich mit einer Kritik an dem überaus milden Urteil bislang auffällig zurückgehalten. Man werde am Anfang der kommenden Woche entscheiden, ob Revision eingelegt werden soll, ließ man verlauten. Als ob es da einen Zweifel geben könnte, wenn die Kammer nicht einmal den besonders schweren Fall bejaht hat. Das schreit ja geradezu nach Revision. Und der für die Revision zuständige 1. Strafsenat  gilt manchen als knallhart. Wie Heindl.

Und dann hat der Uli Hoeneß uns alle überrascht. Er werde seine Verteidiger anweisen, keine Revision einzulegen, tat er am Tag nach der Urteilsverkündung kund. Das entspreche seinem „Verständnis von Anstand, Haltung und persönlicher Verantwortung“. Die Steuerhinterziehung sei der Fehler seines Lebens gewesen. Deshalb lege er auch alle Ämter beim FC Bayern nieder. Chapeau!

Uli Hoeneß hat viel Respekt für seine Entscheidung gezollt bekommen. Merkel, Gabriel und sogar Gysi und Wagenknecht haben sich in diesem Sinne geäußert. Und natürlich viele Promis aus Sport und Gesellschaft. Menschliche Größe wird dem Uli allenthalben attestiert. Der Rechtsstaat habe gesiegt, war in vielen Kommentaren zu lesen. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung finden, so sagt eine Umfrage, das Urteil gerecht. 7 Prozent ist es zu hart, immerhin 38 Prozent finden es zu milde.

Hoeneß wird, so verbeiten es die Medien, in den nächsten Wochen eine Ladung zum Strafantritt erhalten und sich in der JVA Landsberg zum Strafvollzug stellen. Nach drei Monaten, so wird gemutmaßt, kann er dann als Freigänger draußen arbeiten, beim FC Bayern zum Beispiel oder in seiner Wurstfabrik.

Anscheinend rechnet niemand ernsthaft damit, dass die Staatsanwaltschaft in die Revision geht, wie sie das vermutlich bei jedem anderen Steuerhinterzieher dieses Ausmaßes und solch einem milden Urteil tun würde. Aber doch nicht bei Hoeneß, oder etwa doch? Wir werden es in den nächsten Tagen wissen. Bis zum kommenden Donnerstag müsste das Rechtsmittel eingelegt werden. Aber selbst wenn das pro forma geschehen sollte, heißt das noch nicht, dass die Revision auch tatsächlich durchgeführt wird. Die Staatsanwaltschaft kann ja auch anstandshalber abwarten, bis das schriftliche Urteil vorliegt, und die Revision dann zurücknehmen.

Ich tippe aber, dass sie keine Revision einlegt. Dann kann die Kammer ein abgekürztes Urteil schreiben und muss ihre Entscheidung nicht ausführlich begründen. Das kann manches Kopfschütteln ersparen.

Die scheinbar zahnlos agierende Verteidigung war, sollte es bei dem Urteil bleiben, außerordentlich erfolgreich. Nur dreieinhalb Jahre für 28,5 Millionen hinterzogener Steuern, das muss man erst Mal erreichen. Der Uli wird das zu schätzen wissen. Da fällt der Verzicht auf die Revision, bei der er sich ersichtlich nicht verbessern könnte, ziemlich leicht. Das hat wenig mit menschlicher Größe, aber viel mit Kalkül zu tun.

Es bleiben Fragen:

Offiziell hat es keinerlei Verfahrensabsprache gegeben, das ist so auch protokolliert worden. Was aber machte die Verteidigung so sicher über den Verfahrensausgang, dass sie keinerlei Anstrengungen unternahm, Revisionsgründe zu schaffen? Warum hat sie so kurz vor dem Prozessbeginn noch lange zurückgehaltene Unterlagen überreicht und dann ein überbordendes Geständnis lanciert? Warum wurde den von der Steuerfahnderin ermittelten weiteren 9 Millionen nicht entgegengetreten, obwohl man doch auf derselben Tatsachengrundlage einen deutlich geringeren Betrag ermittelt hatte? Ohne die Daten auf den USB-Sticks  wäre  nur eine Verurteilung wegen 3,5 Millionen möglich gewesen. Spätere Erkenntnisse über deutlich höhere Hinterziehungsbeträge wären dem Strafklageverbrauch zum Opfer gefallen. Wer hat da was mit wem abgesprochen?

Hoeneß will uns ernsthaft weismachen, dass er sich ohne Absprache mit seinen Verteidigern und nur in Beratung mit seiner Familie zum Revisionsverzicht entschlossen hat. Seine Ehefrau Susi hat das bestätigt. Nicht mir gegenüber, aber gegenüber der Presse. Als versiertem Taktiker muss dem Uli klar gewesen sein, dass er sich bei einem einseitigen Rechtsmittelverzicht schutzlos und ohne ein Gegengewicht zu schaffen  einer zu erwartenden Revision der Staatsanwaltschaft ausgesetzt hätte. Der Verzicht auf die Revision macht nur Sinn, wenn er davon ausgehen konnte, dass auch die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel durchführt. Wetten, dass es so kommen wird? Auch wenn alle Beteiligten versichern werden, dass es keinerlei Absprachen gegeben hat.

Anders als viele andere Kommentatoren habe ich nicht den Eindruck, dass der Prozess gegen Hoeneß den Beweis geliefert hat, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Im Gegenteil. Da ist viel rechtsstaatliches Muss auf der Strecke geblieben. Und beim nächsten Steuerstrafverfahren wird der Richter Heindl möglicherweise wieder zeigen, was für ein harter Hund er tatsächlich sein kann. Auch wenn es nur um einen Bruchteil der Beträge gehen sollte, für die Hoeneß verurteilt worden ist. Aber jeder Fall ist anders und opulente Strafmilderungsgründe liegen nicht immer vor und haben auch nicht immer dasselbe Gewicht.


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