Rechtsstaat adieu?! Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf die Revision in Sachen Hoeneß!



Veröffentlicht am 17. März 2014 von

 

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Kaum überraschend wird soeben über die Newsticker verbreitet, dass die Münchener Staatsanwaltschaft auf die Revision gegen das milde Urteil gegen den Ex-Bayern-Boss Uli Hoeneß verzichtet. Damit wird der fast unerhörte Erfolg der nach Außen reichlich passiv agierenden Verteidigung perfekt.

Ein Verfahren voller Ungereimtheiten ist damit beendet, ohne dass die eigentlich spannenden Fragen wirklich beantwortet sind. Der Bundesgerichtshof muss sich damit nicht mehr befassen.

Der „Pate vom Tegernsee“, wie Hoeneß von manchen liebevoll und von anderen kritisch genannt wird, hatte der Öffentlichkeit ja bereits am Tag nach der Urteilsverkündung mitgeteilt, dass er den Strafausspruch von 3 Jahren und 6 Monaten akzeptieren will. Er habe seine Verteidiger angewiesen, keine Revision einzulegen. Von „Anstand, Haltung und persönlicher Verantwortung“ hat er in diesem Zusammenhang geredet, und das hat ihm viel Lob von (fast) allen Seiten eingebracht.  Ohne Rücksprache mit seinen Anwälten und nur von seiner Familie beraten will Hoeneß zu der honorigen Entscheidung gekommen sein, das hat auch seine Ehefrau Susi gegenüber der BILD ausdrücklich bestätigt.

Es fällt nicht leicht zu glauben, dass der gewiefte Taktiker Uli H.  da so ganz blauäugig und unbeleckt von juristischen Ratschlägen nur auf moralischer Grundlage entschieden hat. Es ist zwar nie zu spät für irgendwelche Einsichten, aber das Vorverhalten des nunmehr rechtskräftig verurteilten Steuersünders spricht eine andere Sprache. Vielleicht war da doch mehr Kalkül im Spiel, als manch einer vermutet.

Damit komme ich dann auch zum Kern der Sache:

Was war das eigentlich für ein Verfahren, dass die Münchener Justiz uns da innerhalb weniger Tage präsentiert hat? Ist da wirklich Alles mit rechten Dingen zugegangen? Oder hat es ganz unbemerkt von der Öffentlichkeit hinter den Kulissen explizite oder stillschweigende Regelungen und Absprachen gegeben, die nur den Schein der Rechtsstaatlichkeit wahren sollten? Aber nein, so weit sollte man mit seiner Skepsis nun wirklich nicht gehen, der Vorsitzende Richter Heindl hat zu Beginn der mündlichen Urteilsverkündung  ja schon einige mahnende Worte an die spekulierende Meute der viel zu wenig sachkundigen Prozessberichterstatter gerichtet.

Jetzt, nachdem klar ist, dass es keine strafrechtlichen Weiterungen wegen der abgeurteilten Taten mehr geben wird, kann die Aufarbeitung des Prozesses beginnen. Das große Rätselraten geht weiter.

Warum, so frage ich mich, hat das ziemlich komplexe Verfahren eigentlich nur vier Tage in Anspruch genommen, obwohl sich die Ausgangslage doch gleich zu Beginn der Verhandlung durch das die Anklage bei weitem überschießende Geständnis des Angeklagten bzw. durch die flankierende Erklärung seiner Verteidigung mächtig verändert hatte? 18,5 Millionen Euro hinterzogener Steuer anstatt „nur“ 3,5 Millionen, das wirft doch Fragen auf.

Mehrere USB-Sticks mit rund 70.000 Seiten Unterlagen – die meisten wohl von der Vontobel-Bank – hat die Verteidigung der Steuerfahndung im unmittelbaren Vorfeld des Prozesses zugeleitet, am 27.2. und am 5.3. sollen die Datenträger dort eingegangen sein. Warum wurde das Verfahren nicht ausgesetzt oder zumindest für ein paar Tage unterbrochen, als dies am ersten Verhandlungstag ruchbar wurde, damit das Gericht die Datenflut sichten und in Ruhe prüfen konnte?

Eine als Zeugin am zweiten Verhandlungstag vernommene Steuerfahnderin hat die Unterlagen gesichtet und durch ihre Auswertungsprogramme laufen lassen und dann bekundet, sie habe bei zurückhaltender Beurteilung weitere knapp 9 Millionen hinterzogener Steuern ermittelt. Insgesamt kam sie auf 27,2 Millionen Euro. Warum ist die Kammer nicht hellhörig und vor allem misstrauisch geworden, als die Verteidigung dieses deutlich über den eigenen Angaben liegende Ergebnis nicht groß beanstandete, sondern als realistisch bezeichnete? Lag nicht spätestens jetzt die Vermutung nahe, dass sich in dem Datenberg noch weitere ungeahnte Schätze befinden konnten, welche zu ganz anderen Erkenntnissen führen könnten? Das Gericht hat auch jetzt keine Veranlassung gesehen, das Verfahren auszusetzen und einmal ganz genau hinzuschauen. Warum eigentlich nicht? Kommt es auf ein paar Millionen mehr oder weniger nicht an?

Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung bemerkenswert passiv agiert und – soweit ich dies den Berichten der Prozessbeobachter entnehmen konnte – nicht einen einzigen Verfahrens- oder Beweisantrag gestellt. Warum wurde nicht einmal der Versuch unternommen, für den Fall eines zu hohen Strafmaßes Revisionsgründe zu schaffen? Waren sich die Verteidiger etwa sicher, dass das nicht erforderlich sein würde?

Und überhaupt, warum hat die Verteidigung die rund 13 Monate zurückgehaltenen Unterlagen kurz vor dem Beginn der Hauptverhandlung dann doch noch vorgelegt und gleich auch ein weit über die Anklage hinausgehendes Geständnis vorgelegt? So etwas macht man doch nicht ohne Not, der nunmehr eingeräumte Betrag von 18,5 Millionen machte die angestrebte Bewährungsstrafe doch ersichtlich unmöglich. Ohne die Unterlagen und das ausgeweitete Geständnis hätten doch nur die angeklagten 3,5 Millionen Euro nachgewiesen werden können. Dem Urteilsspruch nachfolgende weitergehende Erkenntnisse wären dem Strafklageverbrauch zum Opfer gefallen und hätten nicht zu einer weiteren Anklage führen können. Da muss doch irgendein Kalkül dahintergesteckt haben! Zum Beispiel eine Absprache mit der Strafverfolgungsbehörde, die ansonsten vielleicht eine vorläufige Absetzung der Hauptverhandlung und weitere Ermittlungen veranlasst hätte? Für eine solche Annahme könnten immerhin folgende Argumente sprechen: Die Verteidigung hat – so sagte es die Steuerfahnderin im Zeugenstand – über mehr als ein Jahr hinweg zugesagte Unterlagen nicht vorgelegt und verabredete Termine wiederholt verstreichen lassen. Wie der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, soll sich die Münchener Staatsanwaltschaft schon im August 2013 durch Vermittlung und in Anwesenheit des Mainzer Rechtsanwalts Volker Hoffmann mit einem Schweizer Informanten getroffen haben, der brisante Informationen über Hoeneß´ Finanzgebaren preisgeben, hierfür aber völlige Anonymität zugesichert haben wollte. Die Staatsanwaltschaft hat diese Zusicherung nach Rücksprache mit dem Justizministerium damals nicht machen dürfen. Warum eigentlich nicht? Wollte da jemand seine schützende Hand über den Uli legen? Ende Februar 2014, also kurz vor dem Prozessbeginn, hat Anwalt Hoffmann sich dem SPIEGEL-Bericht zufolge erneut an die Staatsanwaltschaft gewandt und neue Erkenntnisse seines Informanten über Hoeneß´ Geldgeschäfte preisgegeben. Er soll Namen von Bankmitarbeitern genannt und auch das Passwort eines Hoeneß-Kontos mitgeteilt haben. Das Justizministerium soll den Kontakt bestätigt haben. Der Vorgang befinde sich in Bearbeitung, wurde dem Nachrichtenmagazin mitgeteilt. Warum in aller Welt reichte auch das nicht aus, das Verfahren auszusetzen und erst einmal weiter zu ermitteln? War das ausgeweitete Geständnis der Preis für das Stillhalten der Strafverfolgungsbehörde?

Im Schweinsgalopp hat die Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Heindl die neuen Erkenntnisse einschließlich des auf letztlich auf 28,5 Millionen Euro aufgeblähten Hinterziehungsbetrages durchgewunken. Es erscheint aufgrund des Datenvolumens ausgeschlossen, dass die Unterlagen auf Vollständigkeit überprüft und sorgfältig ausgewertet werden konnten. Wie wurden eigentlich die an der Entscheidungsfindung beteiligten Schöffen über den neuen Prozessstoff unterrichtet? Macht eine allenfalls überschlägige Berichterstattung durch die Steuerfahnderin eine Konfrontation mit den originären Beweismitteln entbehrlich?

Die Strafkammer hat zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, dass sie trotz der unerwarteten neuen Erkenntnisse den ursprünglichen Zeitplan einhalten und innerhalb von vier Tagen zu einem Urteil kommen wolle. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung haben dagegen revoltiert. Das macht eigentlich nur dann einen Sinn, wenn man sich über den weiteren Verlauf und den Verfahrensausgang einigermaßen einig war. Obwohl – Verfahrensabsprachen hat es nach offizieller Lesart nicht gegeben. Das wurde ausdrücklich ins Protokoll aufgenommen, so wie sich das gehört.

Die Staatsanwaltschaft hat auf der Grundlage der neu gewonnen Erkenntnisse – 28,5 Millionen Euro – eine moderate Gesamtfreiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren beantragt und dabei 7 Einzelstrafen wegen Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall gefordert. Die Verteidigung hat in erster Linie – wohl mit wenig innerer Überzeugung – eine Einstellung des Verfahrens wegen des Vorliegens einer wirksamen Selbstanzeige beantragt und hilfsweise für den Fall einer Verurteilung eine absurd niedrige Bewährungsstrafe als ausreichend erachtet. Es liege eine allenfalls ganz knapp gescheiterte Selbstanzeige vor. In Anbetracht der Tatsache, dass der letztlich festgestellte Hinterziehungsbetrag den aufgrund der missratenen Selbstanzeige gefertigten Anklagevorwurf um das Achtfache übersteigt, war das eine ziemlich gewagte These.

Das Gericht hat beraten und ist mit seinem Strafausspruch so ziemlich in der Mitte der beiden Anträge geblieben. Nicht bewährungsfähige 3 Jahre und 6 Monate Gesamtstrafe wurden ausgeurteilt, die Einzelstrafen bewegten sich zwischen 6 Monaten und zweieinhalb Jahren. Das eigentlich Erstaunliche dabei: Keine Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall.

Wie kann das sein? In § 370 Absatz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung heißt es: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.“ Der Bundesgerichtshof hat in seiner bahnbrechenden Entscheidung vom 2.12.2008 (BGH 1 StR 416/08) klargestellt, dass „in der Regel“ ab einem Betrag von 100.000 Euro das große Ausmaß und damit ein besonders schwerer Fall anzunehmen sei. Diese Rechtsprechung hat er in der Folgezeit wiederholt bestätigt. Hoeneß hat im Durchschnitt der 7 abgeurteilten Taten mehr als 4 Millionen Euro hinterzogen, das ist das 40fache des genannten Wertes. Bei den schwersten Taten war es deutlich mehr.

Trotzdem kein besonders schwerer Fall? Nun, der BGH hat Ausnahmen zugelassen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung, so hat er 2008 judiziert, seien auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder das ernsthafte Bemühen darum. Als strafschärfend müsse  es angesehen werden, wenn etwa durch Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen worden seien.

In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende Richter Heindl, der als „harter Hund“ gilt, laut FOCUS diverse Strafmilderungsgründe ausgemacht, mit denen es sich an dieser Stelle auseinanderzusetzen gilt.

1. Hoeneß habe sich mit der fehlgeschlagenen Selbstanzeige und dem weitergehende Geständnis in der Hauptverhandlung quasi selbst ans Messer geliefert  und damit Aufklärungshilfe geleistet:

Nun, das ist richtig, aber insoweit ist auch zu sehen, dass die panisch gefertigte Selbstanzeige unter dem Druck der Recherchen eines STERN-Reporters erfolgte und dass Hoeneß mit einer unmittelbar bevorstehenden Tataufdeckung rechnete. So besonders freiwillig war die Selbstanzeige also nicht. Und das weitergehende Geständnis am ersten Hauptverhandlungstag war immer noch reichlich unvollständig, was die Höhe der eingeräumten Hinterziehung anbetrifft, und eigentlich unabdingbar, nachdem die mehr als 13 Monate zurückgehaltenen Unterlagen auf den letzten Drücker vorgelegt worden waren. Über die denkbaren Motive habe ich oben bereits berichtet.

2. Die Nachzahlung der hinterzogenen Steuern:

Dem Vernehmen nach hat Hoeneß mit Abgabe der Selbstanzeige zunächst einmal 10 Millionen Euro nachentrichtet. Das ist allerdings weniger als die Hälfte des jetzt festgestellten Betrages, wobei davon auszugehen ist, dass er den Rest auch nachentrichten wird. Andererseits ist das auch seine steuerliche Verpflichtung und er ist reich genug, dies zu bewerkstelligen, so dass diesem Argument kein allzu großes Gewicht beigemessen werden kann.

3. Hoeneß´ “Lebensleistung“ und sein caritatives Engagement:

Lebensleistung ist ein sonderbares, weil kaum fassbares Strafzumessungsmerkmal. Anhand welcher Kriterien will man die Lebensleistung eines Menschen bemessen? Wiegt die Lebensleistung eines wirtschaftlich erfolgreichen Ellenbogenmenschen, der manchem als rücksichtsloser Machtmensch gilt, schwerer als beispielsweise die Lebensleistung einer Krankenschwester auf der Intensivstation oder eines Bergmannes, der unter Tage sein Leben für unsere Energieversorgung riskiert? Wirtschaftlicher und sportlicher Erfolg als Grund für Strafmilderung? Das klingt irgendwie nach Klassenjustiz.

Zum caritativen Engagement: Hoeneß hat nach eigenen Angaben in den letzten Jahren rund 5 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke gespendet. Das sei mehr gewesen als der ihm zur Last gelegte Hinterziehungsbetrag, hatte er ursprünglich geltend gemacht, aber da war ja noch von 3,5 Millionen die Rede. Caritatives Engagement muss man sich leisten können. Es gehört zum Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Alle großen italienischen und amerikanischen Mafiapaten haben mit den unrechtmäßig erlangten Geldern irgendwelche Wohltaten verteilt und damit viel Fürsprache gewonnen. Das gehört sozusagen zum System. In Mexiko, so wird aktuell berichtet, demonstriert gerade ein ganzes Dorf gegen die Verhaftung eines jahrelang gesuchten Drogenbosses, dessen großzügige Unterstützungsgelder jetzt fehlen. Steuern, die pflichtgemäß gezahlt werden, sind allemal gemeinnütziger als Spenden, die man aus zu Unrecht einbehaltenen Steuern bestreitet.

Alles in Allem: Man darf Zweifel haben, ob die angeführten Strafmilderungsgründe in Anbetracht der eklatant hohen Hinterziehungsbeträge ausreichen konnten, die Annahme von besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung zu verneinen. Dann wäre es für jeden steuerunehrlichen Finanzmagnaten ein Leichtes, sich mit entsprechenden Maßnahmen vor allzu schweren Folgen im Falle der Entdeckung zu schützen.

Die Staatsanwaltschaft wollte am Anfang dieser Woche  mitteilen, ob sie in Revision geht. Eigentlich hätte sie das tun müssen, weil das milde Urteil ihre im Plädoyer zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung desavouiert. Es ist anders gekommen, und verwundern tut´s leider nicht.

Nie und nimmer hätte Hoeneß, der alte Taktiker, einen einseitigen Rechtsmittelverzicht verkündet, wenn er sich nicht ziemlich sicher gewesen wäre, dass die Staatsanwaltschaft ebenfalls verzichtet. So einer gibt nicht alle Waffen aus der Hand, wenn er damit rechnen muss, von einem gnadenlosen Gegner vernichtet zu werden.

Fast alle Medien, die über die Causa Hoeneß berichtet haben,  sind ohnehin davon ausgegangen, dass Hoeneß  in den nächsten Wochen seine Strafe in der Justizanstalt Landsberg antreten wird. Das setzte die Annahme voraus, dass das Urteil rechtskräftig wird. Irgendwie schien das eine ausgemachte Sache zu sein.

Die Prophezeiungen haben sich jetzt erfüllt  und der Rechtsstaat ist damit  aus meiner Sicht so ziemlich unter die Räder gekommen. Für Hoeneß und seine Verteidigung ist das – rein ergebnisbezogen – ein großartiger Erfolg.

Anmerkung: Der Text wurde am 17. 03. um 21:30 Uhr aktualisiert

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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