Ich schätze Ihre Kompetenz, Herr Anwalt ….. aber ich höre auch diesmal nicht auf Sie!



Veröffentlicht am 4. Mai 2012 von

Rainer Pohlen

Soviel vorab: Gregor H. (Name geändert) ist ein intelligenter Mensch. In einem gewissen Sinne jedenfalls. Er ist eloquent und verfügt über ein richtiges Bildungsvokabular. Abstrakt-logisches Denken liegt ihm, er kennt sich gut mit der EDV aus und mit allem, was damit zusammenhängt. Er kann mathematische Probleme lösen und verfügt über eine überdurchschnittliche Allgemeinbildung. Mit seiner sozialen Intelligenz ist das allerdings so eine Sache. Seit Jahren schon ist er arbeitslos. Er eckt leicht an, ohne das zu wollen, das liegt nämlich immer an den Anderen. Die haben was gegen ihn. Und zu Unrecht verurteilt worden ist er auch. Mehrere Male. Das erste Mal, das war Pech. Da hat er sich vielleicht auch etwas unglücklich verhalten, was dann aber missinterpretiert worden ist. Er wollte mit den beiden jungen Frauen, die er ohne zu fragen in Hauseingänge gezogen hat, eigentlich nur reden. So wie mit den vielen minderjährigen Mädchen, die er zu sich nachhause eingeladen hat oder mit denen er die Freizeit geteilt hat. Zu sexuellen Handlungen ist es da nie gekommen, darum geht es dem Gregor auch nicht. Er sucht emotionale Anbindung, das ist es. Nur glaubt ihm das niemand so richtig. Jedenfalls hat das Gericht es damals nicht geglaubt und ihn deshalb wegen versuchter sexueller Nötigung in zwei Fällen zu einer 2jährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Das Gericht hatte ihm zur Bewährungsauflage gemacht, sich einer Sexualtherapie zu unterziehen und den Kontakt zu minderjährigen Frauen und Mädchen zu meiden. Zur Therapie ist Gregor widerstrebend gegangen, hat aber nicht aktiv mitgemacht. Er wusste ja, dass er kein Sexualstraftäter ist und deshalb eigentlich auch keine Therapie braucht. Deshalb hat der Therapeut ihn als nicht therapierbar angesehen. Die andere Auflage hat Gregor ignoriert. Er hat sich auf seine verfassungsmäßigen Freiheitsrechte berufen, man könne ihm als freiem Menschen nicht verbieten, mit seinen Freunden Kontakt zu halten, seien sie auch weiblich, 20 Jahre jünger als er und minderjährig. Und wenn er den Mädchen ab und zu einen Alkopop spendiere, dann sei da nichts bei, schließlich hätten die sich den auch selbst kaufen können.

Im Bewährungswiderrufsverfahren habe ich Gregor erstmals als Verteidiger vertreten. Ich habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet. Ich habe ihm gesagt, dass der zuständige Richter ihn sicher nur ungerne in den Knast schicken wolle. Aber er müsse sich einsichtig zeigen. Gregor argumentierte erneut mit der Verfassung. Das werde er dem Richter schon erklären. Er sei doch keine Gefahr für die Menschheit und auch nicht für junge Mädchen, die seine Gesellschaft suchten. Er wolle denen doch nur helfen. Das müsse der Richter doch begreifen. Der Richter hat nicht begriffen, jedenfall nicht in Gregors Sinn. Er hat die Bewährung widerrufen. Im Beschwerdeverfahren hat Gregor nicht anders argumentiert. Nein, bei allem Respekt, Herr Anwalt, aber das sehe ich anders. Die Beschwerde wurde verworfen.

Gregor teilte mir mit, dass er sich auf keinen Fall der Vollstreckung stellen werde. Dann werde er sich eher etwas antun. In den Knast gehe er nicht. Dafür ist er zur Krankenkasse gelaufen und hat darum gebeten, ihm einen Gutachter zu bezahlen, der Haftunfähigkeit aus psychischen Gründen feststellen solle. Die Krankenkassenmitarbeiterin hat ihm gesagt, das so etwas nicht finanziert werde. Gregor soll ihr gesagt haben, dann werde er sich eben umbringen. Dann ist er gegangen.  Die Krankenkassenmitarbeiterin hat das Ordnungsamt alarmiert, weil sie Angst um Gregor hatte. Das Amt hat die Polizei bei Gregor vorbeigeschickt wegen Suicidgefahr. Gregor hat sich geweigert, die Polizei in die Wohnung zu lassen. Er hat die Tür mit einer Kette versperrt und angeblich mit einem Hammer gedroht. Außerdem soll er die Polizisten rüde beschimpft haben. Die wiederum haben – wenig sensibel – die Tür aufgebrochen und Gregor unter Anwendung unmittelbaren Zwangs mitgenommen. Laut Gregor ist er dabei ganz schön verbimst worden. Er hat sich gewehrt, so gut es ging, das hat ihm später ein Verfahren wegen Widerstandleistung, Beleidigung und Körperverletzung eingebracht. Gregor wurde in die Psychiatrie eingeliefert, von wo er nach einem Tag aber wieder entlassen wurde. Keine Suicidgefahr, meinten die Seelenärzte.

Die Ladung zum Strafantritt hat Gregor entgegen meinem ausdrücklich Rat ignoriert. Also hat die Polizei ihn zuhause abgeholt. Auf der Polizeiwache sollte er seinen Gürtel und seine Uhr abgeben, bevor man ihn in die Gewahrsamszelle sperrte. Gregor hat das nicht eingesehen. Also wurde erneut unmittelbarer Zwang angewendet. Gregor sagte später, man habe sich mit mehreren Beamten auf ihn gestürzt und ihn gewürgt. Er habe keine Luft mehr bekommen und deshalb aus Panik einem Beamten in den Daumen gebissen. Der Biss war ziemlich heftig und der Beamte ein paar Tage dienstunfähig. Jedenfalls stand das so im Attest. Gregor ist auch dafür später angeklagt worden.

In der Haft ging es Gregor ziemlich schlecht. Er hat tagelang nichts gegessen und kam deshalb ins Justizvollzugskrankenhaus, wo er eine Zeit lang künstlich ernährt wurde. Nein, er sei nicht in den Hungerstreik getreten, er habe einfach nichts essen können, sagte Gregor mir, als ich ihn dort besuchte. Er war sehr geschwächt, redete aber wie ein Wasserfall über das Unrecht, das an ihm verübt werde. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass es sinnvoll sei, die Situation zu akzeptieren und zu versuchen, sich mit konstruktivem Verhalten im Vollzug die Chance einer vorzeitigen Strafentlassung zu erhalten. Das könne er nicht, meinte Gregor, Recht müsse Recht bleiben und er werde die ungerechte Strafe nie akzeptieren. Um es kurz zu machen, Gregor hat Endstrafe gemacht. Zwischenzeitlich war er noch ein oder zweimal im Vollzugskrankenhaus. Einmal hatte er sich an den Pulsadern rumgeschnibbelt, das war eine ziemliche Schweinerei mit viel Blut.

Nach seiner Haftentlassung kam es zu einer erneuten Hauptverhandlung wegen der Widerstandsleistungen und der anderen Delikte zum Nachteil der Polizeibeamten. Dazu kamen noch ein paar strafrechtliche Kleinigkeiten aus der Vergangenheit. Gregor fühlte sich zu Unrecht angeklagt. Ich habe ihm die schwierige Beweislage erläutert, weil er ja allein gegen eine Übermacht von Polizeizeugen stand. Vielleicht solle man versuchen, die Sache auf kleiner Flamme abzuhandeln und mit zumindest überwiegend geständiger Einlassung eine Bewährungsstrafe anzustreben. Gregor fand das sehr ungerecht. Er habe ja in einer Notwehrlage gehandelt, das sei doch offensichtlich. Und auch die anderen Delikte seien ihm untergeschoben worden. Klar, dass die Polizeibeamten Gregor in der Hauptverhandlung in die Pfanne gehauen haben. Ein Gutachter bescheinigte Gregor eine Persönlichkeitsstörung, die nicht ausschließbar zu einer verminderten Steuerungsfähigkeit geführt habe. Ich habe versucht, Pluspunkte für Gregor zu sammeln. Der Vorsitzende war durchaus geneigt, ihm eine Chance zu geben. Mit Gregor hatte ich besprochen, dass er sich im letzten Wort einfach meinen Ausführungen anschließen sollte. Das tat er dann auch, zunächst jedenfalls. Als er dann doch  loslegte, versuchte ich, ihm das Wort abzuschneiden und ihn auf seinen Stuhl herunterzuziehen. Das ließ Gregor nicht mit sich machen. Laut beklagte er die Ungerechtigkeit der Welt, das aggressive Verhalten der Polizeibeamten, die ihn fertig machen wollten, die Willkür, mit der ihm Justiz und Strafvollzug begegnet seien. In der Urteilsbegründung meinte der Vorsitzende, er habe es in seinen rund 25 Jahren als Strafrichter noch nie erlebt, dass ein Angeklagter im letzten Wort derart rabiat den Schlussvortrag des eigenen Verteidigers konterkariert habe. Eine Bewährung könne es aufgrund der völligen Uneinsichtigkeit des Angeklagten nicht mehr geben.

Gregor hat deshalb ein weiteres Jahr Haft abgesessen. Das hat ihm merklich zugesetzt.

Gestern hat er mich in der Kanzlei aufgesucht und mir eine neue Anklage auf den Tisch gelegt. Ihm wird Körperverletzung zum Nachteil eines JVA-Beamten vorgeworfen. Als man ihn nach einem missglückten Suicid-Versuch aus der Zelle tragen wollte, habe er absichtlich versucht, die Beamten mit seinem Blut in Berührung zu bringen. Außerdem habe er wild um sich geschlagen und getreten. Hierbei habe einer der Beamten eine Knöchelfraktur am kleinen Finger erlitten. Gregor empfindet die Anklage als grobe Ungerechtigkeit. Er habe sich überhaupt nicht gewehrt und sich vielmehr stocksteif gemacht. Die Beamten sagten die Unwahrheit. Das werde er nicht auf sich sitzen lassen. „Verteidigen Sie sich am besten selbst“, habe ich ihm gesagt. „Sie werden auch diesmal nicht auf mich hören, wie es scheint“. Und dann habe ich ihn gefragt, warum er überhaupt wieder zu mir kommt, wenn doch bisher alles schief gelaufen sei. „Ich schätze Ihre Kompetenz“, erwiderte Gregor, „Von Ihnen fühle ich mich verstanden“.


Kategorie: Strafblog
Permalink: Ich schätze Ihre Kompetenz, Herr Anwalt ….. aber ich höre auch diesmal nicht auf Sie!
Schlagworte: