Ich weiß, dass ich nerve, Herr Pohlen, aber …. Haftsachen auf bayerisch



Veröffentlicht am 29. März 2012 von

Es gibt Kollegen, die geben schon aus Prinzip ihre Handynummer nicht an Mandanten heraus. Ihren Sekretärinnen untersagen sie streng, die Nummer ohne ausdrückliche Erlaubnis Dritten mitzuteilen. Ich habe das schon immer anders gehandhabt. Meine Mobilnummer steht auf meiner Visitenkarte und mich kann man jederzeit erreichen oder mir  zumindest auf meine regelmäßig abgehörte Mobilbox sprechen. Hätte ich nur Mandanten wie Herrn X, würde ich diese Praxis wohl notgedrungen ändern. „Herr X muss wirklich große Sehnsucht nach dir haben, vielleicht will er ja ein Verhältnis mit dir anfangen“, mutmaßte meine Lebensgefährtin schon  mehrfach, wenn mein iPhone Abends oder am Wochenende mal wieder innerhalb weniger Minuten ein ums andere Mal Laut gab, um eine gerade einkommende sms zu signalisieren. Und meistens dauerte es dann nur wenige Minuten, bis der unverkennbare Klingelton (The Lonely Sheperd von Zamfir aus Tarantinos Kill Bill vol 1) einen Anruf ankündigte. „Sicher wieder Herr X?!!!“, bekam ich dann zu hören, gekoppelt mit der Frage, warum ich dem Herrn nicht mal den Marsch blase. „Der sorgt sich halt um seine Frau“, meinte ich dann um Verständnis ringend, wobei ich abwägen musste, ob ich dem hilfesuchenden Mandanten oder dem Privatleben den Vorrang geben sollte. Wenn ich mich für Letzteres entschied, schickte ich zumeist eine sms zurück „Geht jetzt nicht, rufen Sie Morgen dann und dann an“. Manchmal reagierte ich auch gar nicht und dachte, jetzt muss er halt mal warten. Immerhin habe ich auch ein Leben abseits vom Job.

Täglich schickte Herr X mir seit der Inhaftierung seiner Ehefrau, die meine eigentliche Mandantin ist, neben zahllosen sms eine Vielzahl von emails, in denen er sich nach dem Stand der Sache erkundigte, seine  völlig berechtigte Empörung über den auch aus meiner Sicht unberechtigten Haftbefehl gegen seine Frau artikulierte, auf seine Verzweiflung und die der Kinder hinwies und an mich appellierte, dass man doch etwas tun müsse. Dann ging es um die Beantragung von Besuchserlaubnissen, Erkundigungen nach Möglichkeiten, der Frau die Haft zu erleichtern, Anfragen, ob er sich vielleicht selbst an die Staatsanwaltschaft wenden solle, aus dem Internet recherchierte Ratschläge, welche haftrechtlichen Schritte man unternehmen könne und vieles mehr.

„Ich weiß, dass ich nerve, aber …“, „Ich bitte um Verzeihung, aber …“, „Ich weiß, dass heute Sonntag ist, aber …“  So oder ähnlich begannen  die meisten sms und emails, und die „Abers“ wuchsen in den Himmel. „Ich kann nicht schlafen“, simste Herr X auch schon mal um 4 Uhr Nachts, oder er fragte um 0:30 Uhr an, ob es jetzt noch geht oder wann wir denn am nächsten Tag mal eine halbe Stunde telefonieren könnten, um wenigstens die wichtigsten Dinge zu besprechen.

Und dann die Fragenkataloge, die Herr X mir im Vorgriff auf die gewünschten Telefonate regelmäßig übermittelte. Die konzentrierten sich immer wieder auf den Punkt, wie ich seiner Frau helfen könne. Er, Herr X, wolle wirklich ALLES tun, mich bei der Verteidigung seiner Frau zu unterstützen. Keine Frage, die zu unwichtig war, um nicht mindestens 17 Mal gestellt zu werden. „Ja, ich weiß, das ich das schon mehrfach gefragt habe, aber man muss doch etwas tun können. Ich verstehe einfach nicht, wieso der Staatsanwalt Fluchtgefahr bejaht. Hat der denn gar kein Herz?“

Ach ja, der Staatsanwalt. Für den schien die Untersuchungshaft so eine Art Prinzipiensache zu sein. „Sie glauben doch selbst nicht, dass die Frau abhauen wird?!“, hielt ich ihm vor, was er gar nicht dementierte. Bei einer umfassenden geständigen Aussage sei natürlich Vieles möglich, dadurch reduziere sich sowohl die Straferwartung als auch die Fluchtgefahr, meinte er lapidar. Das kennen wir doch. „U-Haft schafft Rechtskraft!“, lautet eine alte Strafverteidigerweisheit. Einer Haftbeschwerde sehe er gelassen entgegen, meinte er noch. Die Beschwerdekammer und notfalls auch den Strafsenat habe er im Griff. Da unten in Bayern sei das so, da solle ich mir mal keine falschen Vorstellungen machen. Warum er denn so viel Ehrgeiz zeige, die Frau in Haft zu halten? Ein viel- oder auch nichtssagendes Lächeln war die Antwort.

Heute hat die Beschwerdekammer Frau X auf meine Haftbeschwerde hin vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Sie hat mich eben angerufen und mitgeteilt, dass sie dafür sorgen werde, dass ihr Mann mich zukünftig mit Kontaktaufnahmen schonen wird. Fast glaube ich, dass ich ab jetzt etwas vermissen werde. Der Staatsanwalt übrigens auch. Dem war nämlich die Postkontrolle übertragen worden, und Herr X hat seiner Frau jeden Tag ellenlange Briefe geschrieben. Und Frau  X hat ihm jeden Tag zurückgeschrieben. Jetzt muss der Staatsanwalt auf andere Lektüre zurückgreifen oder kann sich  – was ja auch nicht schlecht ist – mehr dem eigenen Privatleben widmen. Es sei ihm gegönnt.

 

 


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