Da hatte ich ziemlich fest damit gerechnet, am heutigen 102. Verhandlungstag im Hamburger Piratenverfahren zu plädieren, aber daraus wurde wieder nichts. Überraschend teilte der Vorsitzende Richter Dr. Bernd Steinmetz heute morgen zunächst mit, dass die Kammer von Amts wegen erneut in die Beweisaufnahme eintreten wolle, und zwar im Hinblick auf einen Hilfsbeweisantrag, den die Kollegin Heinecke am letzten Verhandlungstag im Rahmen ihres Schlussvortrages gestellt hatte. Die Kammer habe sich daraufhin noch einmal bestimmte Aktenteile angesehen und festgestellt, dass der Angeklagte Khalief D., der mehrere Mitangeklagte massiv belastet hatte und von der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer als glaubwürdig eingestuft worden war, im Laufe des Ermittlungsverfahrens sowohl zur Schreibweise seines Familiennamens als auch zu den Personalangaben seines Vaters und zu dessen telefonischer Erreichbarkeit Angaben gemacht und Unterlagen vorgelegt hatte, die von seiner Einlassung in der Hauptverhandlung abwichen. Dies könnte durchaus von Bedeutung sein, zumal Mitangeklagte behauptet hatten, Kahlief D. habe seinen Namen vorsätzlich falsch angegeben und auch seinen Vater falsch bezeichnet. Außerdem hätte Khalief D. – so der Vorsitzende – über seine Anwälte gegenüber dem Ermittlungsrichter im Jahr 2010 eine Telefonnummer, über die sein Vater erreichbar sei, angegeben, die man auf der SIM-Karte eines Mitangeklagten mit einer anderen Namensnotierung gefunden hätte. Insoweit bestehe Aufklärungsbedarf. Man wolle ihm Gelegenheit geben, sich mit seiner Verteidigung zu besprechen und sich dann gegebenenfalls zu äußern.
Er brauche keine Rücksprache mit seiner Verteidigung, meinte D., der sich auch von seinem Anwalt nicht bremsen ließ. Sein Vater heiße so, wie er es in der Hauptverhandlung angegeben habe, dabei bleibe er. Wieso auf von ihm selbst bzw. von seiner Verteidigung vorgelegten Unterlagen eine andere Schreibweise auftauche, wisse er nicht. Er wisse auch nicht, was die Fragen des Gerichts sollten. Man möge ihm glauben oder nicht glauben und ihn entsprechend verurteilen, er habe die Nase voll. Die Telefonnummer, die seine Anwälte gegenüber dem Gericht angegeben hätten, stamme nicht von ihm. Er wisse nicht, wieso seine Anwälte diese angegeben hätten. Die Nummer sei nicht seinem Vater zuzuordnen, es sei die Nummer eines „Hintermannes“.
Eijeijei, welch ein Eigentor, habe ich – und sicher nicht nur ich – gedacht. Der Mann hatte doch behauptet, nur Dolmetscher gewesen zu sein und keine Hinterleute zu kennen. Das Gericht hatte noch mehrere Vorhalte, Kahlief D. verhielt sich reichlich ungeschickt. Als sein Verteidiger um eine Unterbrechung bat, widersprach D. Er brauche keine Unterbrechung, er könne nicht mehr, er wolle jetzt ein Urteil haben. Sein Anwalt könne ihm nicht den Mund verbieten, meinte er sinngemäß. Recht hat der Mann, aber es tat schon weh … Ich denke, die ohnehin fragliche Glaubwürdigkeit des Mannes ist heute ziemlich zusammengebrochen. Und die schrecklich gutgläubige Staatsanwaltschaft steht durchaus blamiert da, finde ich. Aber das ist natürlich eine Bewertungsfrage.
Dann war Mittagspause und danach hieß es, ein Angeklagter – eben Khalief D. – sei möglicherweise nicht mehr verhandlungsfähig. Also galt Abwarten, bis die anwesende Ärztin ihn untersucht hatte. Die kam zu dem Ergebnis, dass jedenfalls für heute keine Verhandlungsfähigkeit mehr gegeben sei. Das war´s dann mit den Plädoyers. Ob morgen verhandelt werden kann, ist offen. Das werden wir erst bei Sitzungsbeginn um 9 Uhr erfahren. Und ob wir dann plädieren können oder ob doch noch tiefer in die Beweisaufnahme eingetreten wird, bleibt abzuwarten. Unmöglich ist in diesem an Überraschungen reichen Verfahren gar nichts.
Ein Kollege, der heute ebenfalls plädieren sollte, hatte schon vorab angekündigt, dass er morgen verhindert ist. Der wird daher frühestens am 15. Oktober plädieren. Es zieht sich also weiter und bis dahin kann noch einiges passieren. Vielleicht muss ja doch noch gegen die jungen Angeklagten, darunter auch mein Mandant, abgetrennt werden. Man wird sehen.
Kategorie: Strafblog
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