Jetzt schreib´ ich nochmal was über Fußball und die WM – bevor sie vorbei ist. Auch wenn´s mit Strafrecht nichts zu tun hat.



Veröffentlicht am 13. Juli 2014 von

Rainer1Es war während der Aufstiegsrunde zur Bundesliga im Jahr 1965, als ich im zarten Alter von 12 Jahren zum ersten Mal ein Fußballspiel in einem Stadion besucht habe. Mein Vater interessierte sich nicht für Fußball, aber ein paar Freunde hatten mich animiert, sie ins nach heutigen Verhältnissen lausige Bökelbergstadion zu begleiten. Borussia Mönchengladbach spielte damals gegen Holstein Kiel und gewann knapp mit 1 : 0. Nach dem deutlichen 5 : 1 Auftaktsieg bei Wormatia Worms stiegen damit die Chancen auf den Aufstieg in die zwei Jahre zuvor gegründete 1. Bundesliga. Im nächsten Heimspiel, bei dem ich ebenfalls zugegen war, gab´s ein 7 : 0 gegen den SSV Reutlingen, und das war für mich der Einstieg in die Begeisterung für die Torfabrik der Fohlenelf, die mir in den folgenden Jahren eine Menge wunderbarer Fußballereignisse lieferte.

Die großen Spiele der Borussia in ihrer Glanzzeit habe ich fast alle live gesehen, wie zum Beispiel das 8 : 3 gegen den Club aus Nürnberg gleich in der ersten Bundesliga-Saison, das unvergessliche 11 : 0 im Januar 1967 gegen Schalke, das denkwürdige 7 : 1 gegen Inter Mailand im Europapokal 1971, das wegen des berüchtigten Büchsenwurfs auf Boninsegna wiederholt werden musste, oder das 5 : 1 im Europapokal der Landesmeister 1985 gegen die Königlichen von Real Madrid, das im Rückspiel mit einer 0 : 4 Klatsche konterkariert wurde.

„Netzer, Vogts und Heinckes Jupp holen den Europacup“, wurde im Stadion skandiert, als die Aushängeschilder der Gladbacher noch gemeinsam für die Fohlenelf aufliefen, und das Wort „Europacup“ wurde auf rheinisch „Europakupp“ ausgesprochen, damit es sich auf den guten Jupp reimte.

Ich war 1971 beim Auswärtsspiel in Frankfurt, das mit 4 : 1 endete und die Titelverteidigung der Borussia im Zweikampf mit Bayern München besiegelte, und natürlich habe ich auch das legendäre Pokalendspiel 1973 im Düsseldorfer Rheinstadion erlebt, bei dem Günter Netzer sich in seinem letzten Spiel für die Borussia in der Verlängerung selbst eingewechselt und dann das Siegtor erzielt hat.

Heute gehe ich nur noch selten ins Stadion, etwa wenn ich Freunde zu Besuch habe, die unbedingt mal die Borussia live sehen wollen, oder wenn mich mal ein Mandant einlädt und ich gerade Zeit dafür habe. Vieles hat sich gewandelt seit 1965, als es – so kam es mir jedenfalls vor – noch ausschließlich um den Fußball ging. In der modernen Zeit sind Fußballspiele ein riesiges Happening, eine Show, bei der auch Fußball gespielt wird, mit professionellen Moderatoren, mit riesigen Digitalbildschirmen unter dem Stadiondach, Cheer-Girls und Webeeinblendungen, und in den sündhaft teuren VIP-Lounges trifft sich die „Haute Volaute“ und verhandelt über Geschäftsabschlüsse.

Der Kommerz hat längst das Sportliche in den Hintergrund gedrängt. Heute sind Sportgroßereignisse wirtschaftliche Mega-Events, bei denen es um Milliarden geht und der Mensch oft genug auf der Strecke bleibt. Die Politik versucht mehr denn ja, den Sport für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, um sich die Bürger fügsam zu halten. „Panem et Circensis“ heißt das sattsam bekannte Spiel.

Rund 40 Milliarden Euro soll die letzte Winterolympiade in Sotschi gekostet haben. Zehntausende Anwohner aus der Region wurden zwangsumgesiedelt, um Putin ein Forum für monomane Selbstdarstellung zu liefern. Für die aktuelle Fußball-WM soll der gebeutelte brasilianische Staat mehr als 10 Milliarden für den Bau der Sportstätten und die Schaffung der erforderlichen Hotel- und Verkehrsinfrastruktur ausgegeben haben, während es an allen Ecken und Enden an Mitteln für soziale Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität von Zig Millionen Menschen fehlt. Kann das noch richtig sein?

Im Fußball thront über allem ein hochkorrupter Weltverband namens FIFA, dessen wichtigste Repräsentanten seit Jahrzehnten in Verdacht stehen, sich die Taschen voll zu machen und dafür den Sport und die Länder, die sich um die Ausrichtung der Spiele bewerben, auf die Schlachtbank zu führen. Die sportlich kontraindizierte Vergabe der WM 2022 an Katar spricht da Bände.

Wirtschaftlich war die Ausrichtung der WM 2010 für das finanziell ebenfalls nicht mit Reichtümern gesegnete Südafrika ein Desaster. Rund 2, 7 Millionen Dollar Defizit sollen dem Land letztendlich verblieben sein. Der durch die Spiele erhoffte wirtschaftliche Aufschwung ist ausgeblieben, die damals kurzfristig geschaffenen Arbeitsplätze gibt es nicht mehr. Die Mehrzahl der eigens für die WM errichteten Stadien wird kaum genutzt und kostet mehr Unterhaltskosten, als durch sie eingespielt wird. Fußballspiele finden vor überwiegend leeren Rängen statt, weil sich kaum jemand die Eintrittspreise leisten kann. Die FIFA hat demgegenüber mit der WM 2010 einen riesigen Gewinn gemacht, von 2 Milliarden Dollar ist die Rede, und das alles steuerfrei. In Brasilien wird das nicht anders sein.

Das alles berührt die Ästhetik des Sports, eigentlich sollte man – so fährt es mir manchmal durch den Kopf – die WM und auch Olympia boykottieren. Eigentlich….

Aber da ist ja dann doch noch der Fußball und die Faszination des Wettkampfs. Da gibt es die hochdotierten Spieler, die nichts dafür können, dass russische und arabische Oligarchen und andere Geschäftemacher bereit sind, geradezu astronomisch anmutende Gehälter und Multimillionen an Ablösesummen zu zahlen, damit sie ein paar Mal im Monat für neunzig oder ein paar mehr Minuten dem Ball hinterherlaufen und bisweilen geniale Momente kreieren, die uns dann für Jahrzehnte im Gedächtnis hängenbleiben. Oder dass sie auf Turnieren wie das jetzige bis an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit gehen, um ihren Ruhm und den ihres Landes und ihren Marktwert zu mehren.

Seit 1962 habe ich mir alle Weltmeisterschaften im Fernsehen angeschaut und historische Momente wie das Wembley-Tor 1966, das 3 : 4 gegen das von uns bei wichtigen Turnieren unbesiegbare Italien in Mexiko 1970 oder die WM-Siege 1974 und 1990 in meinem Gedächtnis gespeichert. Unvergessene Glücksmomente und auch Augenblicke kollektiven Entsetzens bei Gegentoren addieren sich zu einem bunten Erinnerungsfoto, in dem die Portraits von Pelé, Eusebio, Beckenbauer, Figo, Zidane, Platini, Gerd Müller – um nur einige der Großen zu nennen – ihren unverrückbaren Platz haben.

Die Art, Fußball zu spielen, hat sich gewandelt. Die Spieler sind athletischer und konditionell erheblich stärker geworden, das Spielverständnis hat sich geändert. Heute hätte wohl keine der Mannschaften, die in den Endrunden der Weltmeisterschaften des vergangenen Jahrhunderts mitgespielt haben, eine Chance, das Finale zu erreichen. Es ist spannend, die Entwicklungen im Fußball zu beobachten, zu sehen, wie das, was gerade noch das Erfolgskonzept schlechthin war, schon wieder von Neuerungen überholt wird. Ein paar Jahre lang war das auf Ballbesitz ausgerichtete Tiki-Taka, das von van Gaal erfunden und vom CF Barcelona und von der spanischen Nationalmannschaft perfektioniert wurde, das Maß der Dinge, bis uns zuletzt ausgerechnet Real Madrid im Halbfinale der Champions League gegen Bayern München aufgezeigt hat, dass Ballbesitz nicht alles ist und dass auf individuelle Stärken ausgerichteter Konterfußball das bessere Konzept sein kann. Die spanische Nationalequipe hat diese Erkenntnis in Brasilien nicht umsetzen können und ist unter anderem deshalb schon in der Gruppenphase gescheitert.

Eine Zeit lang schien es so, als würden sich diesmal die Mannschaften mit den genialen Individualisten durchsetzen können, die Messis, Neymars, James und Suarez, bevor sie alle – bis auf Messi und das ansonsten spielerisch wenig überzeugende Argentinien – gescheitert sind.

Jetzt stehen „wir“ im Finale, und wenn ich ehrlich bin, hätte ich spätestens nach dem Ausfall von Reus keinen Pfifferling darauf gesetzt, dass wir soweit kommen würden. Ich habe zwei ziemlich gute Spiele unseres Teams wahrgenommen, gegen Portugal und gegen Brasilien, aber wenn ich ehrlich bin, dann hatten wir es beide Male mit Gegnern zu tun, die weit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind und – anders ausgedrückt – grottenschlecht gespielt haben. Das relativiert die Leistung der deutschen Mannschaft ein wenig, bei der aus meiner Sicht nur Neuer, Hummels und zeitweise Kroos und Lahm wirklich individuelle „Weltklasse“ gezeigt haben. Andere wie vor allem Khedira, aber auch Schweinsteiger und der bisweilen biedere Höwedes, haben sich im Laufe des Turniers gesteigert, das ist unbestreitbar. Der „ewige“ Klose und der quirlige Schürrle haben mehr als ihr Soll gebracht und entscheidende Tore geschossen.

Ausschlaggebend ist aber die Mannschaftsleistung, die ab der positionellen Umstellung in der zweiten Halbzeit gegen Algerien den richtigen Weg gefunden zu haben scheint, um das Turnier zu gewinnen. Heute Abend geht´s um Ganze, soweit dies die Fußballwelt betrifft. Trotz der bislang eher mäßigen Leistungen darf man die Argentinier nicht unterschätzen, und natürlich kann Messi, der bislang allenfalls situativ brilliert hat, den Unterschied machen. Aber ich denke, dass die deutsche Mannschaft in ihrer jetzigen Verfassung das Zeug hat, den vierfachen Weltfußballer in den Griff zu bekommen und die Südamerikaner zu bezwingen. Die müssen ja, wenn sie ein Tor schießen wollen, nicht nur an unserer doch recht stabilen Abwehr vorbei, sondern auch noch den famosen Manuel Neuer überwinden. Der wird etwas dagegen haben.

Ich wünsche viel Freude beim Spiel und uns allen einen freudigen Ausgang. Über die Probleme können wir dann ab morgen wieder nachdenken.


Kategorie: Strafblog
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