Lauter nette Kerle und ein bisschen zu viel Alkohol: Verfahren eingestellt



Veröffentlicht am 23. Mai 2013 von

Aufgang zum Amtsgericht Wipperfürth

Aufgang zum Amtsgericht Wipperfürth

Da habe ich gestern zum ersten Mal nach ziemlich langer Zeit mal wieder in einer ganz profanen Jugendstrafsache vor dem Einzelrichter verteidigt. Das Mandat habe ich aus purer Gefälligkeit übernommen, handelt es sich bei dem Angeklagten doch um einen jungen Mann, der mit dem Freund meiner Tochter verwandtschaftlich verbandelt ist. Rund eineinhalb Stunden dauert die Anreise von Mönchengladbach zum Amtsgericht Wipperfürth, das immerhin ganz idyllisch auf einer leichten Anhöhe mit Blick ins Grüne liegt und mit seiner breiten Zugangstreppe und dem schindelbedeckten Türmchen auf dem älteren Gebäudeteil auf den ersten Blick kaum als Gericht zu erkennen ist.

Gefährliche Körperverletzung wurde den beiden zur Tatzeit noch 17-jährigen Angeklagten vorgeworfen, beides nette Kerle und bislang noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Tatgeschehen ist ziemlich prototypisch. Ein Schützenfest auf dem Dorf, viele junge Leute, Bier, Wodka, alkoholische Mixgetränke. Nach Mitternacht kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen von Jugendlichen, eigentlich ohne rechten Anlass. Der Geschädigte, ein reichlich stabiler Kerl von damals 19 Jahren, soll mit dem Finger in Richtung meines Mandanten und des Mitangeklagten gezeigt und dabei irgendwelche Bemerkungen gemacht haben. Vor Gericht hat er als Zeuge ausgesagt, er hätte die beiden gar nicht gemeint, sondern eine andere in der Nähe stehende Person. Jedenfalls gehen die beiden auf den vermeintlichen Provokateur zu, um ihn zu fragen, warum der mit dem Finger auf sie zeigt. Der nimmt das wohl zum Anlass, dicht vor dem Gesicht meines Mandanten kreisende Bewegungen mit dem ausgestreckten Finger zu machen und ihn zu fragen, ob er nicht mit dem Finger zeigen könne, auf wen er wolle. Der Freund des so erneut Provozierten lässt nun seinerseits einen Finger vor dem Gesicht des 19-Jährigen kreisen und fragt ihn, wie ihm das denn gefalle, worauf dieser ihm einen Schubs gibt und er mit einem Faustschlag kontert. Mein Mandant wird auch geschubst und geht zu Boden. Jetzt sollen noch andere Personen hinzu gekommen sein, der 19-jährige gibt an, mehrere Schläge bekommen zu haben. Im Ermittlungsverfahren hat er ausgesagt, jedenfalls sei mein Mandant bei den Schlägern dabei gewesen, was dieser bestreitet. Bei rund 1,8 Promille Blutalkoholkonzentration weiß er das aber möglicherweise nicht mehr genau. Auch soll er – was die hinzugerufenen Polizeibeamten später bestätigt haben – verbal aggressiv gewesen sein, Worte wie „abstechen“ und „platt machen“ sollen gefallen sein.

Der Mitangeklagte gibt zu, den Geschädigten zweimal mit der Faust geschlagen zu haben. Das tue ihm leid, es wäre sicher besser gewesen, sich einfach umzudrehen und zu gehen, aber der Alkohol…  Mein Mandant habe nicht geschlagen, nur geschubst, wie er selbst ausgesagt habe. Und eine gemeinsame Absprache, auf den anderen loszugehen, was laut Anklage den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung begründet hat, habe es ohnehin nicht gegeben.

Dann kommt der damals 19-Jährige – jetzt ist er schon 20 – als Zeuge. Ach ja, das sei ja alles schon lange her, mehr als ein halbes Jahr, und er sei ja auch reichlich angetrunken gewesen und habe keine so richtige Erinnerung mehr. Nein, keinesfalls sei er selbst völlig unschuldig an der Situation gewesen, sicher habe er auch provoziert, das Ganze sei ziemlich unnötig gewesen. Ja, es könne sein, dass er auch geschubst und vielleicht auch geschlagen habe, Sie wissen ja, der Alkohol. Auf eine Verurteilung lege er keinen Wert, man könne sich gerne die Hand geben und das Ganze vergessen. Und ob mein Mandant tatsächlich mitgeschlagen habe, wisse er ohnehin nicht mehr.

Alle waren wir uns einig, der Richter, der Staatsanwalt und ich als Verteidiger, dass es bei dieser Sachlage nicht zu einem Urteil kommen müsse. Aber ein bisschen sollten die Jungs schon merken, dass die Auseinandersetzung nicht ganz folgenlos bleibe, meinte der Staatsanwalt, und schlug 30 Stunden sozialer Arbeit als Auflage für eine Verfahrenseinstellung nach den §§ 45, 47 des Jugendgerichtsgesetzes vor. Für meinen Mandanten habe ich das noch auf 15 Stunden runtergehandelt, weil er ja nicht selbst geschlagen, sondern nur geschubst und gedroht habe, und dann war die Sache vorbei. Der Staatsanwalt richtete noch ein paar mahnende Worte an die Jungs, auch an den Geschädigten, der Glück habe, nicht auch auf der Anklagebank zu sitzen.

„Auf Wiedersehen“, meinte der Richter abschließend, „Ach, nein, lieber nicht!“ Ich bin ganz optimistisch, dass er die Jungs tatsächlich nicht wiedersehen wird. Jedenfalls nicht in seiner Funktion als Jugendrichter. Und ich frage mich abschließend, ob die Justiz mit einer so banalen Sache nicht zu viel Aufwand treibt. Andererseits, vielleicht wirkt´s ja erzieherisch und hilft, zukünftige Straftaten zu vermeiden.


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