Ich muss aufpassen, dass das Attribut „absurd“ nicht zur meistgebrauchten Vokabel im strafblog wird, aber die Justiz liefert immer wieder Beispiele abwegiger Rechtsprechung, über die ich nur den Kopf schütteln kann. In Deutschland haben wir etwa im Vergleich mit Russland sicher einen hohen rechtsstaatlichen Standard, aber auch der schützt ja bekanntlich nicht vor grotesken Fehlentscheidungen. Justiz wird halt von Menschen gemacht.
In Moskau ist jetzt der bereits vor vier Jahren in der Untersuchungshaft unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommene regimekritische Anwalt Sergej Manitski wegen Steuerflucht schuldig gesprochen worden. Wie focus.de berichtet, hat Richter Alissow das umfangreiche Urteil gestern in dem von Sicherheitskräften schwer bewachten Gerichtssaal eineinhalb Stunden lang mit kaum vernehmbarer Stimme verlesen. Der für den Angeklagten vorgesehene Käfig sei leer gewesen, heißt es, was darauf hindeutet, dass man zumindest darauf verzichtet hat, den Sarg mit dem Leichnam des toten Kollegen zur Abrundung der Groteske dorthin zu schaffen. Neben Magnitzki wurde auch dessen früherer Chef, der Brite William Bowder vom Finanzunternehmen Hermitage Capital, in Abwesenheit zu 9 Jahren Lagerhaft verurteilt.
Erstmals sei in Russland ein Toter verurteilt worden, werden Kritiker des Verfahrens zitiert. Die Verteidigung des im Gefängnis vermutlich gefolterten und an den Folgen verstorbenen Kollegen hatte das Verfahren boykottiert. Auch international habe das Verfahren, so ist zu lesen, für Aufsehen gesorgt. Ein Toter könne sich nicht verteidigen, wird zu Recht moniert, und die Justiz habe mit dem absurden Verfahren den Ruf des Anwalts postum beschmutzen wollen.
Magnitski war in die Mühlen der Justiz geraten, nachdem er Beamte des Innenministeriums beschuldigt hatte, den Staat um etwa 200 Millionen US-Dollar betrogen zu haben. Wenig später war er unter dem Vorwurf der Steuerflucht verhaftet worden und starb dann Ende 2009 unter ungeklärten Umständen. Für seinen Tod wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, ist zu lesen, aber die auch nicht immer für die Einhaltung der Menschenrechte bekannten USA hätten immerhin Sanktionen gegen Funktionäre verhängt, die gegen den Anwalt vorgegangen waren.
Das Unternehmen Hermitage Capital ließ verlauten, Putin selbst schütze korrupte Beamte, die einen unschuldigen Anwalt ermordet hätten, während die deutsche Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger von einem weiteren Beleg für die Sowjetisierung Russlands sprach. Auch der Grünen-Politiker Volker Beck und Amnesty International äußerten sich kritisch.
Der Fall Magnitski sei nun endgültig abgeschlossen, habe Richter Alissow abschließend betont, schreibt focus.de, eine Rehabilitierung sei nicht möglich. Wenn sich der gute Richter da mal nicht irrt. Die Geschichte hat nicht erst einmal Unrechtsurteile korrigiert, sei es auch viele Jahre später.
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