Es passt irgendwie zur karnevalistischen 5. Jahreszeit, was mir da heute morgen an einem niederrheinischen Amtsgericht widerfahren ist. Ich vertrete eine junge Kollegin, der Leistungsbetrug vorgeworfen wird, weil sie ihre Erstanstellung zu spät der ARGE mitgeteilt und deshalb zu Unrecht Leistungen bezogen haben soll. Gegen die Beschuldigte war ein Strafbefehl erlassen worden, gegen den sie Widerspruch eingelegt hatte. Dann war sie zu der weisen Entscheidung gelangt, sich vor der Hauptverhandlung doch noch einen erfahrenen Verteidiger zu nehmen, um größere Unbill zu vermeiden. Ich hatte mich im Vorfeld der Verhandlung mit Staatsanwaltschaft und Gericht ins Benehmen gesetzt. Der zuständige Oberstaatsanwalt hatte sich grundsätzlich bereit erklärt, einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO zuzustimmen, wenn von der Beschuldigten „etwas komme“. Die Beweislage ist durchaus nicht unproblematisch, eine streitige Verhandlung wäre reichlich risikobehaftet. Die zuständige Richterin hatte signalisiert, dass sie das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung einstellen werde, wenn die Staatsanwaltschaft zustimme. So weit, so gut. Ich habe die Einstellung sodann schriftsätzlich angeregt und eine Stellungnahme abgegeben, die als Grundlage für die Einstellung ausreichen sollte. Die Richterin hat die Akte mit meinem Schriftsatz an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Zwischenzeitlich war der eigentlich zuständige Oberstaatsanwalt in Vaterschaftsurlaub gegangen. Das kann dann dauern, bis ein Vertreter sich mit der Sache befasst. Bis Donnerstag letzter Woche lag noch keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft vor. Ich habe deshalb beim Gericht angeregt, den auf heute anberaumten Hauptverhandlungstermin aufzuheben. Das wollte die Richterin nicht. Es könne dann ja gegebenenfalls in der Sitzung eine Einstellung erfolgen. Also bin ich heute morgen losgefahren zum Gericht. Unterwegs habe ich noch einmal bei der Staatsanwaltschaft angerufen, die ich karnevalsbedingt am Freitag und Montag nicht erreichen konnte. Der jetzt vertretungsweise zuständige Oberstaatsanwalt teilte mir mit, dass er die Akte noch nicht kenne. Sie liege ihm aber vor und er werde sich kurzfristig damit befassen. Ob er wisse, dass in einer halben Stunde die Hauptverhandlung stattfinde, fragte ich ihn. Nein, das wisse er nicht, und er habe doch die Originalakte auf dem Tisch. Wie die Richterin denn ohne Akte verhandeln wolle? Na ja, der Staatsanwalt war nett und entgegenkommend. Er hat sich die Akte angeschaut und gemeint, dass er der Verfahrenseinstellung zustimmen könne. Gegebenenfalls könne das Gericht in diesem Fall ja auch ohne Akte entscheiden; er sei telefonisch erreichbar und werde die Zustimmung gerne bestätigen, falls die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft das nicht aus eigener Kompetenz wolle.
Beim Amtsgericht angekommen stellte ich zunächst fest, dass die Sache nicht auf der Sitzungsrolle stand. Auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass da noch der Sitzungsplan vom vergangenen Freitag hing, obwohl schon tüchtig verhandelt wurde. Ich betrat den Sitzungssaal und wurde recht indigniert darauf hingewiesen, dass die vorige Sache noch nicht beendet sei. „Ich wollte auch nur fragen, ob die Sache überhaupt stattfindet, weil sie nicht auf der Sitzungsrolle steht. Die ist allerdings vom vergangenen Freitag“, erwiderte ich. „Und außerdem haben Sie wohl gar keine Akte.“ Die Richterin schaute irritiert in ihren Aktenstapel und stellte fest, dass die Akte tatsächlich fehlte. Ich klärte sie auf, wo sich die Akte nach meinen Erkenntnissen befinde. „Vielleicht können wir ja auch ohne Akte verhandeln“, meinte ich, „der zuständige Oberstaatsanwalt würde einer Einstellung zustimmen.“
„Warten Sie erst einmal draußen, bis die vorliegende Sache beendet ist“, wurde ich beschieden. Nach einer Viertelstunde des Wartens wurde die Sache dann aufgerufen. Zwischenzeitlich war immerhin die Sitzungsrolle auf den aktuellen Stand gebracht worden. Die Sitzungsstaatsanwältin sah sich nicht in der Lage, einer Verfahrenseinstellung aus eigenener Kompetenz zuzustimmen. Beim Oberstaatsanwalt anrufen wollte sie auch nicht. „Der Oberstaatsanwalt kann seine Zustimmung ja schriftlich geben, dann kann die Sache doch außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt werden“, meinte sie. „Genau das habe ich auch schon mehrfach vorgeschlagen und deshalb noch letzte Woche angeregt, den heutigen Termin aufzuheben, aber das ist ja abgelehnt worden“, erwiderte ich. „Wenn die Staatsanwältin nicht anrufen will, dann kann ich sie nicht zwingen“, meinte die Richterin, „wir machen das dann außerhalb der Hauptverhandlung“.
Was blieb mir anderes über, als mich zu bedanken und wieder zurück nach Mönchengladbach zu fahren. Jetzt habe ich völlig unnötig ein paar Stunden Zeit verloren und dafür ein Thema, über das ich bloggen kann. Helau!
Kategorie: Strafblog
Permalink: Man hat ja sonst nichts zu tun – Zeitklau im amtsgerichtlichen Verfahren
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