Mike N. geht´s heute richtig gut: Verteidigung eines linken Rechtsradikalen, oder war´s umgekehrt?



Veröffentlicht am 8. August 2012 von

Ein rechter Skinhead, Aufnäher "weiß und stolz"

Das erste Mal, dass ich mit Mike N. zu tun hatte, ist schon viele Jahre her. Damals verteidigte ich einen Renter, der als Mitglied der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) eine Broschüre über Neonazis in seiner Stadt herausgegeben hatte und darin auch Mike N. benannte, der mit seiner Skinheadfrisur, Bomberjacke mit nationalistischen Aufnähern und einem Plakat mit tendenziell ausländerfeindlichen Parolen auf einem Foto abgebildet war. Das hatte Mike N. dazu veranlasst, gegen den damals über 70-jährigen Günter H. Strafanzeige wegen Verleumdung zu erstatten und die Staatsanwaltschaft hatte ihn tatsächlich angeklagt. In der Hauptverhandlung haben wir Mike N. nachgewiesen, dass er tatsächlich Mitglied einer (inzwischen aufgelösten) neonazistischen Organisation war und deshalb wurde Günter H. freigesprochen. „Du bist kein Rechtsanwalt, du bist ein Linksanwalt, Du wirst schon sehen, welche Konsequenzen das hat!“, drohte N. mir nach der Verhandlung. Ich habe das einfach ignoriert, obwohl N. in der rechten Szene als brutal und gefährlich galt.

Das zweite Mal, dass ich mit N. zu tun hatte, war schon eine Spur härter. Da habe ich nämlich einen Mandanten verteidigt, der N. im Rahmen einer Auseindersetzung um ein Mädchen niedergestochen und lebensgefährlich verletzt hatte. N. hatte gegenüber der Polizei zunächst angegeben, er kenne den Täter nicht. Später hat er dann verlauten lassen, er wolle den Namen nicht nennen, weil der Mann dann in Haft komme und er die Angelegenheit nicht mehr selbst regeln könne. Er erledige das lieber auf seine Art „im Morgengrauen“. Wie gesagt, gefährlich war der Mann. Mein Mandant wurde letztlich „nur“ wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer überschaubaren Freiheitsstrafe verurteilt, wobei es mir gelungen war, N. in der Hauptverhandlung in das richtige Licht zu stellen, so dass das Gericht keinen übermäßigen Verfolgungseifer mehr hatte. N. bedrohte mich nach der Verhandlung erneut und meinte, ich solle mal besser gut aufpassen, wenn ich morgens das Haus verlasse. Ich habe dann tatsächlich eine Zeit lang besonders aufgepasst, ob da niemand steht und mir auflauert, bevor ich auf die Straße ging.

Jahre später hatte ich dann Mike N. am Telefon. Ob ich mich noch an ihn erinnere, fragte er. „So jemanden wie Sie vergisst man nicht so  leicht“, antwortete ich. Ob ich mir vorstellen könne, ihn in einer Strafsache zu verteidigen, fragte Mike. „Das kann ich mir nur schlecht vorstellen“, gab ich zurück. „Das dachte ich mir“, meinte Mike, „aber Sie können sich die Angelegenheit ja wenigstens einmal anhören.“ „Menschen können sich auch ändern“, fügte er noch hinzu. „Auch Menschen wie Sie?“, fragte ich rhetorisch. „Das werden Sie schon sehen, wenn Sie mir einen Termin geben“, sagte Mike.

Ich habe ihm einen Termin gegeben. „Keine Waffen, keine Fahrradkette oder Ähnliches, wenn ich bitten darf“, hatte ich zur Bedingung gemacht. Mike N. kam einige Tage später zum verabredeten Termin in die Kanzlei. Er sah aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte, groß, rasierter Schädel, Bomberjacke mit Aufnähern und Springerstiefel. „Wollen Sie mich verarschen?“, fragte ich ihn, als ich mir die Aufnäher näher anschaute. SKINHEADS GEGEN RASSISMUS UND AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT war da auf dem Rücken seiner Jacke zu lesen, und damit´s jeder versteht, gleich auch noch ganz international:  SKINS AGAINST RACISM. „Wie gesagt, Menschen können sich ändern!“, erwiderte N. und erläuterte mir, dass er die Seiten gewechselt habe. Nur derjenige könne ein richter Antifaschist sein, der früher mal Faschist gewesen sei, lautete seine erstaunliche These, nur dann wisse man, worüber man rede. Und dann zog er eine gegen ihn gerichtete Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung aus der Tasche. Er habe einen Mann, der auf einer Veranstaltung ausländerfeindliche Parolen gerufen hatte, niedergeschlagen und mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht getreten, lautete der Tatvorwurf.

„Hautpsache schlagen, egal ob unter rechter oder linker Flagge“, kommentierte ich die Anklage und Mike lächelte gequält, bevor er mir seine Version erzählte.

Ich habe das Mandat gegen Zusage eines recht opulenten Honorars übernommen, so eine Art verspätetes Schmerzensgeld war das für mich. „Ich wusste, dass ich bluten muss“, hatte Mike geantwortet und etliche vorsorglich mitgebrachte Scheine auf den Tisch geblättert.

Das Verfahren gegen Mike N. ist in der Hauptverhandlung gegen eine Geldauflage eingestellt worden. Er ist danach nie wieder mit der Justiz in Konflikt gekommen, hat er mir Jahre später berichtet. Er war ein ganz erfolgreicher Geschäftsmann geworden, hatte Familie und sah auch ganz anders aus. Neulich habe ich ihn zufällig wiedergesehen und wir haben einen Kaffee miteinander getrunken. Es geht ihm immer noch richtig gut, sagt er, und es hat ganz den Anschein, als stimme das.

 


Kategorie: Strafblog
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