„Ach, Herr Pohlen, es ist ein Elend, aber eigentlich kann ich mit Ihnen über den Fall gar nicht außerhalb der Hauptverhandlung sprechen“, beschied mich Staatsanwältin Reißaus in der vergangenen Woche, als ich telefonisch bei ihr anfragte, ob wir ein paar Worte über ein in diesen Tagen anstehendes etwas delikates Strafverfahren wechseln könnten. „Wir haben so strenge Protokollierungspflichten, dass das keinen Sinn mehr macht. Sie fänden es sicher auch nicht gut, wenn Sie jedes Wort auf die Goldwaage legen müssten, weil alles schriftlich fixiert werden muss. Ich finde das zum Kotzen!“ Und dann fügte sie noch hinzu, dass das nichts mit mir zu tun hätte, wir würden uns ja seit über 20 Jahren kennen und hätten nie Probleme miteinander gehabt. Aber jetzt seien Gespräche über anhängige Verfahren außerhalb formalisierter Verfahren de facto tabu. Zwingende Vorschriften.
Zwei Wochen vorher: In einem schon seit längerem anhängigen Strafverfahren hatte schon einmal während einer Sitzungspause ein Meinungsaustausch mit Oberstaatsanwalt Redegern stattgefunden, bei dem wir uns, was die Beweislage und die rechtliche Einordnung des angeklagten Tatgeschehens anbetrifft, näher gekommen waren. Jetzt war wieder Sitzungspause und ich schlug dem erfahrenen Strafverfolger vor, doch bei einem Kaffee in der Gerichtskantine noch einmal ein Gespräch zu führen. „Ich trinke gerne einen Kaffee mit Ihnen“, wurde ich beschieden, „und wir können über Alles unterhalten, aber nicht über den Fall“. Peng! Ich war verwundert, dass sah mir Redegern wohl an. „Es macht ja keinen Spaß mehr“, meinte er fast ein wenig traurig, „wir müssen ja Alles, was wir besprechen, akribisch als Aktenvermerk niederlegen, und die rechtliche Einordnung von Straftaten ist ja ohnehin keinem Deal mehr zugänglich! Da rede ich mit Ihnen lieber über Fußball!“
Ein paar Tage später hat mir der Vorsitzende Richter Hasenfuß anlässlich einer auswärtigen Verteidigung erklärt, dass er gar keine Verfahrensabsprachen mehr treffe. Die gesetzliche Regelung des § 257c StPO habe er schon immer für verunglückt gehalten, aber nachdem das Bundesverfassungsgericht die Staatsanwaltschaft zu strenger Überwachung der Abspracheregeln und zur Einlegung von Revisionen schon bei leichten Zweifeln aufgerufen habe, habe er die Nase voll. Zumal das höchste deutsche Gericht ja auch noch unverblümt mit dem Knüppel der Rechtsbeugung bei fehlerhafter bzw. unvollständiger Protokollierung von Rechtsgesprächen drohe. Da könne er ja glatt seinen Job verlieren und ins Gefängnis wandern.
Richter Blauauge meinte vorgestern anlässlich eines kurzen Gesprächs auf dem Gerichtsflur, bei dem wir ein paar wenige Worte über ein laufendes Verfahren wechselten, das werde er aber nicht zu Protokoll nehmen, das Risiko gehe er jetzt einfach mal ein.
Gestern haben wir mit allen Berufsbeteiligten, also Richterin, Staatsanwalt, zwei Nebenklagevertreter und ein Verteidiger, anlässlich einer Hauptverhandlung ein mehr als einstündiges Rechtsgespräch in einer Sache wegen fahrlässiger Tötung geführt, bei der sehr offene Worte gesprochen wurden, ohne dass es aber zu einer Verfahrensabsprache kam. Richterin Wortkarg hat die Öffentlichkeit nach Wiederherstellung derselben kurz und knapp darüber unterrichtet, dass keine Verständigung zustande gekommen sei. Das war bei strenger Betrachtungsweise weniger als das, was das Gesetz vorschreibt. Aber niemand hat sich daran gestört.
Man sieht, Auswirkungen des nicht nur von mir als reichlich weltfremd empfundenen Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 – kommen langsam, aber umso gewaltiger in der Praxis an. Die Hüter des Grundgesetzes haben damals entschieden, dass die gesetzliche Regelung über die Verständigung im Strafverfahren trotz bislang mangelhafter Normenakzeptanz so gerade noch verfassungsgemäß sei. Es sei auch unter den Gesichtspunkten des des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips nicht verboten, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen der Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen. Allerdings müssten die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die – regelmäßig öffentliche – Hauptverhandlung einbezogen werden. Der Inhalt von Verständigungsgespräche sei akribisch zu dokumentieren. Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führe grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer dennoch zustande gekommenen Verständigung. Die hohen Richter in Karlsruhe haben noch eine ganze Reihe weiterer Regeln aufgestellt, worüber man sich verständigen darf und worüber nicht. Keine Verständigung über die anwendbaren Rechtsnormen soll erlaubt sein, keine Einigung darüber, welche anderen Ermittlungsverfahren im Rahmen einer Gesamtlösung eingestellt werden, und anderes mehr. Da ist viel bislang vorhandene „Verhandlungsmasse“ auf der Strecke geblieben.
Inzwischen scheint das Dictum der Verfassungshüter auf allen Ebenen in konkrete Verhaltensanweisungen umgesetzt worden zu sein. Ein strenges Augenmerk soll ab jetzt auch auf die konsequente Anwendung der übrigen durch das „Verständigungsgesetz“ getroffenen Regelungen der §§ 160b, 202a, 212, 243 Abs. 4 und 273 Abs. 1 StPO gelegt werden.
Ich bin grundsätzlich auch dafür, dass nicht hinter den Kulissen unbotmäßig „gekungelt“ wird. Im Strafverfahren gegen Uli. Hoeneß bin ich nicht der einzige, der da einen gewissen Argwohn hegt. Andererseits ist es meine Erfahrung in rund 30 Jahren Strafverteidigung, dass es ohne Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze möglich ist und auch sehr sinnvoll sein kann, wenn sich vernünftige Menschen auch mal unter vier oder sechs Augen austauschen, ohne dass gleich jeder Satz auf die Goldwaage gelegt, schriftlich dokumentiert und nach Außen getragen werden muss. Nur so funktioniert das Leben. Und der Strafprozess.
So, wie es jetzt läuft, macht es keinen richtigen Spaß mehr. Das ist zwar kein wirklich starkes Argument, da der Strafprozess bekanntlich keine Spaßveranstaltung ist. Aber menschliches Miteinander unter den Verfahrensbeteiligten ohne phobische Ängste und Kontrollfetischismus allerorten macht vieles leichter. Da gilt es, ein gesundes Maß zu finden, das einerseits den Rechtsstaat nicht aushöhlt und andererseits handhabbar bleibt. Wenn keine sinnvollen Absprachen mehr möglich sind, dann droht die Gefahr, dass jede mittelprächtige Strafsache, die bislang angemessen auf kleiner Flamme gekocht werden konnte, ausufert, weil jedenfalls auf Verteidigerseite in Anbetracht der Ungewissheit alle Register gezogen werden müssen. Das könnte die Ressourcen der Justiz schnell an ihre Grenzen bringen.
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Mit Ihnen rede ich nicht mehr. Jedenfalls nicht über das Verfahren!“
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