Nach dreieinhalb Stunden zäher Verhandlung: Dann fangen wir nächstes Jahr halt nochmal von vorne an



Veröffentlicht am 2. Oktober 2014 von

AGRheydtIch räume ein, Amtsrichter haben es nicht immer einfach, wenn es darum geht, bei der Terminierung die voraussichtliche Dauer einer Hauptverhandlung abzuschätzen. Bisweilen stellen sich unerwartete Hindernisse in den Weg, die sogar aus unerwarteten Ecken kommen können.

So geschehen heute morgen in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Rheydt, in dem drei Brüder wegen gemeinschaftlicher und damit gefährlicher Körperverletzung angeklagt sind.

Ich hatte die Verteidigung eines der jungen Männer angenommen, die beiden anderen waren zunächst unverteidigt. Das war soweit auch in Ordnung, da bei ihnen im Falle einer Verurteilung weder eine Strafe von mehr als einem Jahr noch ein Bewährungswiderruf in Rede stand und auch nicht über ein Verbrechen zu befinden war. Auf den ersten Blick sprach auch nichts für eine mangelnde Verteidigungsfähigkeit, außer vielleicht, dass immerhin 8 oder 9 Zeugen geladen waren. Ansonsten waren sie weder blind noch taubstumm und trotz ihrer fremden Staatsangehörigkeit auch des Lesens und der deutschen Sprache mächtig. Allerdings war dem angeblichen Tatopfer, einem Landsmann der 3 Brüder, der als Nebenkläger auftrat, ein Rechtsanwalt beigeordnet worden und ausgerechnet der machte noch vor Beginn der Sitzung darauf aufmerksam, dass den unverteidigten Angeklagten schon aus Gründen der Waffengleichheit auch ein Verteidiger beigeordnet werden müsse. Die Amtsanwältin sprang ihm bei, so dass es meines zustimmenden Kommentars gar nicht mehr bedurft hätte.

Nach einem längeren Blick in die Kommentierung schloss der Richter sich der allgemeinen Rechtsauffassung im Saal an, so dass – was dann relativ schnell bewerkstelligt werden konnte – zunächst zwei weitere Verteidiger hinzugezogen werden mussten. Eine(r) davon war die Kollegin Viktoria Nagel, die zufällig schon die vorangegangene Hauptverhandlung bei demselben Richter wahrgenommen hatte und sich noch in der Nähe befand, als mein Anruf sie ereilte.

Natürlich muss in so einem Fall den neu hinzukommenden Verteidigern Gelegenheit gegeben werden, sich in den (vorliegend nicht allzu umfangreichen) Aktenstoff hineinzufinden und mit der Mandantschaft zu sprechen. So war schon eine Stunde vergangen, als die Sache dann endlich aufgerufen werden konnte. Die drei Brüder haben sich sodann – im wesentlichen bestreitend und viel erklärend – mit Hilfe ihrer Verteidiger zur Sache eingelassen. Auch darüber verging Zeit. Der Richter realisierte, dass es bis zur nächsten Sache, die um 14 Uhr anstand, nicht möglich sein würde, alle geladenen Zeugen zu hören. Also wurde gut die Hälfte von ihnen mit der Botschaft nachhause geschickt, dass sie mutmaßlich ein anderes Mal wiederkommen müssten. Glücklich haben die Zeugen ob dieser Botschaft nicht ausgesehen.

Dann folgte die Aussage des Nebenklägers, die aus meiner Sicht – zurückhaltend ausgedrückt – nicht immer ganz plausibel war und sich in einigen nicht ganz unwesentlichen Punkten von dessen früheren Angaben bei der Polizei unterschied. Das ist  sicher auch dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht verborgen geblieben. Ich hatte vorsorglich Satellitenbilder vom Tatort mitgebracht, anhand derer das angeblich Tatgeschehen nebst der Standorte und der Laufwege der Beteiligten erläutert werden konnte.

Zu Recht interessierte sich das Gericht auch für den etwas komplexen Hintergrund der Zwistigkeiten zwischen dem Nebenkläger und den Angeklagten, weil sich hieraus ja Tat- und Falschbelastungsmotive ableiten lassen können. Die Angeklagten hatten sich dahingehend eingelassen, dass der Streit und die körperlichen Aggressionen von dem Nebenkläger ausgegangen seien. Hintergrund sei, dass der Nebenkläger sie und ihre ganze Familie dafür verantwortlich mache, dass sein Neffe von einer Frau verlassen worden sei. Letzteres hat der Zeuge sinngemäß durchaus bestätigt.

Der Nebenkläger tat sich schwer, gestellte Fragen präzise zu beantworten. Er holte gerne aus und berief sich immer wieder auf die Aussage von Zeugen, die in der Verhandlung nach gar nicht gehört worden waren, anstatt seine eigenen Wahrnehmungen kund zu tun. Zu „einer Million Prozent“ sei das richtig, was er da von sich gebe, meinte er im Brustton der Überzeugung, wobei er zwischendurch auch mal auf lediglich „tausend Prozent“ zurückfuhr. Er erinnere sich überhaupt nicht mehr, meinte er – auf Widersprüche angesprochen – zwischendurch einige Male, wobei er auf einen bei ihm festgestellten Hirntumor verwies, während er wenig später vehement betonte, dass er das Geschehen noch ganz genau im Gedächtnis habe.

Das Ganze zog sich bis viertel vor zwei. „Ich denke, die weiteren Zeugen werden wir heute nicht mehr befragen können“, meinte der Richter, was auch deshalb zutreffend war, weil die Kollegin Nagel einen Anschlusstermin an einem anderen Gericht wahrnehmen musste.

Wir haben versucht, innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist einen Fortsetzungstermin zu finden, was aufgrund von Urlaubsplanungen und Terminsverhinderungen einzelner Beteiligter nicht gelingen wollte. Ob Einverständnis damit bestehe, bei einer Neuansetzung der Hauptverhandlung die bisherigen Aussagen zu verlesen, fragte der Richter, was sowohl von der Amtsanwältin als auch von der Verteidigung mit großer Skepsis gesehen wurde. „Möglicherweise benötigen wir im Hinblick auf die Aussagewidersprüche auch noch die an dem Tatorteinsatz beteiligten Polizeibeamten als Zeugen“, habe ich eingeworfen.

„Dann wird das in diesem Jahr nichts mehr“, meinte der Amtsrichter, „einen richtigen Umfangstermin kann ich nicht vor Februar oder März 2015 anbieten“. Und dann schlug er den 19.03. vor – meinen nächsten Geburtstag. „Da bin ich in Urlaub“, meinte der Verteidiger des dritten Bruders, der wenige Tage vorher auch Geburtstag hat.

Letztlich sind wir so auseinander gegangen, dass Verteidigung und Nebenklage terminliche Möglichkeiten miteinander abstimmen werden und dem Gericht dann Vorschläge unterbreiten. Dann wird´s halt in einem halben Jahr von vorne losgehen.

Die verbliebenen Zeugen, die eine weitere Stunde auf dem Gerichtsflur gewartet hatten, waren „not amused“ und äußerten dies auch, als sie unverrichteter Dinge entlassen wurden. „Eine Unverschämtheit“ sei das, ließ sich eine weibliche Stimme vernehmen, und der Richter versuchte reichlich erfolglos, bei ihr um Verständnis zu werben und das Ungemach zu entschuldigen.

Die Angeklagten sind auch nicht sonderlich erfreut über die weitere Verzögerung, die insbesondere bei meinem Mandanten an den Nerven zerrt, weil er zuletzt noch unter Bewährung stand und der Straferlass nach inzwischen abgelaufener Bewährungszeit davon abhängt, was aus dem vorliegenden Verfahren herauskommt. Eine Bewährung kann nämlich auch noch geraume Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit widerrufen werden, wenn die Strafe noch nicht erlassen ist und eine Verurteilung wegen einer Tat erfolgt, die während der Bewährungszeit begangen wurde. Das kann im Einzelfall auch schon einmal ein paar Jahre dauern, bis da Klarheit herrscht.

Schrecklich, so eine Warterei….


Kategorie: Strafblog
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