Es gibt nur wenige Dinge, die für Verfahrensbeteiligte ätzender sind als das tagelange Abhören und Übersetzen von Telefonaten in der Hauptverhandlung. Das gilt erst recht, wenn es um eine Sprache geht, die man schon phonetisch kaum versteht, wie zum Beispiel Punjabi. Und wenn die Aufnahmequalität dann auch noch so schlecht ist, dass selbst der oder die Sprachsachverständige einen größeren Teil akustisch nicht nachvollziehen kann, dann ist die Verwirrung fast perfekt. So geht es meinen Verteidigerkollegen und mir (und natürlich auch dem Gericht und der Bundesanwaltschaft) schon seit Wochen in einem Staatsschutzverfahren vor dem Frankfurter OLG, in dem 5 zur Religionsgemeinschaft der Sikhs gehörende Inder u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Verabredung zum Mord angeklagt sind. Gestern haben wir 5 1/2 Stunden gebraucht, um 3 Telefonate anzuhören und übersetzen zu lassen. Immer wieder mussten Passagen neu vorgespielt werden, weil zwischen den Angeklagten, den beiden zwischen den Angeklagten sitzenden Dolmetschern und der Sprachsachverständigen Meinungsverschiedenheiten darüber bestanden, was denn eigentlich in Punjabi geredet worden ist und wie das Gesprochene korrekt zu übersetzen ist. Da ging es zum Beispiel mehrfach um die Frage, ob der Name eines der Angeklagten erwähnt worden war oder ob nur ein ähnlich klingendes Substantiv verwendet worden war, welches mit diesem Angeklagten gar nichts zu tun hatte. Einige Male korrigierte sich die Sachverständige letztendlich und rückte von ihrer zuvor verschrifteten Übersetzung wieder ab. Eine durchaus anstrengende Veranstaltung!
Überhaupt, die Dolmetscher. 4 Dolmetscher und Sprachsachverständige sind in diesem Verfahren bis zum gestrigen 34. Verhandlungstag schon entlassen worden, weil ihre Leistungen einfach unzureichend waren. Ein Grund für deren Verständnisschwierigkeiten war nach meiner Einschätzung, dass die aus dem pakistanischen Teil des Punjab stammenden Dolmetscher die Idiomatik aus dem indischen Punjab nicht immer verstanden haben. Bisweilen mangelte es auch schon an hinreichenden deutschen Sprachkenntnissen. Auch gestern gab es einige Passagen in der verschrifteten Übersetzung, die einfach keinen Sinn machten und weder grammtisch noch semantisch nachvollziehbar waren. Immerhin konnte das dann mit einigen Fragen und erneutem Anhören der betreffenden Passagen aufgeklärt werden.
Bisheriges Highlight im Dolmetschergetümmel war folgende Szene, die schon vor etlichen Wochen stattgefunden hat und die ich aus der Erinnerung referiere:
Verteidiger: „Herr Vorsitzender, mein Mandant (der leidlich Deutsch versteht) sagt, dass der Dolmetscher wesentliche Teile der Zeugenaussagen gar nicht oder nicht sinnentsprechend übersetzt.“
Vorsitzender: „Herr Dolmetscher, was sagen Sie dazu?“
Dolmetscher:“ Ich übersetze alles, was ich verstehe. Das übersetze ich auch korrekt.“
Vorsitzender: „Wieviel von dem Gesagten verstehen Sie denn?“
Dolmetscher: „Höchstens die Hälfte, die Akustik hier im Saal ist sehr schlecht.“
Vorsitzender: „Und seit wann ist das so?“
Dolmetscher: „Schon den ganzen Tag.“
Vorsitzender: „Wollen Sie damit sagen, dass Sie hier seit Stunden sitzen und nur höchstens die Hälfte verstehen und übersetzen, ohne dies dem Senat zu offenbaren?“
Dolmetscher: „Ja, was will ich denn machen?“
Pause. Der Senat zieht sich zur Beratung zurück. Danach wird der Dolmetscher entlassen. Der gesamte bis dahin absolvierte Verhandlungstag muss wiederholt werden.
Dolmetscher: „Herr Vorsitzender, können Sie mir denn bitte noch die Anweisung für meine Vergütung unterschreiben?“
Vorsitzender (in reichlich bösem Ton): „Reichen Sie Ihren Antrag schriftlich ein, wenn Sie tatsächlich eine Vergütung für Ihre Nichtleistung geltend machen wollen. Aber vielleicht überlegen Sie sich das noch einmal, schließlich könnten auch Schadensersatzforderungen für den verlorenen Verhandlungstag auf Sie zukommen!“
Der Dolmetscher verlässt mit gesenktem Blick den Saal. Irgendwie tut mir der Mann ein bisschen leid. Ob er sein Honorar letztlich abgerechnet hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Derzeit sind noch Termine bis Ende August anberaumt. Da wird noch Einiges an fragwürdigen Dolmetscherleistungen auf uns zukommen, kann ich mir vorstellen.
Vorbildlich war übrigens die Dolmetscherauswahl im Hamburger Piratenverfahren. Dort ging es um eine für uns ebenfalls exotisch anmutende Sprache, nämlich Somali. Das Gericht hat mit Blick auf die zu erwartende Verfahrensdauer eine Art Dolmetscher-Casting durchgeführt und sich schließlich für 3 auswärtige Dolmetscher entschieden, die wirklich hervorragende Leistungen bringen. Einer ist inzwischen allerdings auch entlassen worden, weil er sich in einem Presseinterview zum laufenden Verfahren geäußert hat. Shit happens …
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vor: Languren, frische Luft und die Unschuldsvermutung
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