Selbstverteidigungsrede des Gerichts und Aussageverweigerung des Staatsanwalts. Kann der Sitzungsstaatsanwalt als Zeuge sistiert werden?



Veröffentlicht am 31. Juli 2012 von

 

Eigentlich hatte ich gestern einen eher langweiligen „Schiebetermin“ im Hamburger Piratenverfahren erwartet, der auf 13 Uhr anberaumt war und nach meiner Erwartung nur kurz dauern sollte. Der Termin inmitten der Ferienzeit war vom Gericht zwischengeschoben worden, um die Unterbrechungsfrist zu wahren, die nach § 229 Abs. 2 StPO einen Monat beträgt, wenn die Hauptverhandlung zuvor an mindestens 10 Tagen stattgefunden hat. Am 30. August soll es weitergehen mit dem 96. Verhandlungstag.

Als Zeugin geladen war eine 29-jährige Beamtin des Bundeskriminalamtes, die an einem Gespräch mit einem bereits als Zeugen vernommenen Journalisten teilgenommen hatte und sich zum Inhalt dieses Gesprächs äußern sollte. Bei der Zeugin war nur wenig präsente Erinnerung vorhanden, so dass die Vernehmung nach meiner Einschätzung reichlich unergiebig blieb. Das war´s dann für heute, dachte ich, bevor es doch noch zu einigen Highlights kam.

Nachdem ein Verteidiger sich kurz zu einer gegen seinen Mandanten ergangenen Haftfortdauerentscheidung geäußert hatte, die das Gericht in der vergangenen Wochen außerhalb der Hauptverhandlung getroffen hatte, wies der Vorsitzende Richter Dr. Steinmetz darauf hin, dass  Beschwerden gegen die fehlende Verhandlungsdichte aus Sicht der Kammer fehl am Platze seien und dass unter Berücksichtigung der Terminslage  der  Kammer und der beteiligten Verteidiger alle machbaren Termine anberaumt worden seien. Rechtsanwältin Heinecke sprach daraufhin von einer im konkreten Zusammenhang unnötigen „Selbstverteidigungsrede“ des Gerichts, was zu einer leicht indignierten Reaktion des Vorsitzenden Richters  führte. Das Gericht habe sich nicht zu verteidigen, meinte er sinngemäß, und fragte, ob noch irgendwelche Anträge gestellt werden sollten.

Ein anderer Verteidiger, Rechtsanwalt Burkert, meinte darauf hin, er wolle zunächst eine Frage an die Staatsanwaltschaft richten. Das rief Oberstaatsanwalt Giesch-Ralf auf den Plan. Er werde keine Frage der Verteidigung beantworten, meinte er in der ihm eigenen trockenen Art. „Sie wissen doch gar nicht, welche Frage ich Ihnen stellen will“, meinte der Verteidiger, worauf der Oberstaatsanwalt sinngemäß äußerte, das sei ihm egal, er werde ohnehin nicht antworten.  Ob der Staatsanwalt ein Angeklagter sei, der sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen wolle, war halblaut aus den Verteidigerreihen zu hören. „Ich stelle meine Frage an den Staatsanwalt trotzdem“, meinte Rechtsanwalt Burkert und wandte sich direkt an Giesch-Ralf. Er wolle wissen, ob gegen den in London lebenden mutmaßlichen Bruder eines der Angeklagten im Zusammenhang mit der Kaperung der MS Taipan ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei oder ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens insoweit beabsichtigt sei, fragte er.  „Ich habe meine Antwort bereits gegeben“, meinte der Staatsanwalt nicht unironisch. Also wie angekündigt: keine Antwort.

Rechtsanwalt Timmermann wies das Gericht auf seine Amtsaufklärungspflicht hin, was Dr. Steinmetz zu der Äußerung veranlasste, dass die Kammer sich ihrer Verpflichtung sehr wohl bewusst sei und bislang auch alles in ihrer Macht stehende versucht habe, die verfahrensrelevanten Tatsachen zu klären. „Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt“, meinte er an die Adresse einer Verteidigerin gerichtet, um dann darauf hinzuweisen, dass die Kammer beabsichtige, die Beweisaufnahme erneut zu schließen, weil aus ihrer Sicht das Beweisprogramm erledigt sei.

Darauf stellte Rechtanwalt Burkert den Antrag, den Oberstaatsanwalt Giesch-Ralf als präsenten Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass gegen den Bruder des besagten Angeklagten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Oberstaatsanwältin Dr. Dopke als zweite Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft vertrat die Auffassung, dass ihr Kollege Giesch-Ralf als Sitzungsstaatsanwalt gerade kein präsenter Zeuge im Sinne von § 245 StPO sei. Daraufhin erklärte Rechtsanwältin Heinecke, die sich dem Antrag auf Vernehmung des Oberstaatsanwalts anschloss, dass dieser als Zeuge sistiert werde. Dem wiederum schloss sich auch Rechtsanwalt Burkert an.

„Ich empfehle Ihnen dringend, sich mal den § 245 StPO genauer anzuschauen“, meinte der Oberstaatsanwalt, „und außerdem haben Sie auch die Frage einer fehlenden Aussagegenehmigung nicht berücksichtigt.“

Mit der nicht uninteressanten Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Sitzungsstaatsanwalt als präsenter Zeuge sistiert werden kann, lasse ich Sie jetzt allein, verspreche aber, die Auflösung demnächst nachzuliefern.


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