„Sie können ja Beschwerde einlegen“ – Eine dünne haftrichterliche Argumentation



Veröffentlicht am 2. Dezember 2013 von

Das war schon eine sonderbare Veranstaltung, die Haftprüfung, die ich am vergangenen Freitag an einem rheinischen Amtsgericht erlebt habe. Gemeinschaftlicher versuchter Totschlag wird meinem Mandaten vorgeworfen. Er soll vor ein paar Wochen gemeinsam mit mindestens drei anderen Personen einem Mann aufgelauert und diesen dann zusammengeschlagen und -getreten haben, wobei dieser mindestens zwei Schläge mit einem harten Gegenstand – möglicherweise eine Metallstange – auf den Kopf erhielt, die zu lebensgefährlichen Verletzungen führten. Inzwischen ist das Tatopfer außer Lebensgefahr. Es soll sich möglicherweise um einen Racheakt mit Personenverwechselung gehandelt haben.

Von meinem Mandanten weiß man, dass er in zeitlichem Umfeld der Tat mit anderen Tatverdächtigen telefoniert hat, dass sich sein Mobiltelefon in Tatortnähe in einen Funkmast eingeloggt hatte und dass seine DNA an einer Zigarettenkippe festgestellt wurde, die nur wenige Meter vom Tatort entfernt gefunden wurde. Ich habe in der Haftprüfung geltend gemacht, dass nach den vorliegenden Zeugenaussagen nicht sicher feststehe, wie groß die Tätergruppe tatsächlich war, ob das Opfer von 2, 3 oder 4 Personen attackiert wurde, wer die zwei lebensgefährlichen Schläge auf den Kopf geführt habe und ob mein Mandant, der nach eigenen Angaben und einer Zeugenaussage schwer betrunken war, sich überhaupt an der Schlägerei beteiligt hat. Niemand habe ihn erkannt. Es gebe auch keinerlei Erkenntnisse darüber, wer welche Tatausführung mit wem abgesprochen habe und ob es sich bei den Schlägen auf den Kopf nicht um einen Mittäterexzess gehandelt hat. Auch könne nach der Rechtsprechung nicht ohne weiteres von einem Tötungsvorsatz ausgegangen werden, der im übrigen bei jedem Beschuldigten individuell festgestellt werden müsste, und außerdem liege – wenn man einen solchen Vorsatz zumindest bei dem nicht feststehenden Tatbeteiligten, der auf den Kopf geschlagen hat, annehmen wollte – ein Rücktritt vom Versuch nahe, da man ja von dem Opfer abgelassen habe, als dieses ersichtlich noch lebte, ohne dass Dritte zu diesem Zeitpunkt eingeschritten wären.

Allenfalls, so hatte ich ausgeführt, komme bei meinem Mandanten ein Tatverdacht wegen Beteiligung an einer gefährlichen Körperverletzung in Betracht, und ein Haftgrund liege nicht vor. Insbesondere fehle es an jeglichen Anknüpfungstatsachen für Fluchtgefahr. Mein Mandant sei verheiratet, habe mehrere Kinder, einen festen Job und überhaupt intensive soziale Bindungen. Außerdem könne eine Kaution angeboten werden.

Der Richter erwiderte darauf, er müsse sich die Akte erst noch einmal genau anschauen, aber rauslassen werde er meinen Mandanten jedenfalls nicht. Ob er das begründen könne, fragte ich. Ob er meinen Argumenten bessere Argumente entgegenstellen könne? „Sie können ja Beschwerde einlegen!“, war die Antwort. „Das enthebt Sie doch nicht der Notwendigkeit, den Aufrechterhaltung des Haftbefehls begründen zu müssen“, antwortete ich, „schließlich ist die Freiheit ein hohes Gut.“ Heute jedenfalls werde er den Haftbefehl nicht aufheben, meinte der Richter, auch wenn meine Argumente durchaus etwas für sich hätten. Mehr sei da nicht zu sagen.

Die zuständige Staatsanwältin war übrigens nicht zugegen, auch keine Stellvertretung.

Letztlich sind wir so verblieben, dass ich noch einmal schriftlich Stellung nehme und der Richter binnen Wochenfrist entscheidet. Er will sich auch die Akte noch einmal genau anschauen. Immerhin eröffnet das noch Möglichkeiten.

Mit der zuständigen Staatsanwältin, die sehr konstruktiv wirkte, habe ich inzwischen sprechen können. Sie bat mich darum, ihr die schriftliche Stellungnahme ebenfalls direkt zukommen zu lassen. Sie werde diese sorgfältig prüfen und dann gegenüber dem Haftrichter noch einmal Stellung nehmen oder einen eigenen Antrag stellen. So machen wir´s jetzt.

Trotzdem …. es ist immer wieder erschreckend, wie im Haftrecht aus dem Bauch heraus argumentiert wird und rechtliche Dogmatik und die kritische Beweiswürdigung auf der Strecke bleiben. „Im Zweifel gegen den Beschuldigten“, scheint oft die Devise zu sein.

Eines möchte ich nicht vergessen zu erwähnen: Natürlich handelt es sich um eine schlimme Tat. Niemand hat das Recht, aus welchen Gründen auch immer außerhalb von Notwehr- oder Nothilfehandlungen mit Gewalt auf einen anderen Menschen einzuschlagen oder einzutreten, erst Recht nicht mit gefährlichen Werkzeugen und auf den Kopf. Aber auch und gerade bei schlimmen Taten ist eine sorgfältige tatsächliche und rechtliche Analyse vonnöten und der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist vorrangig zu beachten. Sonst bleibt der Rechtsstaat auf der Strecke.


Kategorie: Strafblog
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