Für irrationales Verhalten finden sich nicht so leicht rationale Erklärungen



Veröffentlicht am 4. Dezember 2013 von

„Das können Sie mir doch nicht erzählen, dass sie das ganze Geld einfach sinnlos ausgegeben haben, ein größerer Teil davon ist doch sicher irgendwo gebunkert“, meinte die noch recht junge Staatsanwältin zu meiner Mandantin, die gerade unter Tränen eingeräumt hatte, bei ihrem damaligen Arbeitgeber, einer öffentlichen Einrichtung, einen höheren fünfstelligen Betrag veruntreut und auf den Kopf gehauen zu haben. Trennungsschmerz und finanzielle Probleme hätten zu depressiven Verstimmungen und suizidalen Gedanken geführt, hatte die Angeklagte verlauten lassen. Es sei so einfach gewesen, unbefugt Geld auf Konten zu überweisen, auf welche sie Zugriff hatte, Kontrollen habe es nur stichprobenweise gegeben, und die habe sie leicht unterlaufen können. Unsinnige Anschaffungen habe sie getätigt, noch jetzt habe sie den Kleiderschrank voller ungetragener Garderobe, an der noch die Preisschilder hingen. Liebe und Freundschaft habe sie sich erkaufen wollen, großzügig ihren  Freund und andere Personen eingeladen, Kino, Essen, Reisen und anderes bezahlt. Das Geld sei einfach draufgegangen, sie könne das heute auch nicht mehr nachvollziehen. „Aber doch nicht achtzigtausend Euro in knapp zwei Jahren“, meinte die Richterin, Kino und Essengehen kosteten doch nur Peanuts. Wer öfter mal ins Kino geht oder Gäste zum Essen einlädt, der weiß, dass sich da ganz schön was zusammenläppern kann, habe ich eingewandt, ohne damit wirklich punkten zu können. Ob sie das Geld verspielt  oder nachvollziehbare größere Ausgaben auf einen Schlag   getätigt habe, hat das Gericht gefragt.  Nein, das habe sie nicht, meinte die Angeklagte, die mit einiger Mühe ein paar Einzelpositionen in Höhe von bis zu 1.500 Euro nennen konnte.

Die Vorsitzende Richterin und die Staatsanwältin runzelten ungläubig die Stirn. Nein, so verhält man sich vernünftigerweise nicht. Ich habe versucht, darzulegen, dass die junge Frau,  die als frühere Justizbedienstete doch wisse, worauf es ankomme, einfach nicht in der Lage sei, „vernünftige“ Erklärungen für ihr Tun abzugeben. Ihr Verhalten sei durch und durch unvernünftig gewesen, und sie habe ja auch gewusst und es darauf ankommen lassen, dass Alles irgendwann auffliegt. Zwanghaft sei ihr Verhalten gewesen und den Überblick über die Ausgaben habe sie einfach nicht gehabt. Durch die Finger geronnen sei ihr das Geld, das könne man nicht so einfach als Schutzbehauptung abtun. Depressive Erkrankungen führten nun mal bisweilen zu irrationalen Verhaltensweisen, da könne man leicht den Überblick verlieren.

Reichlich ungläubig war die Erklärung der Angeklagten aufgenommen worden, sie habe sich zum Schluss absichtlich erwischen lassen, um dem bösen Spiel ein Ende zu bereiten. Sie sei nicht anders in der Lage gewesen, sich gegenüber dem Arbeitgeber zu ihren Taten zu bekennen, hatte sie vorgetragen. Zuvor hätte sie wiederholt versucht, therapeutische Hilfe zu erhalten. Letztlich seien ihre Versuche aber an den langen Wartezeiten bei allen Psychologen, die sie kontaktiert hätte, gescheitert.

„Spitz auf Knopf“ stehe die Frage, ob bei der bislang nicht vorbestraften Angeklagten noch eine Bewährungsstrafe möglich sei, hatte die Richterin erklärt, aber dazu müsse von von der jungen Frau schon mehr kommen als das, was sie bis jetzt erklärt habe. Ich habe einen vorsichtshalber vorbereiteten Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit gestellt, weil meine Mandantin psychisch bedingte zwanghafte Verhaltensweisen an den Tag gelegt hätte, die eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nahelegten. Ich habe das natürlich sehr viel ausführlicher begründet, als ich dies hier wiedergeben kann, und das Gericht hat dem Antrag nach Beratung entsprochen. Jetzt wurde der Prozess erst einmal vertagt. Wir haben dadurch auch ein wenig Zeit gewonnen, uns  um die Frage der Schadenswiedergutmachung zu kümmern, die ja bekanntlich einen wesentlichen Strafmilderungsgrund darstellen kann. Bislang war mir das noch nicht möglich gewesen, ich hatte das Mandat erst gestern übernommen und mir über Nacht die nicht ganz dünne Akte zu Gemüte geführt.

Zu einer Entscheidung wird es sicher erst im nächsten Jahr kommen, bis dahin ist noch Einiges zu tun.


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