Sind 4 Jahre eine angemessene Strafe für eine mittlere Körperverletzung? Und was sind besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB?



Veröffentlicht am 5. September 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Der Fall, in dem ich gestern gemeinsam mit dem Kollegen Gerd Meister vor dem Schöffengericht in Bielefeld verteidigt habe, war schon ein wenig ungewöhnlich. Da hatten nämlich im November des letzten Jahres zwei Brüder, die von einem Bielefelder Autohändler um rund 213.000 Euro betrogen worden waren und nach teilweise erfolgreicher Vollstreckung noch mehr als 110.000 Euro offene Forderungen hatten, einen Ausraster bekommen, als sie den damals schon rechtskräftig verurteilten Betrüger anlässlich eines Gerichtstermins vor dem Bielefelder Landgericht vorbeikommen sahen. Einer der Brüder war aus dem gerade abgeparkten Fahrzeug gesprungen und hatte den Mann unmittelbar vor dem Eingang zum Gericht unter den Augen zahlreicher Zeugen mit zwei oder drei Fausthieben zu Boden gestreckt. Der andere war hinterher gekommen und wollte – so hat er bekundet – seinen Bruder eigentlich von weiteren Schlägen abhalten. Als er den Mann, der ihn und seine ganze Familie mit dem Betrug in massive wirtschaftliche Probleme gebracht hatte, dann unmittelbar vor sich sah, verlor er die Fassung und versetzte dem Mann einen Tritt, der dessen  linke Wange traf.  Die war daraufhin ganz schön angeschwollen, wobei die vorangegangenen Faustschläge dazu beigetragen haben dürften. Der Mann, der sehr benommen gewesen sein soll, kam ins Krankenhaus, wo im wesentlichen eine Gesichtsprellung ohne knöcherne Verletzung und vorübergehende Sehstörungen auf einem Auge diagnostiziert wurden, die nach 2 Wochen wieder verschwunden waren.

Beide Brüder ließen sich danach widerstandslos festnehmen. Laut Zeugenaussagen sollen sie immer noch sehr aufgebracht gewesen sein. Der Mann habe ihr Leben zerstört und die Existenz vernichtet, soll einer der Beiden gesagt haben, und sie sollen noch weitere Drohungen in Richtung des Tatopfers ausgestoßen haben. Das führte dazu, dass beide in Untersuchungshaft wanderten, zumal einer von ihnen dem Betrüger im selben Zusammenhang mehr als ein Jahr zuvor schon einmal eine Abreibung verpasst und dabei Tränengas und einen Stock eingesetzt hatte.

Nach zwei Wochen U-Haft war es uns gelungen, eine Haftverschonung zu erreichen, und gestern ging es dann um die strafrechtliche Aufarbeitung der Aktion. Gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen wurde dem jüngeren Bruder vorgeworfen, einmal wegen der Tränengasaktion und einmal wegen der Auseinandersetzung vor dem Gerichtsgebäude. Der ältere, der zugetreten haben soll, war „nur“ wegen des zweiten Falles angeklagt. Gleich drei Tatbestandsmerkmale des § 224 StGB wurden ihm in der Anklage zur Last gelegt: „Gemeinschaftlich“ sei die Körperverletzung erfolgt, mittels eines gefährlichen Werkzeuges in Form des beschuhten Fußes und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung. So ein Tritt ins Gesicht ist in der Tat keine feine Sache.

Die Brüder waren in der Hauptverhandlung im wesentlichen geständig. Allerdings hätten sie, anders als die Anklage dies angenommen hatte, dem Opfer keineswegs vor dem Gericht aufgelauert oder sich zu einer gemeinsamen Tat verabredet. Vielmehr sei der Jüngere spontan in Wallung geraten, als er den Mann vorbeidefilieren sah und hätte ganz autonom zugeschlagen. Dass sein Bruder hinzugekommen war, hätte er erst bemerkt, als dieser neben ihm stand und zutrat. Davon sind der Sitzungsstaatsanwalt und das Gericht – soviel sei vorweggenommen – dann auch ausgegangen und haben bezüglich des Jüngeren für diese Tat dann auch nur eine einfache Körperverletzung angenommen.

Fragte sich, wie die Angeklagten zu bestrafen seien. Beide hatten ihr Bedauern kundgetan, ihnen sei natürlich klar, das Selbstjustiz keine Lösung sei. Immerhin seien sie und ihre gesamte Familie durch den vorangegangenen Betrug massiv wirtschaftlich geschädigt und hätten die Existenzgrundlage verloren. Trotz eines vorliegenden Vollstreckungstitels hätten sie von dem Betrüger keinen Cent mehr bekommen. Der stelle sich arm, obwohl sie allen Anlass zu der Vermutung hätten, dass er seinen Kraftfahrzeughandel mittels einer Strohfrau weiterbetreibe.

Der bis zu diesem Zeitpunkt durchaus verständnisvoll wirkende Staatsanwalt hat in seinem Plädoyer bei den Strafzumessungserwägungen zugeschlagen. Für eine gefährliche Körperverletzung stehe ein Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren zur Verfügung. Vorliegend handele es sich bei wertender Gesamtbetrachtung um einen mittleren Fall, so dass die Strafe nach der Vorstellung des Gesetzgebers aus der Mitte des Strafrahmens genommen werden müsste. Das wären dann, da die Strafgewalt des Schöffengerichts nicht weiter reiche, 4 Jahre. Soweit wolle er aber wegen der Geständnisse und wegen der irgendwie doch nachvollziehbaren Motivationslage nicht gehen. Er beantrage 1 Jahr und 9 Monate Freiheitsstrafe für jeden der beiden, die allerdings nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Zwar habe der jüngere Bruder als nicht vorbestraft zu gelten und eine Vorstrafe des älteren wegen einer einfachen Körperverletzung – damals ging es um eine Ohrfeige – liege schon ein paar Jahre zurück. Aber „beim besten Willen“ könne er keine besonderen Umstände in der Tat und in der Täterpersönlichkeit entdecken, die bei einer über ein Jahr hinausgehenden Freiheitsstrafe eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten.

Der Kollege Meister und ich haben dagegen gehalten. Es sei doch reichlich abwegig, für eine mittlere gefährliche Körperverletzung ohne schwerwiegende Folgen 4 Jahre zu veranschlagen. Das habe sich der Gesetzgeber auch nicht vorgestellt und wenn das so wäre, dann würden die Gefängnisse überquellen. Der bis zehn Jahre reichende Strafrahmen decke ja auch schwerste Taten mit schwersten Folgen ab. Selbst die schwere Körperverletzung mit Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, der Fortpflanzungsfähigkeit oder eines oder mehrerer Gliedmaßen könne nicht höher bestraft werden (§ 226 StGB), soweit kein versuchtes Tötungsdelikt im Raume stehe. Ich habe Zweifel angemeldet, dass ein einzelner Tritt ins Gesicht – so hässlich das auch ist – eine das Leben gefährdende Behandlung darstelle. Da komme es doch schon auf die Intensität des Trittes an.

Wir haben darauf hingewiesen, dass die Tatmotivation doch ein erhebliches Gewicht habe. Es sei doch etwas anderes, ob völlig anlasslos etwa auf Zufallspassanten eingeschlagen oder eingetreten werde, oder ob das Opfer mit eigenem massiv strafbaren Verhalten zum Nachteil der Täter ein nachvollziehbares Motiv geliefert habe. Man müsse doch berücksichtigen, dass gerade keine geplante Tat vorliege, sondern ein spontaner Gefühlsausbruch ausschlaggebend gewesen sei. Das Tatopfer, das noch mehrere andere Personen betrügerisch geschädigt habe, sei selbst wegen Betruges mit einem Ausgangsschaden von ca. 400.000 Euro zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt worden. Der von dem Mann versachte Schaden wirke noch massiv auf Jahre nach, während die physischen Folgen der Körperverletzung doch längst überwunden seien.

Wir haben die Auffassung vertreten, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr keineswegs angemessen sein könne. Außerdem lägen – selbst wenn das Gericht über ein Jahr hinausgehen würde – doch ganz unproblematisch die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung vor. Die Sozialprognose sei – was auch der Staatsanwalt so gesehen hat – offenkundig günstig und besondere Umstände in der Tat und in der Täterpersönlichkeit drängten sich in Anbetracht der Gesamtumstände doch förmlich aus.

Das Gericht hat nach Beratung Freiheitsstrafen von 12 Monaten gegen den jüngeren und von 14 Monaten gegen den älteren Bruder verhängt und bei Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Natürlich sei der Tritt ins Gesicht eine böse Sache, meinte die sehr originell verhandelnde Richterin, und der Auftritt unmittelbar vor dem Gericht sei nicht hinnehmbar. Prozessparteien dürften keine Angst vor Übergriffen haben müssen, wenn sie bei Gericht erscheinen. Nach dem Studium der Akten hätte sie bei dem Älteren eigentlich keine Chance auf eine bewährungsfähige Strafe gesehen. Da sei sie eher so von zweieinhalb Jahren ausgegangen. Aber eine Hauptverhandlung sei ja nun Mal dazu da, die Hintergründe einer Tat aufzuklären. Wenn die Verteidigung nicht das Strafurteil und das Zivilurteil gegen den Geschädigten vorgelegt hätte, hätte sie hiervon gar nichts gewusst. Und menschlich sei es allemal verständlich, dass bei der gegebenen Sachlage die Emotionen hochkochten, auch wenn die die Taten natürlich nicht rechtfertigen können.

Und natürlich seien bei dem älteren Bruder besondere Umstände zu sehen, welche die Strafaussetzung rechtfertigen. „Wann denn sonst, wenn nicht in diesem Fall?“, hielt sie dem Staatsanwalt entgegen. Und sie habe auch noch keinen Fall erlebt, in dem die Berufungskammer in Bielefeld bei vergleichbarer Sach- und Vorstrafenlage keine Strafaussetzung gewährt habe.

Jetzt müssen wir abwarten, ob das weise Urteil rechtskräftig wird. Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben noch keine Erklärungen abgegeben und wir demzufolge natürlich auch nicht. Mal sehen, ob da noch etwas kommt.

 

 


Kategorie: Strafblog
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