Das ist schon ein ziemlich starkes Stück, was ich da in einem vor dem Aachener Landgericht anhängigen Verfahren erlebe. Wie ich im strafblog schon mehrfach berichtet habe, war ich in einer Strafsache wegen 14 bewaffneter Raubüberfälle nach dem 22. Verhandlungstag mandatiert worden und hatte von der Beweisaufnahme nur noch mitbekommen, wie eine Beamtin des Landeskriminalamtes als Zeugin bekundete, dass es nach ihren Ermittlungen in Deutschland weder vor noch nach der Inhaftierung der Angeklagten vergleichbare Taten mit anderer Täterbeteiligung gegeben habe. Dann hatte der Staatsanwalt mehr als dreieinhalb Stunden lang plädiert und versucht, in einem reinen Indizienprozess akribisch nachzuweisen, dass die Taten nur von den beiden Angeklagten begangen worden sein können. Er hob dabei ganz wesentlich auch darauf ab, dass die Tatserie nach der Inhaftierung der Angeklagten abgerissen sei, und beantragte 13 Jahre Gesamtfreiheitsstrafe gegen die beiden Angeklagten. Aufgrund neuer Beweisanträge wurde danach wieder in die Beweisaufnahme eingetreten. Ich konnte zunächst nachweisen, dass es einen Tag vor der Festnahme meines Mandanten einen durchaus einschlägigen Fall gab, an dem dieser zweifelsfrei nicht teilgenommen hatte. Das hatte die Polizei einwandfrei ermittelt, was aber sonderbarer Weise bislang im Verfahren nicht zur Sprache gekommen war. Es konnte dann ein Fall aus November 2011 eruriert werden, der einen Überfall auf einen Supermarkt im bayerischen Bad Tölz betrifft, an dem nach den polizeilichen Ermittlungen ein Bruder des Mitangeklagten beteiligt gewesen soll, der sich deswegen inzwischen auch in Haft befindet. Auch bei diesem Überfall waren zwei voll maskierte und behandschuhte Täter mit Pistolen beteiligt, die das Personal beim Verlassen des Supermarktes in den Markt zurückdrängten und zum Öffnen des Safes zwangen. Mit einem mitgebrachten, am Stiel gekürzten Vorschlaghammer wurde dann – wie in allen angeklagten Fällen – der Innensafe aufgeschlagen und die Geldbeutel entwendet. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Angeklagten längst in Haft, so dass sie als Täter definitiv ausscheiden. Auf meinen Antrag hin wurde die fast 4.000 Seiten umfassende Akte aus Bayern beigezogen, und aus der ergab sich Erstaunliches. Da wurden nämlich noch zwei weitere außerordentlich einschlägige Taten erwähnt und mitsamt den polizeilichen Ermittlungen dokumentiert, die sich in Dortmund und Meschede abgespielt haben und an denen die beiden Angeklagten ebenfalls nicht beteiligt gewesen sein konnten. Die bayerische Polizei sprach insoweit von einer Tatserie. Und obwohl diese Fälle polizeibekannt waren, wurde in der später erhobenen Anklage die schlichtweg falsche Behauptung aufgestellt, die den Angeklagten zur Last gelegte Tatserie sei nach deren Inhaftierung abgerissen. Diese objektiv unzutreffende Behauptung wurde noch im Plädoyer der Staatsanwaltschaft – wider besseres Wissen? – fortgesetzt.
Am Donnerstag wurde der ermittlungsleitende Polizeibeamte aus Bayern als Zeuge gehört, der die oben widergegebenen Erkenntnisse bestätigte. Der Vorsitzende Richter schien nicht besonders amüsiert zu sein über das, was die Strafverfolgungsorgane dem Gericht verschwiegen haben. Er sei auch „sehr erstaunt“ gewesen, als er die Ermittlungsakte aus Bayern gelesen habe, sagte er sinngemäß. Ich denke, dass die Chancen meines Mandanten auf einen Freispruch inzwischen mächtig gestiegen sind. Wesentliche Glieder der Indizienkette der Staatsanwaltschaft sind inzwischen gerissen. Es spricht aus meiner Sicht sehr viel dafür, dass mein Mandant an allen oder zumindest an einem Großteil der angeklagten Taten nicht beteiligt war. Da gibt es zum Teil abweichende Täterbeschreibungen, die der Staatsanwalt in seinem Plädoyer mit Wahrnehmungsfehlern bei den Zeugen zu erklären versucht hat, da wurden abweichende Sprachgewohnheiten und andere ausländische Dialekte erwähnt, und da gibt es auch im Detail etliche Abweichungen im Tatablauf, die darauf hindeuten, dass die angeklagten Taten mit wechselnden Tatbeteiligten begangen wurden. In keinem einzigen Fall gibt es nach meiner Einschätzung einen ausreichend validen Beweis dafür, dass mein die Taten bestreitender Mandant beteiligt war.
Ich frage mich, wie es sein kann, dass die Strafverfolgungsbehörden ihren gesetzlichen Auftrag, auch zugunsten eines Beschuldigten zu ermitteln und die betreffenden Erkenntnisse in das Ermittlungsergebnis einfließen zu lassen, derart vernachlässigen können. Es fällt mir im vorliegenden Fall schwer zu glauben, dass da ohne bösen Willen nur etwas übersehen worden ist, zumal die beteiligten Polizeidienststellen sich untereinander umfassend informieren konnten. Bei Gericht wurden diese Informationen dann schlichtweg unterschlagen. Schlimm!!!
Wir werden darüber nachzudenken haben, welche weiteren Schlussfolgerungen gezogen werden müssen.
Kategorie: Strafblog
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