So kann es gewesen sein. Eine erfundene, wahre Geschichte über einen versuchten Mord.



Veröffentlicht am 17. Februar 2012 von

I.

Es muss zwei Wochen nach seiner letzten Chemotherapie gewesen sein, und jetzt wollte er nicht länger warten. Mit zittrigen Händen drückte er den Fahrstuhlknopf, ruckelte mit dem Aufzug runter in die Tiefgarage des Mietblocks. Er startete seinen rostigen Ford und fuhr zur Bank, um Geld abzuholen. 10.000 € steckte er in die Tasche seines abgetragenen grauen Mantels, weil er sie gleich brauchen würde. Die restlichen 5. 000 € versuchte er in die verdammte Innentasche zu stecken. Die junge, neue Kassiererin, wahrscheinlich ein Lehrmädchen, beobachtete wie seine Hand immer wütender die kleine Öffnung im inneren des Mantels suchte. Seine Achseln wurden feucht, Schweiß rann ihm den Nacken runter. Jetzt konnte es die Kassiererin nicht mehr aushalten. Sie schaute zum Schreibtisch des Filialleiters. Er war weg. Wahrscheinlich zur Mittagspause, hoffte sie. Gegen die Sicherheitsanweisungen kam sie hinter dem dicken Panzerglas hervor, verharrte einen Anstandsmoment vor Friedrich Genz, bis er ihren Blick aufnahm. Mit spitzen Fingern nahm sie das Bündel Geldscheine entgegen und steckte es blitzschnell und beherzt in seine Innentasche.  Sofort trat sie einen Schritt zurück und lächelte ihn unsicher an. „Darf ich Ihnen die Türe aufhalten?“ Genz grummelte ein „Danke“ und verließ die Bank.

Er hievte sich in sein altes, treues Gefährt, drückte die Kassette mit Mahlers 9. Symphonie rein und spürte wie sich mit den ersten Takten der andante comodo seine Atmung beruhigte.

„Wenn er mich wieder vertrösten will, polier ich ihm die Fresse!“, schoss es ihm durch den Kopf und sofort musste er über seine Gedanken schmunzeln. In den letzten Wochen hatte er nicht einmal die Kraft, den Müll runter zu bringen und dementsprechend roch es in seiner verrumpelten Bude.

II.

Ali Seyirt hatte nicht nur damit gerechnet. Er wusste, dass es so kommen musste und dennoch hatte ihn der Telefonanruf beunruhigt. Er würde alles verlieren. Seinen Job, sein Ansehen. Wegen beschissener 9.000 € Anzahlung. Verdammt, warum fiel ihm keine Lösung ein.

Und trotzdem, niemand hatte etwas bemerkt. Morgens verabschiedete er seine zwei kleinen schwarzhaarigen Mädchen mit einem Kuss in den Kindergarten, streichelte seiner Frau über den schwangeren Bauch, gab auch ihr einen Kuss und fuhr wie immer ins Autohaus.

Mit Schlips, Vertreteranzug und geputzter Designerbrille, smart und eloquent, verabschiedete er die neuen glücklichen Besitzer eines Audi Sportback mit einem kräftigen Händedruck. Wieder das Telefon. Anstatt abzuheben, öffnete er das Fenster seines Büros und zündete sich die wievielte Zigarette des Morgens an? Etwas würde passieren.

III.

Vier Monate später, frühmorgens im immer noch frostigen Februar am Autobahnkreuz Köln, ärgerte sich der Bauarbeiter Houssni über seinen Chef. Glaubte er ernsthaft, sie könnten mit diesem Minibagger den harten, gefrorenen Boden aufreißen oder war das eine reine Schikane? Seine Männer standen um den Bagger herum, schimpften und wärmten sich an den mitgebrachten Thermotassen mit heißem Kaffee die Hände. Was für ein Schwachsinn. Hier ging gar nichts.

Nach der vierten Tasse Kaffee musste Houssni dringend pinkeln und anders als seine deutschen Kollegen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, an Ort und Stelle seinen Schwanz aus der Winterbekleidung, seiner Thermohose, Skiunterhose und warmen Unterhose auszupacken und vor den Reifen des Baggers zu urinieren. Sollten sie sich doch lustig machen. Er ging außer Sichtweite ins Gebüsch, vielleicht 50 Meter weit, bis das Grölen und Lamentieren seiner Kollegen annehmbar leise wurde und er ungestört seiner Notdurft nachgehen konnte. Im Dampf seiner Pisse schaute er ins vom Frost erstarrte Gestrüpp. Vielleicht dachte er dabei an seine Frau, die nun seit 9 Monaten auf  ihr Visum zur Einreise nach Deutschland wartete. Wie hartherzig waren doch diese deutschen Behörden, ach was, die Technokraten überall auf der Welt. Im aufkommenden Nebel meinte er etwas zu sehen, als winke ihm aus der Ferne ein aus dem Boden ragender Ast freundlich zu. Er fokussierte und tatsächlich – eine Hand ragte aus dem gefroren Boden.

Fortsetzung folgt.


Kategorie: Strafblog
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