Spannende Live-Übertragung der Urteilsbegründung im Fall Pistorius: Es wird wohl keinen Schuldspruch wegen Mordes geben



Veröffentlicht am 11. September 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Andere Länder, andere Sitten: Seit Monaten läuft in Südafrika der Mordprozess gegen den beidseitig unterschenkelamputierten Paralympics-Star Oscar Pistorius, dem zur Last gelegt wird, seine damalige Freundin Reeva Steenkamp vorsätzlich erschossen zu haben. In dem live im südafrikanischen Fernsehen übertragenen Verfahren hat Pistorius sich damit verteidigt, er sei davon ausgegangen, dass sich ein Einbrecher in seiner Wohnung befunden habe. Er habe Geräusche gehört und sei mit einer Pistole in Richtung der Toilette, aus der die Geräusche zu hören waren, gerobbt und habe in Panik durch die geschlossene Tür geschossen. Dabei habe er nicht bemerkt gehabt, dass seine Freundin das gemeinsame Bett verlassen hatte und zur Toilette gegangen war.

Die Emotionen kochten hoch im Verfahren, die Staatsanwaltschaft bot eine Menge Zeugen auf, die ihre Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts nach vorangegangenem Streit belegen sollten. Ankläger und Verteidigung schenkten sich nichts im Gerichtssaal und vor den Fernsehkameras, wechselseitige Vorwürfe und Diffamierungen waren zu hören, die Öffentlichkeit ist in ihrer Einschätzung gespalten. Es ist viel über das Spektakel berichtet worden, ich erspare mir hier Einzelheiten.

Derzeit verkündet die angesehene Richterin Thokozile Masipa den Schuldspruch. Ihre Beweiswürdigung wird live im Fernsehen übertragen und kann auch bei uns im Internet verfolgt werden. Es ist spannend, denn anders als bei uns werden Schuldspruch und Strafmaß nicht zu Beginn der Urteilsverkündung mitgeteilt, sondern zunächst folgt die Beweiswürdigung, die jetzt schon mehrere Stunden andauert. Es lohnt, einen Blick in die Live-Übertragung zu werfen. Eine sehr konzentriert wirkende Richterin verliest ihre intensiv vorbereiteten Argumente in hervorragend zu verstehendem Englisch, auch bei uns gängige Rechtsbegriffe  wie „error in objecto“, „error in persona“ und „aberratio ictus“ sind zu hören, Zeugenaussagen werden seziert und gegeneinander abgewogen, die Psychologie spielt eine große Rolle. Die Richterin hat einen akribischen Timetable über den Ablauf der Tatnacht entworfen und scheint sich dabei recht weitgehend den Argumenten der Verteidigung angenähert zu haben. Bei aller Krititk am Aussageverhalten des Angeklagten hat es doch den Anschein, als ob es allenfalls zu einem abgeschwächten Schuldspruch oder vielleicht sogar zu einem Freispruch kommen wird. Ein etwaiges Strafmaß wird ohnehin nicht heute, sondern in einem späteren Termin mitgeteilt werden.

Bei focus.de kann der bisherige Gang der Beweiswürdigung in einem Live-Ticker in deutscher Sprache nachverfolgt werden.

Soeben wurde die Sitzung für eine Mittagspause unterbrochen. Wir werden erst im Laufe des Nachmittags erfahren, zu welchem Ergebnis das Gericht gelangt ist.  Die Staatsanwaltschaft wird wohl eine recht weitgehende Niederlage erleiden.

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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