Tod mit Ankündigung – Exekution eines geistig verwirrten Mannes auf dem New Yorker Times Square



Veröffentlicht am 14. August 2012 von

„Die werden dich erschießen, Bruder“, schreit ein Passant dem 51-jährigen Darrius Kennedy zu, der mit einem Messer in der Hand vor mehreren Polizisten mit gezogenen Waffen zurückweicht. Zuvor soll er soll dem geistig verwirrten Mann zugerufen haben, er solle sich lieber auf den Boden legen. Kennedy folgt dem Rat nicht. Vielleicht ist aufgrund seines Zustandes nicht in der Lage, die Zurufe überhaupt aufzunehmen. Versuche der Polizei, ihn mit Pfefferspray außer Gefecht zu setzen, bleiben erfolglos. Der Mann reagiert auf das Teufelszeug überhaupt nicht. Vor den Augen zahlreicher Menschen, von denen einige ihr Handy gezückt haben und die Situation filmen,  gehen zwei Polizisten des legendären New York Police Departemant (NYPD) auf den schwarzen Mann mit der dunklen Sonnenbrille zu. Dann fallen 12 Schüsse.  Mindestens sieben Kugeln treffen K. in die Brust, die Leiste, in den linken Arm und die linke Wade. Er stirbt wenig später im Krankenhaus.

Die Polizisten hätten angemessen reagiert, meint der New Yorker Polizeichef Raymond Kelly. Und New Yorks Bürgermeister Bloomberg springt ihm bei. Der Mann sei vermutlich geistig verwirrt gewesen, meint er erklärend. Wer gehe sonst schon mit einem Messer auf Polizisten zu. Die Abgabe einer Salve von Schüssen entspreche polizeilicher Praxis, wird ein Polizeisprecher zitiert. Die Polizei ziele in Notwehrsituationen nicht auf Gliedmaßen, sondern auf den Körper, heißt es anderswo. Und Darrius Kennedy soll plötzlich mit gezücktem Messer auf die Polizisten zugelaufen sein, nachdem er 10 Häuserblocks weit von diesen verfolgt worden war. Bei youtube kursieren etliche Handy-Videos von dem Vorfall. Da sieht man, wie Polizisten mit vorgehaltener Waffe auf den Mann zugehen, der zurückweicht. Deutlich hört man die Schüsse und aufgeregte Rufe. Das eigentliche Tatgeschehen ist nicht zu sehen. Die Polizei soll allerdings zahlreiche Handys konfisziert haben. Von dem Messer, das Kennedy in der Hand hatte, gibt es Fotos. Es ist ca. 30 Zentimeter lang, davon entfallen 15 Zentimeter auf die Klinge.

Anlass der polizeilichen Maßnahme war, dass Kennedy sich auf offener Straße einen Joint angesteckt hatte. Hierbei war der polizeibekannte Mann von Polizisten beobachtet worden. Kennedy war im Oktober 2008 einmal von der Polizei aufgegriffen worden, weil er am Times Square Mülleimer umgeworfen hatte. Damals wurde er zur psychiatrischen Untersuchung ins Bellevue Hospital im Südosten von Manhattan eingewiesen. Einen Monat später ging er auf der Höhe der 66. Straße auf der Mitte der Fahrbahn den Broadway entlang und schleuderte den Autos Flüche entgegen. Als die Polizei ihn verhaften wollte, bedrohte er sie mit einem Schraubenzieher. „Ich mache euch kaputt“, sagte er. „I’m going to fuck you up.“ Diese Episode trug ihm 40 Tage im Gefängnis ein. Ansonsten wird er von seiner Familie und von Bekannten als ein freundlicher, sanfter Mann beschrieben, der in seiner Kirchengemeinde in dem Dörfchen Hempstead auf Long Island die Bassgitarre spielte. Jetzt ist er tot. Die am Einsatz beteiligten Polizisten sollen erstmals von der Waffe Gebrauch gemacht haben. Bis zur Klärung der Vorwürfe sind sie in den Innendienst versetzt worden. Das ist die übliche Vorgehensweise.

„Man braucht keine zwölf Kugeln, um einen Menschen zu töten“, wird Kennedys Tante zitiert, „ich denke, es hätte anders geregelt werden können.“ Und seine Cousine sagt: „Ich denke, sie hätten einen Warnschuss abfeuern können, vielleicht einen Schuss in den Arm oder ins Bein.“

Ich habe in Deutschland mehrfach mit Polizeibeamten zu tun gehabt, die geschossen haben. Auch als Verteidiger. Für die Beamten war der Schusswaffeneinsatz nach eigenem Bekunden schrecklich. Manche waren danach traumatisiert, einige wussten nicht mehr, wie es zu den Schüssen gekommen ist und wie oft sie geschossen haben. Mehr als drei Schüsse waren es allerdings nie. Der reale Schusswaffeneinsatz ist mit noch so intensivem Training nicht zu vergleichen. Eine konkrete Bedrohungssituation setzt körperliche und psychische Prozesse in Gang, die kaum trainierbar sind. Im vorliegenden Fall scheint es allerdings so, als hätte die Polizei mit ihrer personellen Übermacht die Situation ziemlich unter Kontrolle gehabt. Minutenlang hatten sie Darrius Kennedy beabachtet. Der Messerangriff, wenn er denn überhaupt stattgefunden hat, kann nicht völlig überraschend gekommen sein. Einen Warnschuss hat es nicht gegeben.  Warum auf den Körper und nicht auf die Beine gezielt wurde, erschließt sich mir nicht. Ein Polizist soll allein neun Schüsse abgegeben haben, der andere drei. 5 Schüsse haben das Ziel verfehlt, da ist es fast schon verwunderlich, dass kein Passant getroffen wurde. Es verwundert, wie schnell der Polizeichef und der Bürgermeister die Beamten exkulpieren. Vielleicht hätten doch besser die Ermittlungen abgewartet werden sollen. Vielleicht geben ja auch die Videos auf den konfiszierten Handys Aufschluss. Falls diese nicht unerwartet verschwinden oder unbrauchbar sind …

 

 


Kategorie: Strafblog
Permalink: Tod mit Ankündigung – Exekution eines geistig verwirrten Mannes auf dem New Yorker Times Square
Schlagworte: