Von Löwen, Prinzessinnen und Terroristen: Staatsschutzverfahren vor dem Frankfurter OLG



Veröffentlicht am 29. Februar 2012 von

Sikh vor dem Goldenen Tempel von Amritsar, Foto: Paulrudd

Wissen Sie eigentlich, dass alle männlichen Angehörigen der überwiegend in Nordindien und Pakistan beheimateten Religionsgemeinschaft der Sikhs mit Nachnamen „Singh“ , auf Deutsch: Löwe, heißen? Und alle Frauen Kaur, auf Deutsch: Prinzessin? Fünf dieser Löwen stehen seit etlichen Verhandlungstagen in einem von der Öffentlichkeit kaum beachteten Staatsschutzverfahren vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Das heißt, eigentlich stehen sie nicht, sondern sitzen mit ihren langen Bärten und bunten Turbanen zwischen ihren Verteidigern. Nur mein Mandant, auch ein Singh, trägt weder Bart noch Turban, er ist nicht ganz  so strenggläubig und das macht ihn irgendwie sympathisch, finde ich.

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verstöße gegen das Waffengesetz, Verabredung zum Mord und anderes wird den Männern vorgeworfen. 3 von Ihnen befinden sich inzwischen auf freiem Fuß, 2 werden an jedem Verhandlungstag vom Gefängnis zum Gericht transportiert.

Weil sowohl die Kollegin Nagel als auch ich am heutigen Verhandlungstag wegen kollidierender Termine verhindert sind, wird der bei uns tätige Rechtsanwalt Menke einspringen und unseren Löwen verteidigen.  Auf  dem Programm steht mal wieder das leidige Abhören von TÜs, im Fachjargon auch TKÜs genannt. Was das ist? TKÜ heißt Telekommunikationsüberwachung, und damit sind aufgrund richterlichen Beschlusses abgehörte Telefonate gemeint. Die spielen im Frankfurter Verfahren eine bedeutende Rolle, und deshalb gibt es Meinungsverschiedenheiten über Inhalt und Bedeutung der Telefonate. Diese sind auf Punjabi geführt worden, der Sprache aller aus dem Punjab stammenden Sikhs. Und weil das Gericht, die Bundesanwaltschaft als Anklagevertreterin und auch die Verteidigung – abgesehen von einem aus Pakistan stammenden Kollegen – nicht des Punjabi mächtig sind und das Gerichtsverfassungsgesetz ohnehin Deutsch als Gerichtssprache vorschreibt, müssen alle Telefonate ins Deutsche  übersetzt  werden. Schon im Ermittlungsverfahren gab es wiederholt Auseinandersetzungen darüber, ob die Telefonate richtig übersetzt worden sind, und dieser Disput setzt sich in der Hauptverhandlung fort. Inzwischen liegt eine Zweitübersetzung vor und ein vom Gericht bestellter Sprachsachverständiger soll klären, welche Übersetzung denn nun richtig ist. Das Problem dabei ist, dass der Sachverständige aus Pakistan stammt und dort wird ein anderes Punjabi gesprochen als im indischen Punjab. Da wird dann immer wieder mal fleißig darüber gestritten, ob der Sachverständige überhaupt den erforderlichen Sachverstand hat. Manchmal ist auch die Tonqualität der Telefonate schlecht, so dass die Phonetik zum Thema wird. Und dann kommt noch hinzu, dass der Sachverständige bisweilen meint, er müsse über die bloße Wortlautübersetzung hinaus Gesprächsinhalte interpretieren, was nach Auffassung der Verteidiger aber gerade nicht seine Aufgabe ist. Hierbei geht  es nicht um die Frage, ob einzelne Sätze sinnwahrend übersetzt worden sind, sondern ob es Aufgabe des Sachverständigen ist, vermeintliche Codewörter zu interpretieren. Wir kennen das aus Betäubungsmittel-Verfahren. Da werden Drogen wie Marihuana oder Kokain am Telefon schon mal als „Pizza“, „Jeans“, „CD“ oder „Autoreifen“ bezeichnet, der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Ein Dolmetscher oder Sprachsachverständiger hat nicht die Aufgabe zu interpretieren, was mit diesen Begriffen gemeint sein kann,  das ist eine Frage der Beweiswürdigung, für ihn muss eine Pizza eine Pizza bleiben. Unsere Löwen sollen nach Auffassung der Anklage am Telefon Codewörter für Begriffe wie „Waffe“, „Munition“ oder „Pässe“ verwendet haben, und unter anderem hierum geht es in dem Verfahren. Mühselig ist der Kampf ums gesprochene Wort, seit mehreren Verhandlungstagen wird darum gerungen. Ich bin froh, dass ich heute anderweitig verteidigen darf.


Kategorie: Strafblog
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