War das eine gute Zeugin? Ich denke, schon…



Veröffentlicht am 21. Juli 2014 von

Rainer1Was ist eigentlich eine gute Zeugin bzw. ein guter Zeuge? Klar, das ist jemand, der ein Tatgeschehen präzise erinnert und dies auch wiedergeben kann, der die Täter nach Aussehen, Kleidung, Stimme und Bewegungsablauf beschreiben und diese dann auch im Rahmen ordnungsgemäßer Wahllichtbildvorlagen wiedererkennen kann, und der keine Zweifel an seiner Objektivität zulässt.

Solche Zeugen gibt es allerdings nur ziemlich selten. Menschen sind in ihren Wahrnehmung und Erinnerungen fehlbar, sie tun sich nicht selten schwer, Entfernungen oder Zeitspannen auch nur ansatzweise wirklichkeitsnah einzuschätzen, sie deuten Ähnlichkeiten in sicheres Erkennen um, sie assoziieren tatsächlich Gesehenes mit früher Erlebtem, sie vermischen eigene Wahrnehmungen mit Gehörtem, Gelesenem, Geträumtem, oder sie schlussfolgern, wie es eigentlich gewesen sein müsste und geben diese Schlussfolgerung dann als eigene Erinnerung wieder.

Über so einen Zeugen habe ich vor wenigen Tagen anlässlich eines Kölner Schwurgerichtsverfahrens, in dem das Tatopfer mutmaßlich einer Personenverwechslung zum Opfer fiel, im strafblog geschrieben.

Im selben Verfahren haben wir am vergangenen Freitag eine frühere Sonderschullehrerin als Zeugin gehört, die das Tatgeschehen oder zumindest Teile davon beobachtet haben will. Die Endvierzigerin hat – jedenfalls nach meiner Wahrnehmung – sehr präzise danach unterschieden, was sie wirklich erinnert und wo sie sich nicht (mehr) sicher war.

Sie „meine“, außer dem Opfer insgesamt vier Personen gesehen zu haben, hat sie gleich zu Beginn ihrer Vernehmung bekundet, aber sie sei sich insoweit nicht sicher, weil sie diese Zahl in der Presse gelesen habe und nicht mehr auseinanderhalten könne, was sie gesehen und was sie gelesen habe. Von ihrem Standort auf dem Balkon habe sie Menschen weglaufen sehen, es könnten ein oder zwei Personen gewesen sein. Sie habe deren Bewegung hinter einem Baum wahrgenommen, der teilweise die Sicht verdeckte, sie habe wohl noch Füße gesehen, mehr wisse sie dazu nicht. „Ich sah oder ahnte, dass da Personen wegliefen“, hat sie im Rahmen der Befragung später noch dazu gesagt.

Ganz sicher habe sie eine Person gesehen, die mit einem Gegenstand von oben auf das Opfer einschlug, ob eine dritte Person dabei war, könne sie nicht ganz sicher sagen. Sie habe den Gegenstand aufgrund eines Klirrens, das sie zuvor vernommen hatte, für eine Flasche gehalten, heute wisse sie, dass es sich wohl um ein Metallrohr gehandelt haben soll. Als ich der Zeugin vorgehalten habe, dass ein Metallrohr, mit dem jemand auf den Kopf geschlagen wird, nicht klirrt und sich anders anhört als eine Flasche, die zersplittert, hat sie das sofort konzediert. Sie könne nicht mehr sicher sagen, wann sie das Klirren gehört habe, dass sei vielleicht auch schon vor ihrer Beobachtung gewesen. Nein, ein umfallendes Fahrrad sei das nicht gewesen, das höre sich anders an.

Der Zeugin sind ihre polizeilichen Aussagen vorgehalten worden. Ja, damals habe sie – wie heute auch –  die Wahrheit gesagt und sich sicher noch besser erinnern können. Aber auch damals hat sie ihre Beobachtungen schon relativiert. Sie wusste nicht sicher zu sagen, ob das Opfer noch stand oder bereits am Boden lag, als sie den ersten Schlag gesehen hat. Es könne sein, dass sie das Tatgeschehen für ein paar Sekunden aus den Augen verloren hat, weil sie ja das Telefon holen musste, um die Polizei anzurufen. Dass die Täter jung seien, habe sie nur aus dem relativ schnellen Bewegungsablauf geschlossen. Sie könne niemanden wiedererkennen.

Ich finde, die Zeugin hat vorbildlich ausgesagt. Sie hat der Versuchung widerstanden, auf Teufel komm raus eine in sich geschlossene Darstellung des Geschehensablaufs zu konstruieren. Wobei Zeugen das nach meiner Überzeugung oftmals gar nicht merken, sondern auf autosuggestive Weise bzw.  aufgrund eigener – bisweilen unbewusster – Tathergangshypothesen („So müsste das gewesen sein“) ihre Wahrnehmungen zu einem Bild zusammenfügen, welches sie so überhaupt nicht gesehen haben.

Die Zeugin hat nach meinem Eindruck allen Verfahrensbeteiligten mit ihrer Art, sich um die Wahrheit zu bemühen und wirklich nur das, was sie sicher erinnert, als Tatsache wiederzugeben, imponiert. Sie hat sich nicht wichtig genommen und ihre Rolle im Verfahren vorbildlich interpretiert. Die Wahrheitsfindung ist bekanntlich Sache des Gerichts, nicht des Zeugen. Diese Aufgabe ist schwer genug, weil das Gericht ja selbst nicht bei der Tat dabei war und deshalb auf von anderen erhobenen Beweismittel, auf Indizien, Zeugenaussagen und bisweilen auf Gutachten angewiesen ist. Wenn ein Zeuge im Brustton der Überzeugung Geschehnisse in sein Wissen stellt, die er nur geschlussfolgert hat, ohne dies offenzulegen, dann ist die Gefahr von Fehlurteilen ziemlich groß.

Nicht immer habe ich den Eindruck, dass die Gerichte sich der Subjektivität und Fehlerbehaftung von Aussagen bewusst sind. Als Verteidiger haben wir in solchen Fällen die Aufgabe, das herauszuarbeiten. Manchmal gelingt das, in anderen Fällen nicht. Dann hören wir später, dass zur sicheren Überzeugung des Gerichts ein Sachverhalt feststeht, den wir bestenfalls für spekulativ halten. Potenzielle Fehlerquellen gibt es viele im Strafprozess, nicht nur Zeugen, sondern auch Richter und Staatsanwälte und sogar wir Verteidiger gehören dazu.

Wir werden später wissen, wie das Gericht die Aussage der Zeugin vom vergangenen Freitag gewertet hat. Die Beweisaufnahme wird erst mal mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt.

 

 

 


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