Gestern hatte ich einen gerichtsfreien Tag. Eigentlich jedenfalls. Aber dann ereilte mich ein Anruf, ob ich ganz dringend einen Hauptverhandlungstermin in einer Betäubungsmittelsache für einen Kollegen wahrnehmen könnte, der eine Terminkollision übersehen bzw. nicht im Kalender eingetragen hatte. Der Mandant sei umfassend geständig, das sei eine leichte Nummer für mich, wurde mir lapidar mitgeteilt.
Also bin ich rübergetapert zum Amtsgericht, das nur 100 Meter von unserer Kanzlei entfernt liegt. Zuvor hatte ich einen kurzen Blick in die Anklageschrift geworfen, die es durchaus in sich hatte. Unerlaubtes Handeltreiben mit und unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehr als 40 Fällen. Konkret ging es um Einfuhrmengen zwischen knapp 10 und 30 Gramm Heroin, einmal um bloßes Handeltreiben mit rund 40 Gramm. Die Qualität des Rauschgifts war nach Aktenlage gleichbleibend gut, so etwa 30 Prozent Wirkstoffgehalt, also jeweils zwischen knapp 3 und 12 Gramm Heroinhydrochlorid. Die nicht geringe Menge beginnt bei 1,5 Gramm, der Regelstrafrahmen für die Einfuhr liegt zwischen 2 Jahren und 15 Jahren. Pro Fall, wohlgemerkt.
Mehr als 20 Vorstrafen standen im Strafregister, die angeklagten Taten waren während des Laufes einer Bewährung begangen worden und vor 3 Monaten hatte der seit zwei Jahrzehnten drogenabhängige Angeklagte noch eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten kassiert, die noch nicht rechtskräftig war. Eijeijei…
Ich habe mich dem Angeklagten kurz vorgestellt und ihm die Situation erläutert. Er war damit einverstanden, dass ich die Verteidigung in der Hauptverhandlung übernehme.
Für den Mittdreißiger sprach neben seiner Drogenabhängigkeit, die eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründen konnte, insbesondere seine umfangreiche geständige Einlassung, in der er über den eigenen Tatbeitrag hinaus Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht hatte. Das ließ hoffen, dass die Kronzeugenregelung des § 31 BtmG zur Anwendung kommen würde, die neben der verminderten Schuldfähigkeit zu einer weiteren Strafrahmenverschiebung führen konnte.
Wir haben anlässlich der Hauptverhandlung ein Rechtsgespräch mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft geführt und uns schließlich auf eine Verfahrensabsprache geeinigt. Ein Teil der angeklagten Taten wurde im Hinblick auf frühere Verurteilungen, mit denen sie gesamtstrafenfähig gewesen wären, eingestellt, wegen des verbleibenden Restes wurde ein Strafe zwischen 2 Jahren und 5 Monaten und zwei Jahren und 10 Monaten in Aussicht gestellt. Letztlich wurde der seit ein paar Wochen in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte zu 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Das eröffnet ihm die Möglichkeit, nach Ablauf eines guten halben Jahres in Therapie zu gehen und einen erneuten Anlauf zu nehmen, seine Drogenabhängigkeit in den Griff zu bekommen. Ob er das schafft, wird man sehen. Bisweilen geht der Sieg über viele Niederlagen, manchmal klappt´s auch nie. Drogenabhängigkeit ist eine tragische Angelegenheit.
Nach der gut zweistündigen Hauptverhandlung bin ich noch kurz in der Gerichtkantine gegangen und traute meinen Augen nicht. Seit mehr als 30 Jahren kenne ich das kärgliche Ambiente des Raumes, das sich in dieser Zeit nie wesentlich geändert hat.
Aber jetzt: Auf de Tischen lagen rote Deckchen, auf denen jeweils eine frische Blüte in einem dekorativen Glaszylinder steckte. An der der Fensterseite abgewandten Seite hingen bunte Bilder mit kulinarischen Motiven, und in der Selbstbedienungsvitrine vor der eigentlichen Theke entdeckte ich Schälchen mit appetitlich angerichteten Salaten mit frischen Kräutern und andere nett angemachte Appetitanreger. Als Tagesgerichte wurden auf der Speisekarte Poulardenbrustfilet auf Blattspinat mit Pestorahm und Petersilienkartoffeln zu 4, 50 Euro, mit Gemüsecouscous gefüllte Zucchini an Currysoße für 3 Euro sowie eine Spätzlepfanne mit frischen Pilzen in Rahm für 2 Euro angeboten. Das, was ich auf den Tellern des anwesenden Publikums sehen konnte, sah richtig ordentlich aus.
Ich habe mir einen Tomaten-Mozarella-Salat mit Rucola, Basilikum und Balsamico-Dressing gegönnt, begleitet von einer schmackhaften Gemüsepastete und als Nachtisch ein Erdbeer-Tiramisu, alles zusammen für 3 Euro fünfzig. Fast bekam ich ein schlechtes Gewissen gegenüber dem unverhofften Mandanten, der in der JVA sicher keine gleichwertige Mahlzeit bekommen würde. „Das macht der neue Pächter“, sagte mir ein zufrieden dreinblickender Justizwachtmeister, „es waren ja nur ein paar Kleinigkeiten nötig, um hier mal frischen Wind reinzubringen!“
Recht hat der Mann, finde ich, in den letzten Jahren habe ich nur noch selten und dann eher widerwillig in der Gerichtskantine gegessen, wenn keine Zeit war, anderswo hinzugehen und wenn der Hunger seinen Tribut forderte. Jetzt ist – so scheint es – tatsächlich auf meine alten Anwaltstage so etwas wie Esskultur ins Mönchengladbacher Gericht eingezogen. Da geht man dann ja fast gerne hin…
Kategorie: Strafblog
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vor: Dank von (fast) allen Seiten im Kölner Landgericht
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