Warum soll man Vernehmungen auf Tonträger aufnehmen, wenn man sich doch später so prima darüber streiten kann, was gesagt worden ist? Ein Pirat will lieber im Knast bleiben



Veröffentlicht am 12. Juli 2012 von

Strafjustizgebäude des Hamburger Landgerichts

Heute fand der 94. Verhandlungstag im Hamburger Piratenprozess statt, also habe ich mich gestern Abend mal wieder auf den weiten Weg in die Hansestadt gemacht, um den absehbar kurzen Termin zu absolvieren. Die Vernehmung eines Beamten des Bundeskriminalamtes stand auf dem Programm, der sich im Wesentlichen zum Inhalt eines Gesprächs mit einem Journalisten äußern sollte, der zu den Hintergründen der Piraterie am Horn von Afrika recherchiert und in der Hauptverhandlung bereits mehrfach als Zeuge gehört wurde. Unter anderem hatte der Journalist in Indien zwei von einem Verteidiger benannte Zeugen interviewt, die zur Besatzung der Dhau gehört haben sollen, die als Mutterschiff bei der Kaperung des deutschen Frachters MS Taipan im April 2010 eingesetzt wurde. Die Vernehmung des BKA-Beamten war aus Sicht der Kammer erforderlich geworden, weil der Journalist einige ihm vom BKA zugeschriebene Äußerungen über den Inhalt des Interviews dementiert hatte. So soll der Journalist den BKA-Beamten gesagt haben, die Inder hätten angegeben, sie seien von den Somaliern „gequält“ worden und daran sei auch der angeklagte Jugendliche – also mein Mandant – beteiligt gewesen.

Der Journalist hatte energisch bestritten, dass ihm von „Quälereien“ berichtet worden sei, das habe er gegenüber dem BKA auch nie gesagt. Er habe lediglich auf eine allgemeine Drucksituation hingewiesen, die ihm berichtet worden sei. Auch sei nie über die Rolle des in Deutschland als Jugendlicher angesehenen Piraten gesprochen worden.

Ein anderer BKA-Beamter hatte tendenziell darauf bestanden, dass der Journalist sich entsprechend seinem Vermerk geäußert habe. Mich erstaunt das sehr, zumal wir inzwischen das von dem Journalisten in Bild und Ton aufgenommene Interview mit Hilfe eines Sprachsachverständigen in Augen- und Ohrenschein genommen haben, ohne dass sich dort entsprechende Äußerungen feststellen ließen.

Der heute als Zeuge vernommene Kriminalbeamte wollte sich nicht festlegen, was der Journalist denn nun genau gesagt habe. Da sei wohl auch mal die Sprache auf den Jugendlichen gekommen, den Zusammenhang wisse er nicht mehr genau. Und ob von „Quälerei“ gesprochen worden sei, wisse er auch nicht mehr, sinngemäß könne das schon so gewesen sein, wenn das in dem Vermerk stehe.

Unterschiedliche Angaben hatten der Journalist und der früher vernommene BKA-Beamte auch zu der Frage gemacht, ob der Name eines bestimmten Angeklagten in dem Gespräch genannt worden ist. Der Journalist hatte das entschieden dementiert, der BKA-Beamte hatte ebenso entschieden insistiert, dass der Journalist den Namen genannt hatte, sonst hätte er den nicht in seinen Vermerk aufgenommen.

Der heutige Zeuge hatte nur noch grobe Erinnerungen. Da sei ein Name genannt worden, welcher, das könne er heute nicht mehr sagen. Er habe aber damals, als er den Vermerk gelesen hatte, nicht das Bedürfnis gehabt, irgendetwas zu korrigieren. Er könne sich nicht vorstellen, dass da ein falscher Name in den Vermerk gelangt sei.

Alle Klarheiten beseitigt, könnte man nach dieser Vernehmung sagen. Ich entdecke kein Motiv, aus dem heraus der Journalist gelogen haben sollte. Der Mann hat ganz freiwillig ausgesagt, er hätte sich auf sein journalistisches Schweigerecht berufen können. Er steht, soweit ich das nachvollziehen kann, in keinem persönlichen Verhältnis zu einem der Angeklagten und will niemanden schützen oder bevorteilen. Ich glaube auch nicht, dass die BKA-Beamten den Journalisten vorsätzlich zu Unrecht der Lüge bezichtigen wollen. Vielleicht waren sie aber durch andere Informationen vorgeprägt und haben Namensähnlichkeiten verwechselt und andere Äußerungen bei der Niederschrift des Vermerks aus der Erinnerung in falsche Zusammenhänge gestellt.

Ich habe den BKA-Beamten heute gefragt, warum solche Gespräche oder Vernehmungen, die doch wichtig sind, nicht auf Band aufgezeichnet werden. „Gute Frage!“, lautete die Antwort. „Haben Sie denn auch eine gute Antwort auf meine gute Frage?“, hakte ich nach. „Vielleicht machen wir das beim nächsten Mal“, sagte der Mann. Der Vermerk über das Gespräch mit dem Journalisten sei zeitnah gefertigt worden, so innerhalb von 1 oder 2 Tagen. Auch der Begriff „zeitnah“ ist relativ. Ich weiß aus Erfahrung, dass innerhalb der genannten Zeitspanne Erinnerungen verschwimmen können.

Vielleicht, vielleicht…. Seit fast 30 Jahren habe ich diese Frage immer wieder an Vernehmungsbeamte, Richter, Staatsanwälte gerichtet, geändert hat sich bis heute fast nichts. Macht ja auch viel mehr Spaß, sich im Nachhinein darüber zu streiten, was denn tatsächlich gesagt worden ist. Wobei die Erfahrung lehrt, dass Zweifel durchaus nicht immer zu Gunsten der Angeklagten ausgelegt werden.

Nach der Bescheidung eines noch offenen Antrages eines der Angeklagten war das Programm der Kammer um 11 Uhr beendet. Tatsächlich dauerte die Sitzung dann noch etwas länger, weil die Kollegin Heineke für ihren Mandanten einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gestellt hat und darin unter anderem die lange Verfahrensdauer und die unzureichende Verhandlungsdichte rügte. Darüber wird demnächst entschieden werden.

Nach 20 Monaten Verhandlungsdauer mit durchschnittlich 4,7 Verhandlungstagen pro Monat und inzwischen 27 Monaten Untersuchungshaft stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft in der Tat immer wieder auf´s Neue.

Ein weiterer Angeklagter schloss sich dem Antrag an. Das war nicht unbedingt überraschend. Erstaunen rief dann allerdings hervor, dass ein anderer Angeklagter erklärte, er sei mit dem Antrag nicht einverstanden. Das Gericht hätte bislang alles richtig gemacht, man sei zu Recht in Haft. Das war der Angeklagte, der sich vor einiger Zeit dazu entschlossen hatte, das bisherige weitgehende Schweigen zu brechen und die Mitangeklagten zu belasten. Der Mann hat bestimmt seine Gründe, warum er sich in der Haft besser aufgehoben fühlt.

Ich muss mich mit der Haftfrage nicht mehr befassen, mein Mandant ist seit 3 Monaten auf freiem Fuß. Trotz aller Fluchtgefahr, die zuvor von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft immer wieder bemüht worden war, stellt er sich dem Verfahren und läuft nicht weg. Gleiches gilt auch für die beiden anderen jungen Angeklagten, deren Haftbefehle aufgehoben wurden. Und draußen entwickeln sie sich prächtig …

 

 


Kategorie: Strafblog
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