Wieviel gilt die Europäische Menschenrechtskonvention? Ein merkwürdiges Strafverfahren auf Mallorca



Veröffentlicht am 25. März 2014 von

Spanische Flagge

Spanische Flagge

Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht ist in den Ländern der europäischen Union trotz aller Harmonisierungsbestrebungen noch ziemlich unterschiedlich ausgestaltet, aber alle Mitgliedsländer haben sich ebenso wie etliche weitere Staaten – insgesamt sind es 47 – der Europäischen Menschrechtskonvention, kurz EMRK genannt, unterworfen. Artikel 6 EMRK garantiert unter anderem die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf einen Verteidiger und – soweit die Beschuldigten sprachunkundig sind – das Recht auf einen Dolmetscher.

Am vergangenen Donnerstag und Freitag habe ich als die Verteidigung unterstützender Beobachter an einem Strafprozess in Palma de Mallorca teilgenommen, in dem ein deutscher und ein britischer Staatsangehöriger wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt waren.  Das Tatgeschehen liegt schon mehr als 5 Jahre zurück. Im Rahmen einer Schlägerei zwischen insgesamt sechs Beteiligten war ein mutmaßlich reichlich alkoholisierter Engländer zu Boden gegangen und von seinem jetzt angeklagten Landsmann zumindest einmal ins Gesicht getreten worden. Der junge Deutsche, der an dem Vorfall beteiligt war, hatte angegeben, er habe den Engländer, der ihn grundlos angegriffen hätte, an der Jacke zur Seite gezogen. Der sei daraufhin zu Boden gegangen. Er selbst habe weder geschlagen noch getreten und auch nicht damit gerechnet oder gar abgesprochen, dass er von dem anderen getreten werde. Er sei davongelaufen, weil er keinen Streit haben wollte.

Tatsache ist, dass der Engländer, der getreten worden war, am nächsten Tag an den Folgen einer Hirnblutung, die auf stumpfe Gewalteinwirkung zurückzuführen war, verstorben ist. Tatsache ist weiterhin, dass die beiden Begleiter des Opfers seinerzeit bei der Polizei angegeben hatten, sie seien unmittelbar nach der Auseinandersetzung ohne anderweitigen Zwischenaufenthalt  in das nur ca. 350 Meter entfernt liegende Appartement, das sie angemietet hatten, zurückgekehrt. Ein Polizist hatte demgegenüber beobachtet, dass die drei Personen erst eine bis eineinhalb Stunden später mit dem Pkw zu ihrer Unterkunft gekommen waren. Die beiden Begleiter sind im Ermittlungsverfahren nie mit dieser Erkenntnis konfrontiert worden. Niemand hat ermittelt, wo sie in der Zwischenzeit gewesen sind und ob es vielleicht noch weitere Zwischenfälle, die mit dem Todeseintritt zusammenhängen könnten, gegeben hat.

Die Ermittlungen zur Sache waren innerhalb von wenigen Wochen abgeschlossen. Dennoch hat es sagenhafte 4 Jahre gedauert, bis Anklage erhoben wurde. Mehr als ein weiteres Jahr ist dann bis zur Hauptverhandlung vergangen. Nach insgesamt fünfeinhalb Jahren können sich Zeugen naturgemäß nicht mehr an Alles erinnern, aber sie haben möglicherweise durchaus ihre eigenen Interessen. Das gilt es im Strafverfahren zu berücksichtigen und zu abzuwägen.

In der Hauptverhandlung war eine Dolmetscherin für Deutsch und Englisch anwesend. Die hat die Aussagen der beiden Angeklagten und der englischsprachigen Zeugen ins Spanische übersetzt. Ich habe mich darüber gewundert und den spanischen Kollegen López gefragt, warum die Zeugenaussagen und auch die Fragen der Staatsanwältin, der Nebenklagevertreterin und der Verteidigung nicht für die Angeklagten in deren Sprache übersetzt würden. Das sei – so wurde mir gesagt – vor spanischen Gerichten nicht üblich. Ich habe auf Art. 6 EMRK hingewiesen. Wie soll sich ein Angeklagter effektiv verteidigen, wenn er gar nicht versteht, was die anderen Verfahrensbeteiligten und die Zeugen sagen? Was hat das mit dem Grundsatz des fairen Strafverfahrens zu tun? So sei das aber nun mal in Spanien, antwortete der Kollege, es mache keinen Sinn, so etwas zu verlangen. Das verärgere höchstens das Gericht und wäre nicht gut für den Angeklagten. Ich habe dagegen eingewandt, dass Rechtsvorschriften doch dafür da seien, eingehalten zu werden. Notfalls müsse man das eben bis zum Europäischen Gerichtshof treiben. „Da hast du Recht“, antwortete der Kollege, „aber das dauert Jahre und außerdem, wer kann das bezahlen?“.

Der Mandant wollte das Thema nicht vor Gericht austragen. Klar, er hatte Angst, das Gericht zu verärgern und nur deshalb verurteilt zu werden. Also besser eine Faust in der Tasche machen.

Der Mitangeklagte hat eingeräumt, das Tatopfer getreten zu haben. Seine Familie ist nicht unvermögend, er hat deshalb mit den Angehörigen des Opfers einen Vergleich geschlossen und sich zur Zahlung eines sechsstelligen Schadensersatz- und Schmerzensgeldbetrages bereit erklärt. Er hat den Betrag auch hinterlegt. Im Gegenzug haben Nebenklage und Staatsanwaltschaft den ursprünglichen Strafantrag von 4 Jahren ohne Bewährung auf 15 Monate mit Bewährung reduziert. Unser Mandant hat eine ihm angetragene Beteiligung an dem Deal abgelehnt. Erstens habe er weder geschlagen noch getreten, zweitens sei er angegriffen worden und drittens fehle auch der Nachweis der Kausalität zwischen der Schlägerei und dem Todeseintritt. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb keinen Grund gesehen, ihren ursprünglichen Antrag zu reduzieren. Wer sich nicht freikauft, muss sitzen, scheint das Motto zu sein. Auch, wenn der andere nach eigenem Vortrag der Haupttäter ist.

Mein spanischer Kollege López hat vorgetragen, dass niemand wisse, wo der Verstorbene und seine Begleiter nach der Auseinandersetzung noch gewesen seien. Die drei seien auf Randale ausgewesen und hätten sich möglicherweise später noch anderweitig geprügelt. Es müsse ja einen Grund dafür geben, dass man bei der Polizei wahrheitswidrig angegeben hat, unmittelbar nach der Auseinandersetzung ins das Appartement zurückgekehrt zu sein. Der Verstorbene hätte zudem bei der Polizei, die zum Ort der Auseinandersetzung gekommen war, tatsachenwidrig  angegeben, sich in ein anderes Hotel eingemietet zu haben. So verhalte sich niemand, der Opfer sei. Es gab noch eine Reihe anderer Ungereimtheiten, die vorzutragen den Umfang des vorliegenden Beitrages sprengen würde. Die Zeugen und der Mitangeklagte haben unseren Mandanten belastet. Sie sind dabei deutlich von ihren früheren Bekundungen abgewichen. Nach meinem Eindruck haben sie gelogen.

Der Kollege López hat großartig plädiert. Wir hatten im Vorhinein alle Argumente erörtert, aber man muss das ja auch sprachlich umsetzen können. Ich war beeindruckt, hoffentlich auch – und darauf kommt es an – der Richter. Der hat jedenfalls aufmerksam zugehört und sich Notizen gemacht. Einmal ist er dem Kollegen in die Parade gefahren, als der – für mich völlig nachvollziehbar – vorgetragen hat, die Begleiter des Verstorbenen hätten eine vorsätzliche Falschaussage gemacht. Das wollte das Gericht nicht hören.

Die Verhandlung wurde nach den Plädoyers geschlossen. Nach dem Gesetz hat das Gericht jetzt 5 Tage Zeit, das Urteil zu verkünden. Anders als bei uns ist es in Spanien nicht üblich, nach dem Ende der Beweisaufnahme ein mündliches Urteil zu sprechen. Da muss man halt noch ein paar Tage warten, bis man das Ergebnis kennt. Oder auch ein paar Wochen. „Die Gerichte scheren sich nicht viel um die gesetzliche 5-Tages-Frist“, wurde ich belehrt, „das kann auch schon mal 5 oder sechs Wochen dauern, bis das Urteil vorliegt“

Mich wundert so etwas immer wieder, obwohl ich das ja schon seit vielen Jahren kenne. Wofür sind Rechtsvorschriften da, wenn sie selbst von denjenigen, die deren Einhaltung überwachen sollen, nicht ernstgenommen werden? Aber bisweilen erleben wir so etwas ja auch bei uns, ich denke da zum Beispiel an das Recht der Untersuchungshaft. Da ist verdammt viel Willkür im Spiel. Aber zumindest die Formalien versucht man einzuhalten, das ist ja immerhin etwas.

Von einem einheitlichen Rechtsraum sind wir in Europa noch weit entfernt.

 


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